Darf man jetzt ohne Polemik Schlepper sagen? Geht es nach dem Landgericht Berlin, dann bestehe ein „gewisser Sachbezug“ in der Causa Carola Rackete. Die hatte gegen die Brüsseler AfD-Delegation geklagt, weil sie die Ex-Skipperin als „Sea-Watch-Schlepperin“ bezeichnet hatte. „Wer vor der nordafrikanischen Küste Flüchtlinge aufs Mittelmeer lockt und diese dann wie ein bestellter Shuttleservice nach Europa bringt, ist ein Schlepper. Punkt“, sagt der AfD-Abgeordnete Markus Buchheit.
Mit dem Problem des „Shuttleservice“ hadert auch Rom seit Jahren. Als Italien unter der damals neuen Regierung von Giorgia Meloni ihren neuen „See-Codex“ für NGOs erließ, war klar: Bis die Regeln fruchteten, würde Zeit vergehen. Die „Seenotretter“ liefen vom ersten Tag Sturm, weil sie wussten, was die Regeln bedeuteten, indes Kritiker von rechts das Regelwerk wiederum als zu zahm bezeichneten, gar dessen Scheitern angesichts der Migrationskrise des Folgejahres diagnostizieren.
Mit dem Ausscheiden von „Ärzte ohne Grenzen“ (Médecins sans Frontières, MSF) kann Meloni einen Sieg für ihre Strategie verbuchen. Dass die Ministerpräsidentin dabei über den legalistischen Weg gegangen ist, statt sich groß in Szene zu setzen und mit Symbolaktionen zu punkten, hat dabei den Vorteil, dass sie sich weniger angreifbar macht als dazumal Matteo Salvini.
Auch der Vorwurf, Rom würde mit seiner Politik dem Sterben im Mittelmeer Vorschub leisten, spiegelt sich in den Daten nicht wider. Im Oktober ging ein Bericht durch die italienischen Medien, der in den letzten 10 Jahren rund 30.000 Mittelmeertote belegte. Die Hochphase war dabei unter der linken Regierung in den Krisenjahren 2014 bis 2016 (2014: 3.289, 2015: 4.055, 2016: 5.139). Damals konnten die NGOs ungehindert operieren.
Zwar gab es 2023, im Migrationskrisenjahr der Meloni-Regierung auch einen Anstieg der Fälle (3.155 Tote), doch ist diese Zahl mittlerweile deutlich gefallen. Für 2025 geht man von rund 1.500 Toten aus. Das ist einer der niedrigsten Werte in den Aufzeichnungen. Einzig in den Salvini-Jahren war die Zahl geringer. Es zeigt sich also, dass für die tatsächliche Seenotrettung die italienische Küstenwache nicht die Hilfe von außen braucht.
Zugleich hat Meloni mit ihrem Codex die NGOs entlarvt, die Rom vorwerfen, ihre Arbeit ineffizient zu machen. Von Anfang an war die Strategie Roms, durch die Zuweisung eines Zielhafens die Absurdität der eigenen Ambitionen aufzuzeigen. MSF beklagt sich, dass sie bis zu 1.000 Kilometer vom Einsatzgebiet entfernt ankern müssten, bevor sie wieder ins zentrale Mittelmeer reisen könnten. Ginge es den NGOs wirklich um Seenotrettung, dann könnten sie ebenso gut in Tunis ausladen und wieder zügig zurückkehren.
Bezeichnend ist: Teils liegen sogar die Balearischen Häfen näher, aber die NGOs visieren diese trotz der dort regierenden Linkskoalition nicht an. Es geht und ging um eine Machtprobe.
Vor allem hat diese Strategie aber die finanziellen Ressourcen der NGOs überspannt – übrigens eine Langzeitstrategie der Meloni-Regierung, die sehr früh feststand. Ancona liegt rund 1.000 Kilometer von Lampedusa entfernt – Luftlinie. Ärzte ohne Grenzen geben eine Strecke von 1.575 Kilometern an. Die Organisationen müssen dabei nicht nur die Strecke zum Zielhafen hin, sondern auch diese zurückfahren. Angesichts der derzeitigen Treibstoffpreise sind die Kosten höher. Klimabewusste, fossilfreie Schiffe gibt es bekanntlich nicht.
Dass sich andere „Seenotretter“ noch halten können, hängt nicht zuletzt auch an den Finanzspritzen der Bundesrepublik. Von 2022 bis 2026 werden die Privatorganisationen mit rund 2 Millionen Euro unterstützt. Der Verein „Sea Eye“ bekommt 393.540 Euro, „SOS Humanity“ 500.000 Euro und „SOS Méditerranée“ 492.060 Euro. Aufgrund der Spannungen mit Italien über die deutsche Finanzierung hatte Kanzler Olaf Scholz diese Förderung beenden wollen. Das Auswärtige Amt hielt jedoch daran fest. Er wundere sich, dass das Auswärtige Amt in dieser Frage sein Wort „schnöde ignoriert“, so Kanzler Olaf Scholz zum Handelsblatt im Oktober.
Die Strategie ist auch deswegen ein Gewinn für Meloni, weil sie anders als mit Salvinis Strategie der „geschlossenen Häfen“ bedeutend weniger internationale Negativ-Presse bekommen hat und weder eine Anklage vonseiten der linken Justiz noch Sanktionen aus Brüssel erwarten muss. Der Umgang mit den NGOs entspricht ganz ihrem Politikstil, der die Weichen früh stellt, ohne zu sehr offen anzuecken.
Dass Meloni eher auf Geduld und Langfristigkeit setzt, zeigt sich außerdem daran, dass sie nach langer Planung in die Position des europäischen Unterhändlers für Donald Trump hereinwächst. Bezeichnend ist, dass sie nicht den Kontakt zu Trump direkt gesucht hat, sondern eher auf die Allianz mit Elon Musk setzt. Während andere rechte Politiker den möglichst frühen Hofbesuch in Mar-e-Lago suchten, hat sich Meloni früh mit dem südafrikanischen Milliardär engagiert – wohl wissend, dass Trump in ein paar Jahren nicht mehr Präsident sein wird, indes Musk noch lange die Strippen zieht.
Die Erfolge auf dem Feld sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die italienische Justiz, die bereits beim Albanien-Plan Stöcke in Roms Speichen warf, am Freitag mit einer Bombe aufwarten könnte. Denn dann wird entschieden, ob Ex-Innenminister Matteo Salvini Recht und Gesetz überschritt, als er einem Schiff von Open Arms mit 150 Migranten an Bord die Einfahrt verwehrte. Salvini wird Entführung und Unterlassung von Amtshandlungen vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hat eine sechsjährige Haftstrafe beantragt.