So wie auf den Straßen der USA die friedlichen Demonstranten und Trauernden mit den gewaltsam Protestierenden und den nur noch kriminellen Plünderern und Brandstiftern konkurrieren, so tobt im Äther der amerikanischen Netzwerke und an den Zeitungskiosken der Kampf um die Deutungshoheit über dieses Geschehen.
Das zentrale Thema dabei ist weniger die scheinbar einförmige Masse der Protestierenden, sondern sind die Handlungen und Aussagen Donald Trumps, der mit Stärke und, wo nötig, Härte gegen die Unruhestifter vorgehen will, die inzwischen enorme Verluste angerichtet haben. Die Rede ist von einem wirtschaftlichen Schaden, der die USA noch über Jahre oder Jahrzehnte belasten wird. An die 20 Zivilisten, Polizisten und Sicherheitsbeamte starben im Lauf der Unruhen. Laut einer von Wallstreet Journal und NBC News beauftragten Umfrage sehen 80 Prozent der Amerikaner ihr Land »außer Kontrolle«.
Auch etliche republikanische Politiker, so bemerkten die Anti-Trump-Medien voller Freude, blieben nicht bedingungslos an der Seite des Präsidenten. Ein Senator für Nebraska protestierte gegen die Räumung des Lafayette Square am Weißen Hauses letzten Montag; es seien friedliche Demonstranten gewesen. Doch wie friedlich ist ein militanter Protest, bei dem mehrfach Feuer ausbrechen und verschiedene Gegenstände (Flaschen, Ziegelsteine) geworfen werden? Eine Senatorin aus Alaska sagte, sie habe Bedenken gegen eine »Militarisierung« der Situation. Sogar Lindsey Graham, eigentlich dem Trump-Lager zuzuordnen, verstand nicht jede Handlung des Präsidenten.
58 Prozent der Wahlberechtigten stützen den Einsatz des Militärs
Dagegen stellte sich mindestens ein republikanischer Senator von Anfang an kraftvoll hinter Trump. Unmittelbar nach dem Präsidenten forderte auch Tom Cotton aus Arkansas den Einsatz der 101st Airborne Division, um gegen Anarchie, Gewalt und Plünderungen vorzugehen. In einem Kommentar für die New York Times wiederholte er seine Forderung und untermauerte sie auch mit historischen Verweisen. Nach Cotton hätte die US-Regierung nicht allein die Möglichkeit, sondern sogar die verfassungsmäßige Pflicht, den Ausbruch von »innerer Gewalt« in den Bundesstaaten zu verhindern. So hätten die Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Lyndon B. Johnson mit Militärtruppen Mobs zerstreut, die in den fünfziger und sechziger Jahren die Aufhebung der Rassentrennung in den damals demokratisch regierten Südstaaten verhindern wollten. Und noch 1992 setzte George H. W. Bush eine Infanterie-Division und 1.500 Marines ein, um »Los Angeles gegen die Rassenunruhen zu schützen«.
Zu guter Letzt zitiert Cotton eine Umfrage, nach der 58 Prozent der registrierten Wähler den Einsatz des Militärs in der aktuellen Lage gutheißen würden, ebenso knapp die Hälfte aller demokratischen Wähler und immerhin 37 Prozent der schwarzen Wähler. Doch viele Politiker blieben lieber untätig, während das Land brenne. Worauf Cotton aber während der im Nachhinein losgetretenen Debatte Wert legte: Er hatte keineswegs für einen Militäreinsatz gegen friedliche Demonstranten aufgerufen, sondern für ein Ende der angehenden Gewaltorgien.
Cottons Meinungsartikel führte letztlich zu einer gewissen Unruhe in der Redaktion der New York Times, so dass am Ende sogar deren sicher ebenso erfahrener wie einflussreicher Meinungschef, der den Posten seit 2016 bekleidet hatte, gehen musste. Der Herausgeber Arthur Gregg Sulzberger sprach von einer »bedeutsamen Panne«, von der scharfen Kritik der Mitarbeiter und angeblich auch von Lesern. Tatsächlich gab es eine Social-Media-Kampagne verschiedener Times-Mitarbeitern, die unter anderem behaupteten, dass Cottons Artikel schwarze Kollegen »gefährdet« (inwiefern, wird nicht erklärt).
Die New York Times und die »Etappen des Wandels«
Inzwischen gibt es eine nachträglich eingefügte Vorbemerkung des Herausgebers über dem Artikel, wohl das einzige Mittel, um den totalen Kotau – die Entfernung des Artikels – zu verhindern. Nun findet zwar auch Sulzberger, dass die »grundlegenden Argumente« Cottons einen »berichtenswerten Teil der gegenwärtigen Debatte« darstellen. Aber nach ihm hätte der Text schon wegen der außerordentlichen Bedeutung des Themas (wörtlich: »life-and-death importance«), aber auch wegen der einflussreichen Rolle des Senators und des Gewichts der von ihm vorgeschlagenen Schritte eine gründliche Prüfung verdient. Die Überarbeitung solcher Meinungsstücke sei gängige Praxis, der Senator habe auch durchaus mit den Redakteuren kooperiert. Bei ihnen sieht Sulzberger folglich den Fehler.
Man merkt, da ist einer in die Ecke gedrängt worden. Auch Sulzberger soll den Kommentar intern zunächst verteidigt haben.
So weit, so »japanisch«. Was fehlte, war das Schwert des Samurai. Am Ende kam es und der 54- Jährige kündigte mit sofortiger Wirkung. Sulzberger spricht von ihrer beider Einvernehmen, wonach Bennet sein Team nicht »durch die nächste Etappe des Wandels« werde führen können. Das klingt fast, als dächte Sulzberger an größere Transformationen, doch dazu später mehr. Trump begrüßte den Rücktritt in einem Tweet und sah sich in dem Glauben bestätigt, dass die Times im wesentlichen aus »Fake News« bestehe.
Der nicht direkt von dem Skandal betroffene Tom Cotton kommentierte das Geschehen sehr zurückhaltend: »Ich beginne, den Verdacht zu haben, dass die New York Times keine objektive Nachrichtenquelle ist.« In der Tat scheint unter der designierten Nachfolgerin Bennets nun eine Säuberung in dem Blatt vor sich zu gehen, bei der alle irgendwie auffälligen Meinungssplitter – und seien es Social-Media-Posts oder Abbildungen – den verantwortlichen Redakteuren gemeldet werden dürfen.
Sulzbergers Fakten zum Verschweigen
Das gibt schon einen gewissen Einblick in die Gatekeeper-Funktion, die sich die New York Times auch in der aktuellen Debatte zuweist. Der Einblick wird noch vertieft, wenn man sich die Standards genauer ansieht, die Sulzberger in dem Kommentar nicht erfüllt sah. Als falsch stellt Sulzberger zum einen die Behauptung dar, dass linksradikale Gruppen wie die Antifa eine Rolle bei den gewaltsamen Ausschreitungen gespielt hätten.
Das ist wahrscheinlich schon das Kernstück, denn mit der Feststellung, dass die Proteste in vielen Fällen von gewaltbereiten Radikalen angeheizt und ausgenutzt wurden, lässt sich viel moralisches Porzellan im politischen Haushalt der Linken zerschlagen. Die friedlichen Demonstrationen werden dadurch vielleicht nicht entwertet, wohl aber die Reaktion der in Medien und Politik herrschenden Kaste, die oft genug verharmlosend von der Gewalt, den Plünderungen, Brandstiftungen und Todesfällen spricht und dabei die privaten Wert- und Sicherheitsverluste der Bürger hintanstellt.
Dass die Polizei von der »vollen Wucht« der Proteste getroffen worden sei, sozusagen als erste in der Feuerlinie stand, ist die zweite von Cottons Feststellungen, die Sulzberger nicht akzeptieren will. Dabei ist auch dieser Punkt gut belegt: Allein 17 getötete Polizisten und Sicherheitsbeamte wurden kürzlich gezählt. Zum dritten war da noch die vielleicht falsch mit Gänsefüßchen ausgezeichnete Paraphrase eines Verfassungstextes. Zuletzt fällt Sulzberger der »unnötigerweise harsche« Ton des Stücks auf.
Man mag aus diesen Erläuterungen ableiten, was man will. Aber klingelt da nicht mehr als einmal das Wort »Zensur« durch Sulzbergers Zeilen? Braucht die New York Times wirklich noch immer Beweise, dass auch die Antifa und andere linke Splittergruppen an den Unruhen beteiligt sind? Ist das noch ein blinder Fleck oder schon absichtsvolles Übersehen der Tatsachen? Immerhin machte sich der Herausgeber der New York Times die Mühe und gab drei Gründe für seine Entscheidung an. Dass sie aber vor allem politisch bedingt ist und letztlich dem Ausschluss bestimmter Positionen aus dem Blatt wie aus der breiteren Debatte dient, scheint unzweifelhaft.
Was hinter dem Redaktionsaufstand stecken dürfte
Unabhängige Insider wie die New-York-Times-Redakteurin Bari Weiss weisen derweil auf eine Transformation des öffentlichen Raums und – dahinterliegend – des Meinungsspektrums in den USA hin, die sich durch das Einsickern der modischen »wokeness« aus den Universitäten an die Hebel der Medienmacht ergeben hat.
Diese Wokeness der ganz Jungen – es scheint wirklich kein deutsches Wort dafür zu geben – verdrängt im Moment den klassischen Linksliberalismus der Älteren. Der Hauptunterschied: Im klassischen Liberalismus waren verschiedene Meinungen erlaubt, ja erwünscht, erst durch die Aufnahme möglichst vieler unterschiedlicher Meinungen war die Debatte vollständig und man konnte, wenn nicht zu einem objektiven, so doch zu einem intersubjektiven Bild der Lage kommen.
Der zweite wichtige Aspekt von Sicherheit im derzeit modischen Denken ist wohl jene fixe Idee eines »sicheren Raums«, in dem nun wirklich nur noch ein bestimmtes Spektrum an Meinungen erlaubt ist, weil die anderen Auffassungen – bei denen fast egal ist, wer sie äußert – bestimmte Gruppen verunsichern könnten. Man kennt das inzwischen von Universitäten weltweit, die bestimmte Politiker oder auch öffentliche Figuren nicht in Podiumsdiskussionen zu Wort kommen lassen, weil ihre Meinungen vom universitär oder fachschaftlich Wünschbaren abweichen.
Gefährliche Blasenbildung der Medien
Die New York Times hatte einmal den Wahlspruch »All the news that’s fit to print«, der auch in den Worten Sulzbergers über die »berichtenswerten« Qualitäten von Cottons Beitrag anklang. Doch eigentlich wird dieser Grundsatz gerade zutiefst in Frage gestellt, wenn ein Meinungsstück, das eine Vielzahl nützlicher Informationen und eine klar umrissene Auffassung der Dinge präsentiert, zum Anlass für die Kündigung des Ressortchefs wird. Man kann hier wohl vom Abdriften in die eigene Filterblase sprechen.
Diese »Blasenbildung« des Medienbetriebs hat eine gefährliche Nebenwirkung – wenn nicht deren viele –, indem sie ein Medium von seinen Grundlagen abkoppelt, nämlich von der Wirklichkeit, über die es berichten und die es kommentieren soll. Wenn die New York Times nur noch diejenigen Meinungen zulässt, die ihren Meinungsredakteuren behagen, dann verpasst sie wohl einen großen Teil der amerikanischen Gesellschaft.
Die genannte Umfrage, nach der 58 Prozent der amerikanischen Wähler inzwischen den Einsatz des Militärs unterstützen, zeigt in diesem Zusammenhang dreierlei. Erstens: Die Proteste werden von einer deutlichen Mehrheit als Unruhen wahrgenommen, von denen die Polizeikräfte zudem in vielen Fällen überfordert sind. Zweitens: Donald Trump lag einmal mehr goldrichtig mit dem Signal, das er auf dem ersten Wellenkamm der Krise aussandte. Er wird damit also eher Wähler gewonnen als verloren haben, und das ist – drittens – genau das, was die New York Times und die von ihr angesprochenen Kreise anscheinend nicht wahrhaben oder zumindest wahrnehmen wollen.
Schneesturm der moralischen Entrüstung
Doch die Redaktion und Mitarbeiterschaft der Times ist auch nicht allein mit ihrem Vogelstrauß- Fanatismus. Beim Philadelphia Enquirer musste ein leitender Redakteur abtreten, nachdem er die Überschrift »Buildings Matter, Too« (Gebäude sind auch wichtig) gebracht hatte. Vorausgegangen waren eine Entschuldigung des Redakteurs, eine aufgeheizte Redaktionskonferenz und ein »Krankfeierstreik« Dutzender seiner Kollegen.
Schließlich traf es auch einen Radio-Moderator auf der britischen Isle of Man, der die Existenz eines »weißen Privilegs« für seine Person infrage stellte. Stu Peters hatte in einem Online-Forum den Satz »All lives matter« hinterlassen. In seiner Radiosendung Late, Live and Unleashed wurde er deshalb von einem schwarzen Anrufer angegangen. Peters erwiderte: »Ich war nicht privilegierter in meinem Leben als Sie. Ich bin ein Weißer, Sie sind ein Schwarzer.« Die Folge war eine vollkommen entgeisterte Reaktion des Anrufers, der damit den Dialog für beendet erklärte: »Wenn Sie das glauben, dann sind Sie schon – das ist die Definition von ›weißem Privileg‹.« Und mit dem umständlich geäußerten Wunsch weiterer Erleuchtung wünschte er Peters letztlich eine gute Nacht.
Infolge dieses Satzes wurde Peters fürs erste suspendiert, solange eine Untersuchung des Vorgangs läuft. Der Direktor des Lokalsenders Manx Radio sagte: »Manx Radio billigt keinen Rassismus irgendeiner Form unter seinen Angestellten.« Man sei derzeit im Gespräch mit dem Anrufer, um »einige Ideen zu entwickeln, um die berührten Themen zu diskutieren« – was auch immer das heißen mag. Jedenfalls lässt sich sagen, dass einem einzelnen, ziemlich entgeisterten, teils geradezu verblüfften Anrufer das Recht zugebilligt wurde, über die moralische Eignung von Stu Peters als Radiomoderator zu entscheiden. In Großbritannien hat sich die Übernahme des US-amerikanischen Rassencodes schon seit längerem angekündigt. All das wirft auch ein besonderes Licht auf die britischen Demonstrationen und Protestaktionen. Für Stu Peters sind sie nur ein »Schneesturm des virtue signalling«.