Coup im Niger: Der Westen verliert einen weiteren Verbündeten
Matthias Nikolaidis
Für den Westen war der Niger das letzte Bollwerk gegen Islamismus und illegale Migration in der Sahelzone. Zudem liefert das Land Uran für die französische Kernenergie. Nun übernimmt ein General die Macht – mit dem Segen Moskaus?
Im Niger scheint sich die Machtübernahme der Putschisten zu stabilisieren. Keine 48 Stunden nach Beginn des Putsches hat sich der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, in einer Fernsehansprache zum Machthaber ernannt. Am Mittwoch hatte die Präsidentengarde den vor zwei Jahren gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum in seinem Palast festgenommen.
Vor der Nationalversammlung fanden sich indes hunderte meist junge Männer ein, um den Putsch zu unterstützen. Dabei schwenkten sie russische Fahnen und riefen antifranzösische Slogans, wie die französische Nachrichtenwebsite 20 Minutes berichtet. Videos aus Niamey zeigen eben das. Auch auf Euronewsgab es Bilder dazu. Auf Transparenten forderten einzelne Demonstranten aber den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Land.
Zuvor hatten die Putschisten – da noch ohne Tchiani in ihren Reihen – die Schließung der Grenzen zu Land und in der Luft sowie ein Ausgangsverbot verkündet. Alle Institutionen mussten vorerst ihre Arbeit einstellen. Die Polizei und Gendarmerie unterstützen den Putsch laut Berichten. Die Putschisten wollen nach eigenen Worten der kontinuierlichen Verschlechterung der Sicherheitslage entgegentreten und dem schlechten Regieren in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht ein Ende machen. Am Donnerstag wurde angeblich das Büro der Präsidentenpartei angegriffen, mehrere Autos davor wurden angezündet.
Deutschland, Frankreich und die USA haben den Putsch verurteilt. Annalena Baerbock schrieb auf Twitter: „Wo Militärs mit Gewalt nach Macht greifen, schaden sie ihrem Land.“ US-Außenminister Anthony Blinken wollte sich nicht festlegen, ob es sich rechtlich gesehen um einen Coup handelt. Er rief zur sofortigen Freilassung von Präsident Bazoum auf. Vor einigen Monaten hatte er das Land offiziell besucht. Niger sei eine junge Demokratie in einem herausfordernden Teil der Welt, lautet Blinkens aktuelle Analyse.
Laut dem nigerischen Außenminister Hamoudi Massoudou steht nicht die gesamte Armee hinter dem Putsch. So hofft man auch in Frankreich, dass der Coup noch rückgängig zu machen sei. Die Lage sei „konfus“ und noch in Entwicklung begriffen. Diese Einschätzung dürfte nun schon der Vergangenheit angehören.
Schlag für Frankreichs Sahel-Politik – China ist interessiert
Laut dem Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung Ulf Laessing flossen „enorme Summen für die Entwicklungszusammenarbeit“, seit Niger Mali als westlichen Stützpunkt im inneren Westafrika ablöste. Von Frankreich erhält der Niger jährlich 100 Millionen Euro Entwicklungshilfe. Daneben scheinen 40 Millionen Euro für die neue EU-Ausbildungsmission durchaus erwähnenswert.
Für die französische Position in der Sahelzone ist der Putsch ein weiterer Schlag. Ungefähr 1.500 französische Soldaten sind heute in der nigrischen Hauptstadt Niamey stationiert und arbeiteten bisher eng mit den Streitkräften des Landes zusammen. Von hier aus wurde der Luftkrieg gegen die Dschihadisten im östlichen Teil Malis geführt. Auch die Bundeswehr unterhält einen Lufttransportstützpunkt mit rund 100 Soldaten im Land. Ebenso sind die USA mit Kräften und einem Stützpunkt vertreten. Niger war einer der letzten Verbündeten des Westens in der Sahelzone. Er ist zudem ein entscheidendes Land für die illegale Migration, grenzt im Norden an Algerien und Libyen.
Vor allem ist das Land aber als Uran-Abbauort für Frankreich interessant. Der Uranexport machte in den letzten Jahren bis zu 70 Prozent der nigrischen Exporte aus. Ausgebeutet werden die Minen von dem französischen Unternehmen Orano. Die Importe aus dem Niger tragen laut Orano heute zehn bis 15 Prozent zum Bedarf der französischen Kernkraftwerke bei; es waren einmal weit mehr. Frankreich hat seine Budgethilfe an das Land nun vorerst ausgesetzt, ebenso sollen Entwicklungshilfe-Aktionen würden mit sofortiger Wirkung gestoppt werden, teilte das französische Außenministerium mit.
Inzwischen scheint sich auch China für das nigrische Uran zu interessieren, vor allem für das neue französische Tagebauwerk Imouraren, das noch nicht in Betrieb ist. Im Norden des Landes fördert China bereits Erdöl, das in einer eigenen Raffinerie verarbeitet wird. Eine chinesische Pipeline nach Benin am Atlantik ist ebenfalls im Bau.
Peskow: Solche Ereignisse sind unmöglich zu ignorieren
Könnte auch die Wagner-Gruppe Einfluss auf die Geschehnisse genommen haben? Solches behauptet der französische Kommandant im Niger, Bruno Baratz laut FAZ. Eine „massive Desinformationskampagne“ russischer Trollfabriken gäbe es demnach in der Region: „Russland führt einen Informationskrieg und greift alle französischen Positionen an. Diese Kampagne betrifft alle Länder in der Region und wirkt auf Destabilisierung hin, um potentielle Märkte für Wagner zu erschließen.“ Märkte für eine Miliz. Das deutet auf eine Kommerzialisierung des Krieges hin, die auch andernorts kein unbekannter Gedanke ist.
Die nigrischen Putschisten besitzen laut französischen Regierungskreisen enge Beziehungen zur Militärregierung in Mali, die schon seit Jahren von der Söldnertruppe unterstützt wird. Auch mit Burkina Faso könnte es politische Gemeinsamkeiten geben. Außerdem habe der nigrische Präsident Bazoum die Einladung zum derzeit stattfindenden Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg ausgeschlagen.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gab sich sibyllinisch: Der Sturz Bazoums werde „am Rande des Gipfels … aktiv diskutiert“, da „solche Ereignisse auf dem afrikanischen Kontinent“ unmöglich zu ignorieren seien. Präsident Wladimir Putin erklärte derweil, Afrika entwickle sich politisch und wirtschaftlich zu einem „neuen Machtzentrum“. Zahlreiche russisch-afrikanische Kooperationen wurden am Rande des Gipfels öffentlich, etwa die Lieferung von Mi-35-Kampfhubschraubern nach Nigeria – dem südlichen Nachbarn von Niger mit neun Mal so großer Bevölkerung – oder die Zusammenarbeit in der „internationalen Informationssicherheit“ mit Simbabwe. Russland wolle zur „Konfliktverhütung“ auf dem Kontinent beitragen. Der Westen habe die afrikanischen Länder mit dem Getreidedeal getäuscht, da nur eine geringe Menge nach Afrika gegangen sei.
Der autokratische Präsident Ugandas, Yoweri Museveni, konnte gar den gemeinsamen Bau eines Kernkraftwerks mit Russland vom Petersburger Gipfel aus verkünden. Auch in Nigeria baut Russland ein Kernkraftwerk. Derweil engagiert sich Deutschland in Uganda mit 68,8 Millionen Euro für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, ländliche Entwicklung und Flüchtlingsversorgung. Irgendetwas, was Geld abwürfe, statt nur zu kosten, scheint nicht auf dem Programm der Bundesregierung zu stehen.
Blinken mag nicht entscheiden, ob es ein Coup ist
Vorausgegangen waren seit 2020 Umstürze in Mali und Burkina Faso, einem weiteren Nachbarland Nigers. Zuerst gab es mehrere Putsche in Mali, dem Land einer Jahre währenden UN-Mission MINUSMA mit tausenden stationierten Truppen (wobei aber die paar hundert Europäer eher untergehen). Vielleicht ist ein solcher UN-Söldnerstaat im Staate doch kein Erfolgsmodell für Stabilität. Im vergangenen Dezember hat die malische Übergangsregierung jede französische Aktivität im Land untersagt. In Mali ist auch die Wagner-Gruppe präsent. Im Februar 2023 besuchte der russische Außenminister Sergej Lawrow die Hauptstadt Bamako.
In Burkina Faso gab es zwei Putsche im vergangenen Jahr. Auch hier ging es vor allem um den Kampf gegen dschihadistische Milizen, den die demokratischen oder pseudodemokratischen Amtsinhaber nicht entschieden genug geführt hätten. Nun könnte eine Neuorientierung des Nigers Richtung Moskau und Peking anstehen. Mit seiner hyperaktiven Interventions- und Einmischungspolitik hätten die führenden Mächte des Westens – USA, Frankreich, Deutschland – einmal mehr das Gegenteil des von ihnen angeblich Angestrebten erreicht. Ein weiteres Land hat sich von den westlichen Anforderungen entfremdet. Dass Moskau und Peking hier die wahre Autonomie bringen, ist indes nicht klar, ja scheint letzten Endes zweifelhaft. Erst einmal könnten Beziehungen mit den beiden Großmächten aber mehr Wirtschaftschancen bei weniger Einmischung und damit größerer Stabilität bedeuten.
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