Tichys Einblick
Im Hintergrund: Blinken in Peking

Nord-Stream-Sprengung: China fordert internationale Untersuchung unter Leitung der UN

Anderthalb Jahre Nord-Stream-Sprengung, und noch immer mag offiziell keiner wissen, was wirklich geschehen ist. Nachdem Schweden und Dänemark die Sache abgegeben haben, wird das vor allem zu einer Blamage für die deutsche Justiz und den zuständigen Minister. Chinas Führung streut nun Salz in die Wunde – und will damit vermutlich nur den großen Rivalen treffen.

picture alliance / Xinhua News Agency | Danish Defense Ministry

Die Zerstörung dreier von insgesamt vier Nord-Stream-Pipelines ist anderthalb Jahre nach dem Geschehen noch immer nicht aufgeklärt. Daran hat nun ausgerechnet der chinesische UN-Botschafter Geng Shuang erinnert. Im UN-Sicherheitsrat lieferte er am Freitag ein Statement zum Tagesordnungspunkt „Bedrohungen für den internationalen Frieden und die Sicherheit“ ab, das man wohl durchaus polemisch verstehen darf. Darin bedauerte Geng, dass auch 18 Monate nach den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee bei Bornholm keine abschließende Einschätzung dazu vorliegt, wer für die Sprengung verantwortlich war.

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Immer wieder habe man zusammen mit anderen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats eine „objektive, unparteiische und professionelle Untersuchung“ gefordert, um „so bald wie möglich die Wahrheit herauszufinden und die Täter vor Gericht zu stellen“, um ähnliche Vorfälle in der Zukunft zu verhindern. Andere Ratsmitglieder hätten aber darauf bestanden, dass man zunächst Schweden, Dänemark und Deutschland Vertrauen und Zeit zugestehen solle, um ihre Ermittlungen auf nationaler Ebene voranzutreiben. Nach mehr als einem Jahr Ermittlungen ohne greifbare Ergebnisse vermutet die chinesische Führung nun „versteckte Absichten hinter dem Widerstand gegen eine internationale Untersuchung“.

Aus Chinas Sicht sei die Sprengung der Pipelines ein „ernster Vorfall“ gewesen, der die „transnationale Energieinfrastruktur“ untergraben habe. Es gebe ein altes chinesisches Sprichwort: „Es ist nie zu spät, den Zaun zu reparieren, selbst wenn das Schaf verloren ist.“ Der UN-Botschafter fordert daher eine internationale Untersuchung unter Leitung der UN, um die Wahrheit für die internationale Gemeinschaft ans Licht zu bringen. Das sind wohlfeile Worte aus einem Staatsgebilde, das nicht erst seit Covid-19 für seine Geheimhaltung bekannt ist. Eine Untersuchung zu den Ursprüngen der „Pandemie“ scheiterte an vielen kleinen Steinen, die der angereisten Kommission in den Weg geschoben wurden, wie wohl auch am Unwillen einiger der Entsandten selbst.

Seltene Einmischung aus China

Die Wortmeldung des UN-Botschafters ist eine der seltenen direkten Einmischungen Chinas in den Ukraine-Konflikt. Normalerweise versucht sich Peking hier herauszuhalten und unparteiisch zu wirken. Doch diese Attacke auf die Nato-Staaten Dänemark, Schweden und Deutschland verrät, wo China in dem Konflikt im Zweifelsfall steht. Daneben forderte Botschafter Geng – noch durchsichtiger –, dass man auch Russland durch Kommunikation und Kooperation in die Ermittlungen einbeziehen müsse. Russland habe seine Sicht auf das Geschehen im September 2022 bereits schriftlich festgehalten. Dieser Entwurf, „klar und konzis“, soll laut Geng Konsens im Sicherheitsrat werden. Er ist, das muss man zugeben, in westlichen Medien vollkommen unbekannt.

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Insgesamt dürfte die chinesische Wortmeldung ein Ablenkungsmanöver sein, mit dem man vermutlich die USA treffen will. Das wiederum könnte bedeuten, dass man sich in Peking sicher ist, dass die USA hinter dem Sprengstoffanschlag stecken, so wie es Seymour Hersh geschrieben hat. Ob man hier von eigenen Erkenntnissen der chinesischen Dienste ausgehen kann, ist unklar. Immerhin würde den KP-Leuten auch die Anmutung eines Angriffs auf den Erzrivalen USA vollkommen genügen.

In der Tat könnte man sagen, dass wir einer offiziellen Aufklärung noch genauso fern sind wie am ersten Tage. Am 1. Oktober 2022 sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP) im großen Bild-am-Sonntag-Interview, dass es möglich sei, dass an Nord Stream 1 und 2 eventuell eine „verfassungsfeindliche Sabotage mit Auswirkungen auf Deutschland“ begangen wurde. Für den Fall, dass sich ein solcher Verdacht hinreichend erhärten würde (was inzwischen geschehen ist), erhob Buschmann damals drohend die Fäuste: „Wir würden die Verantwortlichen jagen – mit allen Instrumenten, die unserem Rechtsstaat zur Verfügung stehen.“ Aber diese Mittel scheint es nicht zu geben, jedenfalls kamen sie bisher nicht zum Einsatz.

Buschmanns leere Hände

Natürlich nannte Buschmann schon 2022 als bestes der Mittel (wieder einmal) „die Zusammenarbeit mit anderen Staaten, insbesondere in der EU“. Aber das waren, wie üblich, täuschende Worte, wie man heute umso mehr wissen kann. Denn der Hauptpartner bei der Informationsbeschaffung sind neben dem Vereinigten Königreich wohl vor allem die Vereinigten Staaten. Nur, unglücklicherweise gehören Weißes Haus und CIA seit Bericht von Seymour Hersh zu den Hauptverdächtigen in Sachen Nord-Stream-Sprengung. Und die britische Premierministerin Liz Truss („It’s done“) steht ebenfalls im Verdacht, eng an der Sprengung mitgearbeitet zu haben. Von dieser Seite ist also gar nichts zu erwarten. Das Problem scheint zu sein, dass Deutschland keine eigenen Mittel besitzt, um für seine Sicherheit zu sorgen. Nur von seinen Partnern erhält es überhaupt interessante Informationen, vor allem in der Terrorbekämpfung.

Auf die BamS-Frage nach weiteren möglichen „Anschlägen auf kritische Infrastruktur“, gab Buschmann denn auch die entwaffnende Antwort: „In der Ostsee liegen viele Versorgungsleitungen, nicht nur für Gas, auch für Elektrizität oder Datenverkehr. Viele Experten glauben: Diese Attacken sollen Verunsicherung schüren. Wir müssen daher die Nerven behalten – gerade jetzt.“ Nerven behalten, nicht verzagen, das scheint das Niveau der strategischen Daseinsvorsorge dieser Bundesregierung zu sein.

Kurz nach Nord Stream verband man sich enger mit Norwegen, um die diversen Versorgungsleitungen in Nord- und Ostsee besser zu bewachen. Alleine könnte Berlin das anscheinend nicht. Das ist der Schlusspunkt hinter dieser Nord-Stream-Affäre, und allmählich wird es darüber auch beinahe uninteressant, wer die Pipelines in die Luft gesprengt hat. Wenn sogar die Bundesregierung nichts dagegen hatte …

Schweden hat die staatliche Urheberschaft bestätigt

Nach Schweden hat auch Dänemark vor zwei Monaten seine Ermittlungen eingestellt. Die schwedischen Strafbehörden hatten sich nach 16 Monaten Ermittlungen für nicht zuständig erklärt, denn schwedische Bürger oder Interessen seien nicht geschädigt worden. Allerdings ließ man den deutschen Ermittlern Hinweise und Erkenntnisse zukommen. Der leitende Staatsanwalt Mats Ljungqvist bestätigte, dass wohl ein „staatlicher Akteur“ hinter dem Anschlag steckte. Eine Aussage, die wiederum vor allem im Sinne der Anhänger des Hersh-Szenarios ist, nach dem die USA selbst hinter dem Anschlag stecken. Denn Länder wie die Ukraine oder Polen kommen wohl nicht in Frage – weniger aus Mangel an einem Motiv als vielmehr aus Mangel an Mitteln. Daneben hatte die Biden-Regierung schon im Juni 2023 gegenüber der Washington Post bestätigt, dass man keine Hinweise auf eine russische Operation habe.

Auf die schwedische Einschätzung berufen sich nun britische Versicherer, die sich weigern, für die Schäden an den Pipelines zu zahlen, eben weil dieselben praktisch nur „auf Anweisung einer Regierung“ verursacht werden konnten – zumindest sei das „sehr wahrscheinlich“.

Die Interpretation als „kriegerischer Akt“ ist laut Erik Andersson, dem schwedischen Ingenieur, der eine private Expedition zum Unglücksort unternommen hat, der einzige Ausweg der Versicherer, um eine Zahlung zu vermeiden. Die in der Schweiz sitzende Nord Stream AG schätzt den entstandenen Schaden auf 1,2 bis 1,35 Milliarden Euro ein.

Der Generalbundesanwalt ermittelt – und schweigt

Ljungqvist berichtete weiter, die Schweden hätten sich ein ziemlich gutes Bild davon gemacht, was passiert war. Aber woraus dieses Bild besteht, dazu könne man nicht ins Detail gehen. Die Dänen waren noch wortkarger bei der (imaginären) Übergabe der Akten. Eine Grundlage für eine Strafverfolgung in Dänemark gebe es nicht – obwohl der Anschlag sich unweit der dänischen Insel Bornholm ereignete. Insofern könnten zumindest Sicherheitsinteressen des Nato-Landes berührt sein, oder nicht? Immerhin: Dass es sich um „vorsätzliche Sabotage“ handelt, bestätigten auch die Dänen, aber die betraf ja nur deutsche Wirtschaftsinteressen, wie es scheint.

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Weiterhin ermittelt der Generalbundesanwalt in der Sache. Letztes Jahr ließ er ein Segelboot und eine Wohnung in Frankfurt (Oder) durchsuchen, allerdings ohne handfeste Ergebnisse. Der Bundesanwalt berichtet weiterhin regelmäßig dem Innenausschuss und dem Bundeskanzleramt, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wobei noch nicht einmal über die Gründe für die Geheimniskrämerei Auskunft gegeben wird. So lässt sich jedes Ereignis mit internationalem Aspekt vertuschen, wie auch die RKI-Files gezeigt haben.

Gegen die These von der deutsch-ukrainisch-polnischen Segelyacht spricht schon, dass ein kleines Team auf einem Freizeitboot kaum die nötige Ausrüstung zur Verfügung hätte, um ein Beben von 2,5 auf der Richter-Skala am Grund der Ostsee zu bewirken. Die Yacht wurde in Warnemünde gechartert. Haben vielleicht doch deutsche Kräfte an der Sprengung der eigenen Pipeline mitgewirkt? Das wären Vorwürfe, die noch weitergehen als der Hersh-Bericht, gemäß dem es unter anderem zum Auftanken eines US-Flugzeugs über deutschem Boden kam. Angesichts dieser möglichen Verstrickungen hätte auch die Bundesregierung durchaus genügend Grund, die Bürger an der Nase herumzuführen.

Blinken in Peking: Transpazifisches Pingpong

Im Hintergrund der seltenen chinesischen Intervention in Sachen Nord Stream dürfte es letzten Endes weniger um diese inneren Balgereien des Westens gehen denn um handfeste Wirtschaftsinteressen. Just am Freitag war US-Außenminister Antony Blinken zu Gesprächen mit seinem Amtskollegen Wang Yi und Präsident Xi Jinping in Peking. Die Beziehungen zu den USA sind bekanntlich durch viele Themen angespannt: Taiwan und chinesische Billigexporte sind wohl die beiden wichtigsten. Blinken steigerte die Spannung allerdings noch, indem er die chinesischen Exporte von Dual-use-Produkten nach Russland anprangerte.

Die chinesische Aufforderung, endlich den Schuldigen in Sachen Nord Stream zu finden, wirkt in diesem Kontext wie eine Retourkutsche für die Forderung Blinkens, endlich die Lieferung von kriegswichtigen „Werkzeugmaschinen, Mikroelektronik und Nitrozellulose“ nach Russland einzustellen.

Die Retourkutsche auf die Retourkutsche lieferte wiederum Blinken, als er öffentlich von Beweisen dafür sprach, dass China versuche, die kommenden Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen. Politische Probleme der aktuellen US-Regierung wie „Rassenpolitik“, Drogen und die Einwanderung würden von chinesischen „Cyber-Gruppen“ ins Visier genommen – das dürfte etwa das Pendant zu den Moskauer Trollfabriken sein.

In Peking hatte Blinken auch vorgeschlagen oder darum gebeten, das chinesische Angebot von Fentanyl-Grundstoffen einzudämmen. Fentanyl gilt als eine der gefährlichsten Drogen in Amerika, mit vielen Toten im Alter zwischen 18 und 45 Jahren. Aber es wirkt kaum souverän, bei dem systemischen Konkurrenten um Zugeständnisse bei der Bekämpfung eines zutiefst amerikanischen Problems zu bitten.

So geht es also munter hin und her im transpazifischen Pingpong. Alle Äußerungen haben etwas zu bedeuten, und doch geht es dabei nur partiell um die Sache. Klar ist: Die USA fühlen sich unter Beschuss und versuchen, den Rivalen China durch gutes Zureden und etwas Paroli-Bieten zum Einlenken zu bewegen. Doch Peking weiß, dass es Zeit hat und weiter verdeckt auf eine Ausweitung der Kampfzone setzen kann, ohne zu viel zu riskieren. Gegenschläge wie die Nord-Stream-Forderungen sind da billiges Kanonenfutter für die Hauptschlacht.


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