Tichys Einblick
Vollendete Tatsachen für EU

Niger hebt Gesetz zur Schleuserbekämpfung auf

Die Militärjunta im Niger hat ein Gesetz von 2015 aufgehoben. Das Land gilt als Drehscheibe der illegalen Migration. Nun soll auch der Transport von Migranten wieder legal sein. Für die EU kommt das zur Unzeit. Unklar ist, ob der Staatenbund einem höheren Migrationsdruck aus Westafrika Stand halten könnte.

IMAGO / Independent Photo Agency

Im Niger hat der General Abdourahmane Tchiani, Präsident des Nationalen Rates zur Rettung des Vaterlandes, am Samstag ein Gesetz „über den illegalen Handel mit Migranten“ aufgehoben. Das Gesetz, das am 26. Mai 2015 unter Tchianis Vorgänger Mohamed Bazoum beschlossen wurde, soll in der Folge für eine deutliche Verminderung der illegalen Migrationsströme über das westafrikanische Land gesorgt haben. Die Begründung der nigrischen Militärjunta, die am Montag im staatlichen Radio und Fernsehen verlesen wurde, lässt aufhorchen. Nicht nur sei das Gesetz „unter dem Einfluss einiger ausländischer Mächte verabschiedet worden“, es stufe auch bestimmte „von Natur aus regelmäßige Aktivitäten als illegalen Handel“ ein und stelle sie unter Strafe.

Anwendung hatte das Gesetz vor allem in der Region von Agadez im Norden des Landes gefunden – dort, wo eine bis dahin wichtige Route aus Westafrika nach Algerien und Libyen vorbeiführte. Angeblich gelang so ab 2016 eine Reduktion von 300.000 auf unter 50.000 Durchreisen jedes Jahr, wie in der Welt (Plus-Artikel) https://www.welt.de/politik/ausland/plus248739314/Niger-setzt-Migrationspakt-ausser-Kraft-Scherbenhaufen-fuer-die-EU.html zu lesen ist. Der Niger soll auch Migranten in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt und so den Fluss zumindest gebremst haben. Aber jede solche Angabe bleibt ungewiss. Viele Migranten werden schlicht andere Routen durch die Sahara gewählt haben. Niger und Agadez speziell blieben eine Drehscheibe der illegalen Migration auf dem Weg durch die Sahara an die Mittelmeerküste.

Menschenschmuggel und Schlepperei scheinen die Militärdiktatoren im Niger für einen normalen Wirtschaftszweig zu halten. In der Tat schreibt ein Sprecher der Regierung auf Facebook, das Gesetz habe „den Transport von Migranten kriminalisiert“. Gute Nachrichten für alle, die durch die Anwendung des Gesetzes im Gefängnis sitzen. Die EU soll einfach weiter „gestikulieren“. Sein Kommentar fand breiten Anklang bei anderen Nutzern. Das Gesetz habe der „Jugend von Agadez“ geschadet, schrieb ein Nutzer. Dabei dürfte es sich um eine Melange aus Schleppern und Schleppungswilligen handeln. In Agadez sitzen zudem die eher juntakritischen Tuareg, die traditionell von der Schlepperei leben.

Das nun aufgehobene Gesetz stand laut der Begründung der Junta außerdem „in eklatantem Widerspruch zu unseren Gemeinschaftsregeln“ (in verschiedenen supranationalen Organisationen, mit eigenen Freizügigkeitsregeln) wie auch zu den Interessen des Niger und seiner Bürger im Speziellen. Man habe es wegen seiner „schädlichen Auswirkungen und dem Angriff auf die öffentlichen Freiheiten“ aufgehoben. Die Junta will offenbar Freizügigkeit über Landesgrenzen herstellen.

Wenn alles zuvor Gesagte eigensinnig schien, dann versteht man den vorletzten Punkt wieder sehr gut. Es geht also um Eigeninteressen, die das Land durchsetzen will. Man hat gerade vom Balkan gehört, dass Schlepperei ein lukratives Geschäft ist und von radikalen Islamjüngern gerne als Einkommensquelle genutzt wird. Von direkten Nachbarstaaten der EU (Türkei, Marokko, Tunesien) weiß man, dass sich im Austausch gegen Migrationsabkommen saftige Gebühren herausschlagen lassen.

Wanderungsrouten werden sich ändern, vielleicht auch das Volumen

Die Aufhebung des Gesetzes ist vor allem ein Signal, dass der Zuzug mehr werden könnte, weil er nun ungehemmter und auf direkterem Wege fließen wird, und dass die Junta daran verdienen will, nachdem die EU-Staaten das Land auf Drängen Frankreichs im Sommer mit Sanktionen belegt haben. Derweil hat der Niger ein Solarfeld mit einer Stromerzeugung für angeblich 500.000 Personen eröffnet. Finanziert wurde das 30-Millionen-Euro-Projekt aber größtenteils von Frankreich und der EU. Außenbeauftragter nutzte die Inbetriebnahme für einen kleinen

Das Gesetz sah Freiheitsstrafen von einem bis 30 Jahren und Geldstraßen zwischen drei und 30 Millionen CFA-Francs (4.500 bis 45.000 Euro) für überführte Schleuser vor. Die in den letzten acht Jahren verhängten Strafen wurden auch rückwirkend aufgehoben, was auf ein vitales Eigeninteresse der Junta hinweisen könnte. Geht es hier um eigene Anhänger, die aus der Haft gelöst werden und von finanziellen Lasten befreit werden sollen? Werden die verhängten Bußgelder nun wieder zurückgezahlt? Das Justizministerium behält sich allerdings vor, die Listen der Freizulassenden nötigenfalls auszudünnen.

Die Festnahmen von Schleusern scheinen sich allerdings in engen Grenzen gehalten zu haben, von einigen Dutzend ist die Rede. In Agadez blieben sie zuhause, die Stadt blieb Verteilerpunkt, wie man auch an der Mittelmeerküste erleben konnte. In Tunesien hat sich der Abfahrtshafen Sfax zuletzt so sehr mit Subsahara-Afrikanern gefüllt, dass es sogar Präsident Kais Saied zu viel wurde und er die Migranten zurück nach Libyen schickte.

Für Deutschland kommt die Aufhebung zur Unzeit

Nun müssten sich die unmittelbaren Nachbarstaaten Algerien und Libyen gegen einen Ansturm rüsten. Und wenn sie es nicht können, dann müssen es die EU-Staaten. Insofern ist die Gesetzesaufhebung auch eine Chance, weil sie den Europäern zeigt, woran sie in dieser Welt sind. Genau das scheint auch ein nigrischer Journalist zu empfehlen, der schreibt: „Die Europäische Union könnte nach der Entkriminalisierung von Menschenschmuggel im Niger harte Maßnahmen gegen Migranten ergreifen.“ Oder warnt er die Schlepper und Schlepperkunden?

Für Deutschland kommt die Aufhebung zur Unzeit – solange man davon ausgeht, dass die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP die illegale Zuwanderung überhaupt als Last empfindet und sie ernsthaft und nachhaltig reduzieren will. Gerade erst hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu entschlossen bzw. über zahlreiche Verzögerungen dazu durchgerungen, stärker gegen Schlepperei an deutschen Grenzen vorzugehen, da scheint ihr das westafrikanische Land einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die internationale Schlepperei wird so nochmals gestärkt. Zwar dominieren in der deutschen Asylstatistik die bekannten vorderasiatischen und einige ostafrikanische Länder (aktuell etwa Somalia und Eritrea). Aber die Westafrikaner können ja noch dazu kommen.

Schon viele tausend Nigerianer (aus dem südlichen Nachbarland Nigers), Ghanaer und Togolesen sind durch das deutsche Asyl- und Sozialstaatsversprechen hergekommen. So sind allein 14.000 Nigerianer ausreisepflichtig. Die Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber sind derweil überfüllt, Wohnraum ist knapp, ebenso gibt es einen Fachkräftemangel in der ‚Asylindustrie‘ des Landes – also dort, wo es angeblich um die ‚Integration‘ der Ankommenden geht. Doch das ist die letzte Sorge des Landes und seiner Mächtigen von heute.

Ein deutscher Bundesinnenminister hätte jeden Grund, eine sofortige EU-weite Initiative für eine Blockade der illegalen Zuwanderung über das Mittelmeer einzubringen. Zu erwarten ist es nicht. Denn bisher hat sich Faeser nicht gegen illegale Zuwanderung an sich ausgesprochen. Nur dass Schlepper dabei mithelfen, scheint ihr nicht zu gefallen, es sei denn sie heißen Sea-Eye, Sea-Watch oder SOS Humanity. Dann bekommen sie dafür sogar Geld von Bund, Kirchenvereinen und Gemeinden.

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