Tichys Einblick
Krise in Westafrika

„Entwicklungshilfe und diese ganzen Gelder sind kontraproduktiv“

Vor dem Putsch galt Niger als letzte stabile Bastion in der Sahelzone. Wie geht es nach dem Ultimatum weiter? Und welche Schlüsselrolle spielt China in der Region? Ein Gespräch mit dem Westafrika-Kenner Kurt Gerhardt, der jahrelang vor Ort war.

Unterstützer des Putsches zeigen öffentlich ihre Solidarität mit der neuen Regierung.

IMAGO / ABACAPRESS

Die Junta von Niger hat den Luftraum des Landes geschlossen und ausländische Mächte beschuldigt, einen Angriff vorzubereiten. Die Putschisten erklärten, jeder Versuch, das Land zu überfliegen, werde mit einer »energischen und sofortigen Antwort« beantwortet. Oberstmajor Amadou Abdramane, ein Sprecher der Putschisten, warnte vor »der Gefahr einer Intervention in einem Nachbarland« und erklärte, der Luftraum Nigers werde bis auf weiteres geschlossen. Flugzeuge, die von Europa nach in das südliche Afrika fliegen wollen, müssen jetzt deutliche Umwege in Kauf nehmen.

Die Junta behauptete, dass sich zwei zentralafrikanische Länder auf eine Invasion vorbereiten, sagte aber nicht welche, und rief die Bevölkerung des Landes zur Verteidigung auf. Vor fast zwei Wochen wurde der demokratisch gewählte Präsident Nigers gestürzt und General Abdourahmane Tchiani als Staatschef eingesetzt. Tchiani war Chef der Präsidentengarde und soll den Putsch zusammen mit mehreren Mitgliedern seiner Einheit angeführt haben. Beobachter gehen davon aus, dass der Putsch durch einen Machtkampf zwischen ihm und dem Präsidenten ausgelöst wurde, der ihn entlassen wollte.

Guinea, Burkina Faso und Mali sowie Algerien haben sich alle gegen die Anwendung von Gewalt ausgesprochen, wobei Burkina Faso und Mali erklärten, ein Angriff auf Niger käme einer Kriegserklärung gegen sie gleich. Senegal und Côte d’Ivoire haben erklärt, sie würden die Bemühungen der ECOWAS um die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung unterstützen. Die senegalesische Regierung erklärte, sie würde sich an einer Militäroperation beteiligen, falls diese durchgeführt würde.
Die Junta will die Beziehungen zu Frankreich rasch trennen und sich nach anderen Partnern umzusehen. In der vergangenen Woche untersagte sie dem französischen Sender RFI und dem Fernsehsender France 24 den Betrieb im Land und kündigte die Abkommen mit Frankreich.

Französische Soldaten hatten mit dem nigrischen Militär zusammengearbeitet, um extremistische Gruppen zu bekämpfen. Die Zukunft der rund 1.500 französischen und 1.100 US-amerikanischen Militärangehörigen, die in dem Land stationiert sind, ist unklar.

Soweit die aktuelle Lage.

Die Bundeswehr hat mit ein paar 100 Mann in Niger Soldaten ausgebildet. Die USA und Frankreich haben Truppen stationiert. In Niger wird unter anderem Uran gefördert. Doch aus dem Land selbst kommen nur 4 % der weltweiten Uran-Produktion. Der Westafrika-Block ECOWAS verhängte das Einfrieren aller Dienstleistungs Transaktionen, einschließlich der Energie Transaktion. Nigeria hat die Stromversorgung zu seinen Nachbarland Niger abgeschaltet. Dies geschehe im Einklang mit den von Nigers westafrikanischen Nachbarn beschlossenen Sanktionen, so hieß es. ECOWAS schickte sogar eine Delegation nach Niger. Über deren Erfolg oder Misserfolg und über die Bedeutung des bisher weitgehend unblutigen Putsches sprach Holger Douglas mit Kurt Gerhardt, der Journalist und in den 80er 90er Jahren Landesdirektor des damaligen Deutschen Entwicklungsdienstes im westafrikanischen Niger war. Heute hat er immer noch viele Freunde dort und bereist das Land.

Holger Douglas: Kurt Gerhardt, was ist denn in Niger passiert und wie würden Sie die Situation beschreiben?

Kurt Gerhardt: Sie ist ein typisches Produkt afrikanischen Regierens. Die Regierungssysteme, die wirklich etwas taugen, ob die nun mehr oder weniger demokratisch sind, das ist was anderes. Aber es wird insgesamt in Afrika zu schlecht regiert. Habe gerade dieser Tage mit jemandem gesprochen, der lange lange schon in Südafrika ist. Das ist ein Sonderfall, das wissen wir. Aber mit Südafrika geht es bergab. Und wo geht es denn voran? Das ist ja fast nirgends der Fall. Und das hängt ganz wesentlich auch daran, dass es zu wenig entwicklungsorientierte Regierungen gibt, die das Wohl der Völker im Auge haben und nicht so sehr das Wohl des eigenen Bankkontos. Da kommt es eben zu diesen Erscheinungen, wie wir sie erleben.

Da wird viel geputscht, und dann wird wieder eine Regierung aufgestellt, die aber nicht besser ist als die alte. Und so weiter. Natürlich ist jeder Putsch ein bisschen anders als der andere, aber wir haben halt einen und eine der interessanten Seiten an diesem Putsch ist, da kann gut Deutsche verstehen, deutsche Politiker, die sagen:  Ach Mensch, wenn wir da bloß zufällig und ansprechbar Leute in Afrika hätten, auf die wir uns verlassen könnten, die wirklich gute Partner sind, das wäre doch schön.

Und jetzt meinten die deutschen Politiker von Frau Merkel bis runter, sie hätten im Niger solche Leute gefunden, zumal mit dem früheren Präsidenten Issoufou, der möglicherweise hinter dem Putsch steckt. Das weiß man nicht. Und ich habe immer es schon immer für vollkommen falsch gehalten, so auf diesen Issoufou zu setzen. Wenn man lange mit Afrika, also in meinem Fall mit Niger verbunden war, dann kennt man natürlich viele Leute, auch Issoufou und jetzt auch den, dessentwegen er gestürzt wurde.

Sind ja alles Leute, bei denen ich zum Teil auch zu Hause war und die man daher etwas besser beurteilen kann. Aber Issoufou war keiner, von dem ich sagen würde, Leute in Berlin, haltet euch mal an den. Dieses Illusionäre in der deutschen Politik, in der deutschen Afrikapolitik, das ist schlimm. Deswegen geht es auch nicht wirklich voran. Dieser Putsch ist schon ein Sonderfall insofern, das wird ja auch in den Medien geschrieben, dass ein Partner, den man zu für zuverlässig gehalten hat, auch noch vor die Hunde geht. Was ist denn der Herr Bassum für ein Mensch, der weggeputscht worden ist? Wo hält er sich jetzt im Moment auf? Er soll in seinem Präsidentenpalast sein. Und dem geht es da nicht schlecht. Der wird da nicht malträtiert, der ist da eingesperrt. Das ist natürlich auch ein Malträtieren, ist klar. Aber dem wird nicht Essen und Trinken vorenthalten. Der ist ein ganz interessanter Kerl, das sehen Sie ja auf Bildern. Der ist sehr hellhäutig und das hat damit zu tun, dass er Araber ist.

Im Osten des Nigers Richtung Tschadsee gibt es Arabischstämmige und davon ist er einer, hat, so heißt es, Philosophie studiert, ich weiß es nicht wo, vermutlich in Dakar, und hat eigentlich in der öffentlichen Bewertung viele Pluspunkte gekriegt, als der dann Präsident wurde. Man sagt, dass Vorgänger Issoufou ihn herangezogen hat als seinen Nachfolger. Das ist ja durchaus so üblich, nicht nur dort, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Als er jedenfalls Präsident wurde, war ich sehr interessiert. Wie wird es denn mit dem gehen und ich habe dann natürlich meine doch zahlreichen Verbindungen in den Niger genutzt, um immer mal wieder zu fragen, was macht er, wie lässt sich das an mit dem und warum? Und ich habe eigentlich immer nur Positives gehört.

Als deswegen die Nachricht kam vom Putsch, habe ich mich gefragt: Wieso putschen die den denn weg? Was soll das? Und die Antwort war, das verstehen wir auch nicht. Eigentlich bis heute nicht. Die Putschisten haben ja gesagt, es gibt zwei wesentliche Gründe, weswegen wir meinten, wir Leute von der Präsidentengarde, die war ja der Truppenteil, die geputscht hat, wir sind der Meinung, dass es wirtschaftlich zu schlecht geht. Und das andere Argument war, mit der Sicherheit geht es weiter bergab. Das ist ein richtig ernstes Thema, aber das hat nichts mit Herrn Barroso zu tun, sondern das ist ja eine fürchterliche Entwicklung seit Jahren. Jetzt im Sahel, also in Mali, in Burkina Faso, in Niger, wo die Terroristen sich austoben, die Dschihadisten, bei denen man nicht weiß, was sind das für Leute, wo kommen die her?

Mir sagte jetzt dieser Tage noch ein Freund, er war vor ein paar Jahren noch mal im Niger in Niamey und sind ist kaum aus der Stadt rausgekommen, weil es einfach zu gefährlich war. Da gibt es schöne Giraffen-Gebiete. Sicher fährt man gern hin. Da ist er mit einem Kölner Freund hingefahren und mit militärischer Begleitung. Schon vor drei Jahren war das so gefährlich, dass 50, 60 Kilometer aus der Hauptstadt rauszufahren, man das lieber bleiben lässt. Und jetzt hört ich von einem Freund dass die Dschihadisten noch näher gerückt sind. Ja, es ist zum Verzweifeln. Es ist furchtbar. Das sind Truppen, die marodierend durch das Land ziehen und alles niederschießen, was ihnen in den Weg kommt.

Also könnte man meinen: gute Entwicklung, dass sich ausländische militärische Kräfte engagiert haben, um diesem entsetzlichen Treiben ein Ende zu setzen. Die Franzosen sind besonders in Mali eingestiegen, dann die Deutschen. Aber da haben die Afrikaner gesagt, ja, die Deutschen, die sitzen nur im Büro, die Amerikaner sind schon eine wichtige Durchgangsstation für politische Flüchtlinge, die aus Westafrika dann nach Norden gehen, nach Algerien, Tunesien, auf die Boote. Und so weiter. In der Nähe von Agadez haben die Amerikaner eine ziemlich große Truppe von 1.000 Leuten in einer militärische Niederlassung mit Pisten, auf denen auch große Flugzeuge landen können. Das heißt, unter UNO ist natürlich nicht nur UNO. Unterorganisationen sind da engagiert und bilden Soldaten aus und weiß der Teufel, was die alles da machen.

Nur sagen die Afrikaner, komisch, hier sind all diese militärischen, tüchtigen Leute da mit tollem Gerät, Satelliten und Drohnen, um uns zu schützen. Aber seitdem die da sind, ist schlimmer geworden. Da ist was dranund man fragt sich schon, wie ist denn so was möglich? Wie ist das möglich? Keiner hat wirklich zutreffende Antworten.Ja, wie ist das möglich? Werden die Dschihadisten heimlich von der Bevölkerung  unterstützt? Dort, wo die zuschlagen? Also etwa Burkina Faso gibt es ein Gebiet, das da wirklich im Vordergrund steht und liegt. Das ist im Dreiländereck Mali, Burkina Faso und Niger. Dort gibt es bemerkenswert viele Bodenschätze, Gold zum Beispiel.

Die Leute meinen dass die Dschihadisten immer wieder da ihre Überfälle machen und alles totgeschlagen oder erschießen, ob das Frauen und Kinder sind, das ist ihnen völlig egal, weil sie dieses Gebiet wegen der Bodenschätze haben wollen. Aber das sind alles Annahmen, die nicht handfest sind. Es ist mein Eindruck, es gibt viele Vermutungen und wenn man nichts Richtiges weiß, dann blüht natürlich die Fantasie. Und dann ist die Frage: Wer zahlt denn das eigentlich? Deren militärisches Gerät? Die fahren da mit Hundertschaften von Motorrädern durch die Gegend oder auch mit solchen Pickups, Maschinengewehre drauf montiert. Das können wir alles sehen. Filme und Videos, die mir auch geschickt werden, das kostet ja Geld. Und wie kriegen die überhaupt das Zeug ins Land rein, wohl nicht aus dem Flugzeug abgeworfen? 50 Pickups kommen entweder mit dem Schiff zum Hafen oder mit dem Flugzeug auf Flugplätze.

Ich habe auch mal mit Bundeswehrleuten gesprochen. Menschenskind, es heißt doch, ihr habt da diese tollen Drohnen auch aus Israel, die so so so effektiv sind. Das muss man doch erkennen können. Der Sahel ist ja kein Dschungel, da wächst ja kaum was. Das heißt, wenn da 100 Bewaffnete in einer Reihe, fast möchte man sagen, Karawane durch die Gegend fahren, und zwar hunderte Kilometer, das muss man doch erkennen können, oder? Soll man doch meinen.

Und was sagte der Bundeswehr Mann? So einfach ist das alles nicht, so ein Satellit oder auch eine Drohne kann immer nur einen Streifen Land erkennen auf Fotos. Ja, es ist vielleicht nicht ganz so leicht, wie unsereiner sich das vorstellen möchte, aber dass das dann gar nichts möglich ist, das dürfte auch falsch sein. Da frage ich, was passiert denn mit den Fotos? Die Fotos könnten an Leute gehen, die gegen die Dschihadisten vorgehen können – zum Beispiel französische Truppen. Das dürfen wir aber nicht als Deutsche, denn dagegen steht ein Bundestagsbeschluss, dass wir nicht am Kampfgeschehen teilnehmen. Wenn deutsche Soldaten Fotos an französische Kampfeinheiten weitergeben, dann nimmt Deutschland am Kampfgeschehen teil und das will der Bundestag nicht, sondern die Fotos gehen an irgendwelche UNO-Organisationen. Unter uns gesagt können wir das gleich auf den Müll schmeißen.

Holger Douglas: Aus militärischer Sicht ist die Stationierung amerikanischer, französischer und deutscher Soldaten eher wirkungslos?

Kurt Gerhardt: Also jedenfalls kann man sagen, erleben die Leute nicht, dass sie durch die fremden Soldaten diesen terroristischen Anschlägen weniger ausgesetzt sind.

Holger Douglas: Jetzt hat ja eine Delegation der ECOWAS, also der Organisation von westafrikanischen Ländern, eine Delegation hingeschickt nach Niger. Was sollte die denn bewirken und warum ist die wieder abgezogen?

Kurt Gerhardt: In ECOWAS sitzen viele Präsidenten und Spitzenpolitiker, da wird manch einer sagen, wenn wir nicht so sehr wir können gegen jeden Putsch vorgehen, dann wächst die Gefahr, dass wir als nächste dran sind, die weggeputscht werden. So ist das Leben nun mal, die haben auch ein ganz persönliches Interesse daran, dass dieses Putschen nicht überhand nimmt.

Die ECOWAS-Delegation ist nicht mal über den Flughafen in der Hauptstadt Niamey hinausgekommen und hat auch mit dem Chef der Putschisten gar nicht gesprochen, sondern mit einem Abgesandten, das heißt, die sind praktisch unverrichteter Dinge wieder nach Hause gefahren.

Holger Douglas: Das Nachbarland Nigeria hat ja die Elektrizitätslieferungen gestoppt und die Leitung abgeschaltet.

Kurt Gerhardt: Das ist eine ganz böse Geschichte. Der Niger bezieht einen wesentlichen Teil seines Stroms aus Nigeria. Und das habe ich nun selbst oft erlebt, wie ganz Afrika unter ständigen Strom-Unterbrechungen leidet. Da kriegt man ja zu viel, wenn man das mitkriegt, dass man nicht in der Lage ist, die Menschen, die überhaupt einen Stromanschluss haben, das sind ja bei weitem nicht alle, wenigstens mit einer gewissen regelmäßigen Stromversorgung zu versehen. Gerade in der Hitze, wenn zu bestimmten Zeiten das Thermometer etwa im Sahel bis 50 Grad steigt – Ich habe das selbst erlebt. Wenn Sie dann nicht wenigstens einen Ventilator in Gang setzen können, ja, dann sind Sie schlecht dran, und jetzt haben wir Regenzeit dort und es wird sehr heiß. Und da den Strom abzuschalten, damit gewinnt man im Volk keine Freunde.

Holger Douglas: Wie ist denn die Stimmung im Volk von Niger gegenüber den Putschisten?

Kurt Gerhardt: Inzwischen ist es wohl so und dafür gibt es sichtbare Hinweise, dass die Putschisten immer mehr aus der Bevölkerung Unterstützung finden. Das ist nichts ganz Neues. Das konnten Sie in Mali auch beobachten. Wir haben ja Putsche in Mali gehabt, in Burkina Faso, in Guinea. Und alle drei Länder unterstützen die Putschisten im Niger.

Holger Douglas: Der abgesetzte Präsident Bassum hat ja einen Brief in die USA geschickt und um Hilfe gebeten. Wie bewerten Sie das denn?

Kurt Gerhardt: Ja, hat er. Ich habe den Brief gelesen, einen Artikel gelesen über den Brief und habe auch mit einem Freund gesprochen über diesen Brief. Und der sagte, das war eine schlechte Idee von Herrn Bassum, sich an die Amerikaner zu wenden und zu sagen helft mir, befreit mich hier als Präsident im Präsidentenpalast, weil die Leute sagen, Nee, Kinners, das ist eine kolonialistische Aktion, wir sind ein souveränes Land und müssen unsere Probleme selbst lösen. Und da können wir nicht nach Amerika gehen und sagen, befreit doch bitte unseren Präsidenten. Bassum hat einen sehr schlechten Eindruck in der aufgeklärten und aktiven Bevölkerung hinterlassen.

Holger Douglas: Wie geht es Ihrer Einschätzung und Ihrer Kenntnis nach jetzt weiter in Niger mit dem Putsch?

Kurt Gerhardt: Ja, die Frage stellt sich natürlich auch vor dem Hintergrund, dass viele Leute nicht ausgeflogen sind. Das Auswärtige Amt hat ja auch gesagt, Deutsche, packt eure Koffer und haut ab und die Franzosen haben geholfen. Ich habe mich ein bisschen gewundert, denn noch ist ja, das mag ein bisschen merkwürdig klingen, wenn man das sagt, noch ist ja kein Schuss gefallen, kein Blut geflossen. Es ist also bisher ein unblutigen Putsch. Und ich schließe nicht aus, dass er das auch bleibt. Denn bei allen Spannungen und Feindschaften gibt es dennoch unter Afrikanern auch ein gewisses Zusammenstehen. Und es kann schon sein, dass die Gespräche und Verhandlungen mit der ECOWAS – also mit den anderen Staaten – dahin kommen, zu sagen, Freunde, so und so ist die Lage, nun lass‘ mal auf friedliche Weise versuchen, zu einem guten Ergebnis zu kommen.

Das ist natürlich nicht einfach, weil auch die die automatischen Reaktionen etwa von Europäern oft an der Sache vorbeigehen: „Nein, um Gottes willen, Putsch nein, Demokratie halt, wo kommen wir denn da hin?“ Ich kann mir schlecht vorstellen, dass die ECOWAS tatsächlich militärisch einwirkt auf die Situation im Niger.

Holger Douglas: Welche Bedeutung hat denn dieser Putsch auf die europäisch-nigrischen Beziehungen? Aus Europa wird ja mit Sorge auf die Staaten der Sahelzone geschaut, in denen, wie Sie erzählt haben, in einem nach den anderen geputscht wird. Welche Auswirkungen sehen Sie?

Kurt Gerhardt: Einerseits sicher eine Vergrößerung der Ratlosigkeit, denn wenn Sie sehen, dass ein Fall, auf den Sie sich verlassen, nämlich auf die Politik im Niger, wenn der Fall wirklich fällt, ja, wohin soll man sich denn dann noch wenden? Im Hintergrund gibt es natürlich auch die Flüchtlingsströme, die über den Niger gehen. Wo viel Geld fließt – wie auch gegenüber der Türkei – , damit der Flüchtlingsstrom gebremst wird. Ich glaube, das verläuft wie immer nach einem Putsch. Da kommt erst mal die automatischen politischen Reaktionen, es wird der Botschafter abgezogen, es wird die Entwicklungshilfe gestoppt, es wird dies und das angekündigt und dann dauert es einfach eine gewisse Zeit und man kehrt zu den alten Verhältnissen zurück. So ist das immer gewesen und so wird es wieder sein.

Holger Douglas: Es gibt ja viele ausländische Versuche der Einflussnahme. Russland wird verstärkt in letzter Zeit genannt, doch alles ist sehr undurchsichtig. Blicken Sie da noch durch?

Kurt Gerhardt: Das gilt ja auch den Dschihadisten gegenüber. Wer bezahlt das eigentlich? Und dann stellen Sie fest, dass das auch niemand so richtig weiß. Katar ist ein Wort, das häufig fällt. Ein anderer großer Spieler ist China. Ja, den chinesischen Einfluss, den konnte man schon, als ich dort gearbeitet habe, vor 40 Jahren sehen. Sie haben zum Beispiel das Stadion gebaut. Die Chinesen haben sehr viel gemacht, aber nicht alles geschenkt. Da kann man jetzt was Interessantes beobachten, das ich immer wieder lese, dass die Chinesen auf afrikanische Regierungen zugehen, denen sie viel Geld geliehen haben, und sagen, Leute, soallmählich müssen wir mal ans Zurückzahlen denken.

Und dann passiert genau das, was man vorher wusste, wer die Verhältnisse ein bisschen kennt. Ihr werdet da wahrscheinlich nicht ganz viel kriegen, ihr Chinesen. Bei denen staut sich ein gewisser Unwille auf gegenüber den nicht zahlungsfähigen oder willigen afrikanischen Staaten. Jetzt wird sozusagen das zweite Kapitel eröffnet. Das erste Kapitel war, China tut ganz viel für Afrika, und das zweite Kapitel ist nun: Und was kriegt China zurück? Die Chinesen haben natürlich etwa Verträge über Bodenschätze. Und so weiter. Da kriegen sie eine Menge Zeug. Das ist ja nicht alles selbstlos. Aber sie haben eben auch Kredite gegeben. Sehr günstigen Bedingungen zwar, aber da ist seit einiger Zeit zu beobachten, dass es Schwierigkeiten mit der Rückzahlung gibt. Und ich war immer der Ansicht, die Chinesen werden sich noch wundern.

Es gibt ja auch zum Beispiel in Afrika die Bewegung im Volke, die sagt, jetzt reicht’s uns mit dem chinesischen Einfluss. Dieser Einfluss fährt durch die Städte mit chinesischen Mopeds, alles, was technisch ist, kommt ja aus China. Eine afrikanische technische Produktion, auch einfache Dinge wie von Mopeds wird natürlich dadurch verhindert. Immer mehr Menschen in Afrika erkennen das auch und deswegen steigt die Skepsis gegenüber dem chinesischen Engagement in Afrika. Das kann man feststellen.

Holger Douglas: Das ist ja auch Ihr Thema. Sie sagen, Afrika braucht unser Geld eigentlich nicht. Ja, im Gegenteil. Entwicklungshilfe und diese ganzen Gelder sind kontraproduktiv. Warum denn?

Kurt Gerhardt: Weil wahre Entwicklung nur die ist, die Menschen aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft bewirken. Und zwar mit der Kraft ihrer Köpfe, des Geistes und der Kräfte der Arme. Das heißt, im Deichbau eine Schippe in die Hand nehmen. Man kann ganz viel mit eigenen Kräften machen und das ist Entwicklung. Entwicklung ist nicht, was man Menschen schenkt, das ist eine ganz wesentliche Entwicklungsbremse der Afrikaner aufs Ganze gesehen. Aber jeder Fall ist wieder anders. 55 Staaten können sie nicht einzeln ansprechen. Aber Afrikaner leben zu sehr von Geschenken. Sie leben von den Geschenken der Natur, von diesen wahnsinnig reichen Bodenschätzen. Was sie dem Boden abgewinnen, brauchen sie nicht mehr zu erarbeiten.

Das ist nicht gut. Sie kriegen sehr viel an Entwicklungshilfe – von der Weltbank bis bis nach Berlin. Und es sind ja viele Milliarden Dollar, die dann Jahr für Jahr nach Afrika fließen und ein Geschenk darstellen. Auch das andere ist nicht zu verachten. Es leben ja viele Afrikaner und arbeiten im Ausland. Der Fachausdruck dafür ist die Diaspora. Und sie wissen wahrscheinlich, welche Rolle die Familie, besonders die Großfamilie, auch in Afrika spielt. Die hängen eng zusammen. Wenn jemand aus der Familie in England oder in Deutschland oder sonst wo ist und arbeitet, dann erwartet die Familie viel. Das geht so weit, dass manche Afrikaner nicht nach Hause fahren möchten, weil sie dem Druck nicht standhalten können, die Interessen ihrer Familie zu bedienen, weil sie nicht genug gespart haben oder sparen konnten.

Insgesamt sind die Rückflüsse, die Rücküberweisungen, wie sie auch genannt werden, enorm. Das ändert sich zwar von Jahr zu Jahr wie auch die Entwicklungshilfe, das ist klar. Aber das ist viel geschenktes Geld, das von der Diaspora nach Afrika fließt. Diese drei Geschenk-Faktoren: Entwicklungshilfe, Bodenschätze, Rücküberweisungen sind Entwicklungsbremsen. Denn was von außen geschenkt wird, brauche ich nicht mehr zu erarbeiten.

Holger Douglas: Welche Wirkungen wird denn das haben, was jetzt gerade vor allem deutsche Politiker tun, nämlich durch afrikanische Staaten zu laufen und bedingungslos Milliarden zu hinterlassen für neue Wasserstoff-Projekte, weil da ja ach so viel Sonne scheint.

Kurt Gerhardt: Also ich bin kein Technicus, der sagen kann, wie das geht mit diesem Wasserstoff. Ich hatte nur eine Reaktion sofort. Ich habe die Hände über meinem Kopf zu schlagen. Schon wieder eine Geschenk-Quelle, schon wieder werden jetzt, um an diese Energie zu kommen, die auf diese Weise mit dem Wasserstoff entstehen soll, wieder viele Gelder nach Afrika fließen, mit vielen Gelegenheiten für die korrupten Eliten, abzuzweigen, dahin zu leiten, wo es nicht hingehört, nämlich auf die eigenen Bankkonten. Das wird wieder diesen vermaledeiten Geschenk-Effekt vergrößern.

Holger Douglas: Und die Korruption weiter befördern, die ja eines der größten Hindernisse ist, wie kriegt man die Korruption in Afrika weg?

Kurt Gerhardt: Das ist eine Frage, zu der mir nicht viel einfällt, zumal ich ja an der Korruption selbst mitgewirkt habe, als ich in Afrika gearbeitet habe. Wir waren mal mit der Familie unterwegs an der Grenze zwischen Mali und Burkina Faso und mussten an der Grenze irgendwie wieder was zahlen: Visum-artige Gebühren. Mittagshitze, kleine Kinder. Und dann ist da so eine kleine Bude mit einem Soldaten, die Grenze ist gerade geschlossen von zwölf bis vierzehn. Sie kommen da um 12:15 an, sie wissen aber genau, wenn sie dem Kerl einen 20 Mark-Schein in die Hand drücken, dann macht er die Grenze kurz wieder auf. Was machen Sie? Ja, sehen Sie, dann macht man das, was ein Vernünftiger tut, schon um die Kinder zu schützen. Er zahlt und verstärkt damit die Korruption.

Holger Douglas: Also diese Selbstverpflichtungen, Erklärungen, mit denen deutsche Firmen so gerne um sich her winken, die nutzen nichts.

Kurt Gerhardt: Das weiß ich nicht, ob sie gar nichts nützen. Aber sie glauben, man könnte die Korruption auf Knopfdruck verändern. Wenn Hochtief oder irgendeine große Baufirma einen Auftrag aus Nigeria kriegt oder die erfahren davon, dass da eine Ausschreibung ist, die wollen, was weiß ich, eine Autobahn oder sonst was, einen Hafen oder anderes bauen. Und jetzt kommen die ausländischen Firmen und hätten den Job gerne und glauben, sie kämen damit als Mitbieter zurecht, wenn sie überhaupt gar nicht schmieren. Das ist natürlich naiv. Wenn da der Abgesandte der Firma Hochtief sagt, Nein, das tue ich nicht, kriegt er natürlich den Auftrag nicht.

Holger Douglas: Herr Gerhardt, ich bedanke mich vielmals für das Gespräch und die Informationen, die wir von Ihnen bekommen konnten.

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