Zugegeben, es waren bisher nicht hunderte, die der Autor im täglichen Straßenbild wahrgenommen hat. Die meisten vollverschleierten Frauen, also in blau, grau oder schwarz, unter einer Burka, etwa 80 Prozent von ihnen, sah der Autor dieses Beitrags anno 2008 auf den Straßen Kabuls. Im Kurs der Universität für Bildung und Pädagogik, wo die besten der „lucky 100“-Studenten ein Stipendium für ein Studium in Deutschland bekommen sollten, klagten uns eine Professorin sowie mehrere intelligente sowie couragierte Studentinnen ihr wahres Leid. Obwohl diese „nur“ mit einem modernen und (immerhin) farbenfrohen Hijab ihr Haar verdecken mussten. Die Taliban, die jetzt wieder vor Ort die Scharia durchsetzen möchte, waren damals kurzzeitig zurückgedrängt worden. Soldaten der ISAF-Truppen haben zwar kurzzeitig für eine entspannte Lage gesorgt, aber das alte traditionelle patriarchalische Denken bestand und besteht natürlich weiterhin.
Die gut situierten (weil auch besser gestellten) und gebildeten Frauen bekundeten ihre Angst, dass sie früher oder später ebenso verhüllt, also komplett unter der Burka, ihre Identität verstecken müssten – draußen auf den Straßen, in der Öffentlichkeit.
Und man würde ehrlich gesagt auch müde und depressiv, unter jeder vollverschleierten Frau einen „Terrorgehilfen“ zu vermuten. Aber unter einer Burka kann sich jeder verstecken. Man kann jedoch auch viel Leid unter dem Stoff wahrnehmen. Die Professorin und einige Studentinnen erzählten, wie unfrei sich Verwandte und ihre Freundinnen fühlten, die, weil vom Ehemann oder Vater traditionell gewollt, unter der Burka verhüllt würden.
Die Kunst jedoch ist nach wie vor, glaubhaft zu unserer eigenen Kultur zu stehen, tolerant zu sein, aber nicht alles zuzulassen, was unserer westlichen, und offen geprägten Lebensart komplett entgegensteht. Die Würde des Menschen, jeder Grundschüler kann es schon auswendig aufsagen, ist „unantastbar“. Und sollte es auch bleiben, besonders auch bei jenen Asylsuchenden, die unsere Lebenart schätzen, und offen sind.
Wir kommen derzeit aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Erst die Ankündigung des Migrationspaktes der UN, der schon schwarz auf weiß als Konvolut existiert, und im Dezember in Marrakesh verabschiedet werden soll. Natürlich nicht bindend. Wie beruhigend, die Aufregung wird sich schon legen? Eben nicht.
Die aktuelle Nachricht lautet (NZZ): „Uno wirft Frankreich wegen Burka-Verbot Verstösse gegen die Menschenrechte vor“.
Und wir, fast täglich die Realität vor Augen, wie Integration tatsächlich aussieht, was, wie und wo, durch ständiges Wiederholen, aufgeweicht werden soll, fragen uns wirklich, was bezwecken diese Kommissare, weibliche wie männliche, im Hauptquartier der UN-Kommission für Menschenrechte, mit dieser Anklage? Wir fragen uns zudem, (viele empört es, dass wir uns überhaupt diese Frage stellen), wer sind diese auserwählten Politiker und Mitglieder der Kommission für Menschenrechte, wenn sie auf zwei Burka-Trägerinnen reagieren, die ihre Rechte verletzt sehen, aber dabei acht von zehn Frauen ignorieren, die sich gar nicht verhüllen möchten? Warum stellen diese Kommissäre die westlichen Werte in Frage?
Monatlich wissen Beratungsstellen davon zu berichten, wie Frauen um Hilfe bitten, weil sie ihr Kopftuch, wir reden nur vom Kopftuch wohlgemerkt, ablegen möchten und sich nicht trauen. Der Druck der Familie, sogar der (zugewanderten) Nachbarn sei zu groß. Dass wir von dieser islamisch geprägten Kultur wenig verstehen, geben wir gern zu. Umso sprachloser macht sie uns, und deshalb hören wir auch Fachleute und Experten, die sich in dieser besagten Kultur auskennen.
Nehmen wir nur Necla Kelek, die Sozialwissenschaftlerin, die überzeugt ist: „Das Kopftuch wurde zum Symbol der Unterdrückung der Frau und vor allem im Zuge der Re-Islamisierung der Welt zur Fahne des politischen Islam.“ Und sie fügt fast romantisch an, jede Frau habe das Recht, ihre Haare im Wind zu fühlen. Ein wahres Bild der Freiheit.
Außer Frankreich zog ja jüngst auch Dänemark nach, und ebenso in Österreich, sind Burka oder Nikabs in der Öffentlichkeit verboten, es werden sogar Strafen ausgesprochen. Im Übrigen, und nur zur Erinnerung, auch „Sturmhauben, Ski- oder andere gesichtsbedeckende Masken sowie falsche Bärte“, gehörten dazu. Das Gesicht, ein Antlitz, gehöre immer zum ersten Eindruck, es ist die erste „Visitenkarte“, die das Gegenüber wahrnimmt. Diskriminierend empfänden wir es, wenn unser Gegenüber sein Gesicht verhüllt. Aber, in den meisten Fällen ist es einer Frau unter einer Burka zudem verboten, mit dem anderen Geschlecht in Konversation zu treten, wie uns eine Studentin sagte. In Deutschland finden viele die Debatte absurd, da man ja kaum Burkaträgerinnen wahrnähme. Ali Ertan Toprak, oder Seyran Ates, die für Gleichberechtigung und einen moderaten Islam einstehen, wiederholen immer, man solle die eigenen Gesetz nie „aufweichen“.
Nun hat der UNO-Ausschuss der französischen Regierung um Emmanuelle Macron 180 Tage eingeräumt, um auf die Vorwürfe (Verstöße gegen die Menschenrechte) zu reagieren. Der Menschenrechtsausschuss setzt sich aus unabhängigen Experten zusammen. Seine Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend, aber Frankreich hat sich in einem Abkommen verpflichtet, sich «in gutem Glauben» daran zu halten, wie andere Länder im UNO-Rat auch (der UN-Migrationspakt soll auch nicht verpflichten – aber binden!). Klug wäre es, wenn andere Länder die 180 Tage ebenfalls sinnvoll nutzten, ein ähnliches Gesetz wie die Franzosen, Dänen und Österreicher auf den Weg zu bringen. Die Freiheit aller muss respektiert werden. Toleranz kann nie Intoleranz dulden.
Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.