Tichys Einblick
Im Streit um Asyl, Natur und Stickstoff:

Wie Wilders den EU-Ausstieg der Niederlande anpacken will

Geert Wilders ist mit seiner PVV im Zentrum der Macht angekommen. Zusammen mit drei anderen Parteien will er die „strengste Asylpolitik aller Zeiten“ einführen, mit oder ohne die EU. Die sieht so etwas nicht gern. Und: Er will den "Opt-Out" - die Niederlande übernehmen aus Brüssel nur, was ihnen paßt.

picture alliance / ANP | Sem van der Wal

Nach sechs Monaten Verhandlungen steht die neue niederländische Viererkoalition, auch wenn der Posten des Premierministers noch unbesetzt ist. Den könnte originellerweise der Sozialdemokrat Ronald Plasterk (PvdA) übernehmen, der bereits als „Informateur“ die Verhandlungen zwischen den vier (eher) rechts stehenden Parteien leitete. Es gab aber Diskussionsbedarf zwischen Plasterk und dem NSC-Vorsitzenden Pieter Omtzigt: Am Freitag entschuldigte sich Plasterk in einem Brief an den Telegraaf öffentlich dafür, am Anfang der Koalitionsgespräche über selbige geplaudert zu haben. Aber auch damit ist der Posten noch nicht vergeben, ebenso wie die anderen Regierungsämter.

Schon fertig ist aber ein Regierungsprogramm in zehn Punkten, in denen es vor allem um die wirtschaftliche Existenzsicherung und den Erhalt der Kaufkraft der Niederländer geht, um die Kontrolle von Einwanderung und Asyl und die Abschaffung unbeliebter Regelungen aus dem Bereich des EU-Green-Deal. Am Donnerstag hat Geert Wilders über dieses Programm gesprochen und einschneidende Veränderungen für die Niederlande unter der kommenden Regierung angekündigt.

Bauernproteste waren erfolgreich
Die Niederlande trauen sich: keine Einwanderung, Kernkraftwerke, Verbrenner, weniger ÖRR
Angeführt wird sie von Wilders’ Partei für die Freiheit (PVV, 37 Sitze in der ersten Kammer). Daneben sind die rechtsliberale VVD (früher von Mark Rutte angeführt, 24 Sitze), die Bewegung der Bauern und Bürger (BBB, sieben Sitze in der ersten Kammer, 16 in dem durch Regionalwahlen bestimmten Senat) und der relativ neue christdemokratische Nieuw Sociaal Contract (NSC, 20 Sitze) an der Koalition beteiligt. Die drei Parteiführer saßen bei Wilders’ Rede in der ersten Reihe.

BBB-Vorsitzende Caroline van der Plas freute sich ausgesprochen über die Einigung: „Es ist phantastisch, dass das Baby geboren wurde.“ Von den anderen Koalitionären sind keine derart enthusiastischen Statements überliefert. Der NSC hatte lange am meisten Bedenken. Die neue VVD-Vorsitzende Dilan Yesilgöz-Zegerius fordert heute eine stärkere Kontrolle der Zuwanderung – eine Verbeugung vor den Realitäten, die Mark Rutte mit seinem Abtritt einleitete.

Einige Wähler wundern sich dennoch, wie die einst uneinigen Parteien nun plötzlich so eng beieinander stehen sollen. Es gibt aber sogar Applaus von „nicht rechten“ Wählern, die erkennen, dass es gelegentlich eine „strenge Richtlinie“ geben muss, damit sich etwas ändert. Ein junger Marokkaner namens Yassin Taha el Idrissi findet, die Niederlande seien zum „Killerland“ geworden, ohne Vertrauen zu den Nachbarn. Er hat eine andere Partei gewählt, glaubt aber, dass Wilders „viele gute Ideen für die Niederlande“ hat – zum Beispiel die angekündigten umfangreichen Steuersenkungen. Er solle nur nicht alle Marokkaner in einen Topf werfen.

„Irreguläre Migranten werden nach Deutschland zurückgeschickt“

Die PVV ist laut Wilders endlich im „Zentrum der Macht“ angekommen, an dem Ort, von dem sie – obwohl bereits größte Partei im Parlament – lange ferngehalten wurde. Insofern ist Wilders zufrieden. Ohne Zweifel sein Hauptprojekt ist es, die illegale Migration in die Niederlande wo nicht zu stoppen, so doch deutlich zu bremsen. Das erste konkrete Vorhaben, das er benennt, ist ein „Asylkrisengesetz“, das offenbar im nationalen Rahmen eine Antwort auf verschiedene Probleme geben soll. Wilders will wirklich strikte Grenzkontrollen einführen, unter anderem mit dem (von der Bild berichteten) Grundsatz: „Irreguläre Migranten, die bei Landgrenzkontrollen angetroffen werden, werden sofort nach Deutschland und Belgien zurückgeschickt.“ Ist es wirklich so einfach?

Außerdem wollen die neuen Partner das erst kürzlich beschlossene Gesetz zur Verteilung von Migranten auf die niederländischen Kommunen aufheben. Die nun mitregieren wollende VVD hatte diesem Gesetz noch zugestimmt. Den unbegrenzten Flüchtlingsstatus will Wilders abschaffen. Migranten mit Aufenthaltsstatus sollen bei der Verteilung von Sozialwohnungen nicht mehr bevorzugt werden. Es soll die „strengste Asylpolitik aller Zeiten“ werden.

Dann das vielleicht wichtigste Vorhaben, an dem vieles hängen wird: Wilders will in Brüssel eine Ausnahme von den EU-Asylregeln aushandeln, einen sogenannten Opt-out. Das könnte die Niederlande in eine vergleichbare Position wie die Dänen bringen, die schon heute weitgehend freie Hand bei der Gestaltung ihrer nationalen Regeln für Asyl und Einwanderung haben und diesen Freiraum auch nutzen.

Partieller EU-Ausstieg, Opt-out – ein Projekt auf Treibsand?

Natürlich widersprechen hier Oppositionspolitiker, zumal wenn sie selbst im EU-Parlament sitzen: Solch ein Opt-out sei „auf Treibsand“ gebaut, meint der EU-Abgeordnete Gerben-Jan Gerbrandy von der links-liberalen D66-Partei. Und tatsächlich bestätigte Kommissionssprecher Eric Mamer: „Man kann nicht aus der EU-Gesetzgebung aussteigen. (…) Wir arbeiten auf der Grundlage der bestehenden Verträge und der bestehenden Gesetzgebung.“ Zu dumm für Wilders: Sein Vorgänger Mark Rutte hatte erst im Dezember dem neuen EU-Asylrecht inklusive verpflichtender Verteilung von „Flüchtlingen“ in die außengrenzenfernen Länder zugestimmt. Wenn ein EU-Vertrag oder eine gesetzliche Regelung einmal beschlossen ist, soll also kein Opt-out mehr möglich sein. Das aber wäre eine Ewigkeitsgarantie für ihre eigenen Rechtstexte, die sich die EU schon heute nicht mehr leisten kann.

Ein anonymer EU-Beamter fügte hinzu, hier würden Dinge versprochen, die von vornherein als hoffnungslos gelten müssten. „Das schadet dem Ruf der Politik.“ Hier könnte man an ganz andere Dinge denken, die „dem Ruf“ der Politik viel mehr schaden. Auch Wilders ahnt anscheinend, dass ein echtes Opt-out noch Jahre in der Zukunft liegen könnte, „wenn es überhaupt kommt“, wie er der französischen Agentur AFP sagte – einfach weil die Dinge in der EU vermutlich so zäh bleiben werden, wie sie sind. Doch die Zeit spielt für Wilders, solange die „Grenzen der Aufnahmefähigkeit“ in immer mehr EU-Staaten zu neuen und anderen Wahlergebnissen führen.

Harter Aufprall in der Realität:
Geert Wilders neue Regierung – ein Beben für die EU und Vorbild für Deutschland?
Auch für die Themen Natur und Stickstoff will Wilders mit seinen Koalitionspartnern Ausnahmen oder zumindest einen Aufschub der EU-Regeln in den Niederlanden erwirken. Durch die Flut der EU-Regelungen ist sogar ein allgemeiner und verständlicher Begriff wie „Natur“ zum Streitobjekt geraten, weil er heutzutage für kaum etwas anderes steht als die Ideologie des menschengemachten Klimawandels, der um fast jeden Preis wiederum von Menschen beeinflusst werden soll.

Letztlich könnte das Ganze aber auf die Frage hinauslaufen, ob die Niederlande in der EU bleiben wollen oder meinen, dass die Nachteile mittlerweile die Vorteile überwiegen. Man kennt ja aus den Brexit-Verhandlungen die Abneigung der EU-Großen gegenüber dem sogenannten „cherry picking“. Dieser (störrische) Krug geht also so lange zum Brunnen, bis er bricht. Und auf der anderen Seite gilt: Wilders wird immer weniger zu verlieren haben, die EU schon, nämlich die fünftgrößte Volkswirtschaft in dem Staatenblock. Wilders aber hat die ansteigenden Probleme in EU und Niederlanden als Rückenwind.

Probleme, die auf der Straße liegen blieben

Daneben will die Wilders-Koalition die Selbstbeteiligung bei Krankheitskosten auf 165 Euro senken und damit mehr als halbieren (bisher 385 Euro pro Jahr). Gleichzeitig sollen 600 Millionen Euro in das Gesundheitssystem fließen. Steuersenkungen in Höhe einiger Milliarden (!) Euro, namentlich bei der Energiesteuer, sollen folgen. Auch die Benzinsteuer will man senken. Das ist ein erstaunlicher Strauß an Wohltaten, bei dem ein „Liberaler“ wie Lindner nur vor Neid erblassen kann.

Dafür soll die Entwicklungshilfe zusammengestrichen werden. Die Pflicht zur Wärmepumpe will Wilders abschaffen, und die Koalitionspartner folgen ihm darin, was sicher auch eine Wohltat für viele Hausbesitzer und Mieter ist. Neue Kernkraftwerke sollen gebaut werden – entgegen der Politik in Paris oder Berlin –, der Wohnungsbau soll durch Investitionen angetrieben werden. Das Tempolimit will die neue Regierung, wo möglich, auf 130 Kilometer pro Stunde anheben. Auch Bauern und Fischer sollen mehr Beinfreiheit bekommen. Hier geht es sicher um die Green-Deal-Regeln, die namentlich die niederländischen Bauern auf die Straße trieben. Sie bildeten damit die Speerspitze der europäischen Bauern, die ebenso von den vielfach widersinnigen Regeln betroffen sind.

Am Ende folgen auch ernste Worte von Wilders. Er will den Terror – auch den „Straßenterror“, ein im Deutschen noch unbekanntes Wort – hart bekämpfen. Kriminelle „Flüchtlinge“ sollen selbstredend abgeschoben werden. „Die Niederlande werden sicherer werden, und die Sonne wird wieder scheinen“, ist der bildhafte Ausdruck, den Wilders an dieser Stelle zum zweiten Mal einflicht. Er schließt mit den Worten: „Die Niederlande werden wieder uns gehören.“ Eine Bemerkung, deren ohne Frage unbequemen Stachel für einige er etwas zu mildern sucht, indem er sich zugleich eindeutig dazu bekennt, für alle „Einwohner“ der Niederlande arbeiten zu wollen.

Das ist die notwendige Bedingung jedes Regierungshandelns. Die PVV hat ihre Erfolge auch darauf begründet, dass andere Parteien (vor allem auch die VVD von Mark Rutte und jetzt Yesilgöz-Zegerius) dies eben nicht taten, sondern sich in erratischem Öko- und Klima-Interventionismus verfingen, während sie die großen Probleme mit Zuwanderung und Asyl im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße liegen ließen.

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