Als das polnische Parlament zuletzt ein Mediengesetz verabschiedete, das in der deutschen Presse wochenlang mit Argwohn betrachtet wurde, konnten manche Journalisten ihre Enttäuschung kaum verbergen. In einigen Redaktionen flammte die Wut empor, galt doch die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach der Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Jarosław Gowin nicht mehr als koalitionsfähig. Bis dahin regierte die Vereinigte Rechte weitgehend störungsarm. Gowins kleine Partei Porozumienie (Verständigung) sicherte der PiS in beiden Kammern des Parlaments stets die Mehrheiten, die sie brauchte.
In den letzten Wochen verhärteten sich indessen im konservativen Spektrum die Fronten. Anfang August kritisierte die stellvertretende Entwicklungsministerin Anna Kornecka ein von der Regierung bereits abgesegnetes Konjunkturprogramm („Polski Ład“), welches ihrer Ansicht nach vornehmlich von Steuererhöhungen finanziert werde. Obgleich ihr Vorgesetzter Jarosław Gowin zuvor den Vorschlägen des großen Koalitionspartners zugestimmt hatte, schlug er bald in die gleiche Kerbe und lehnte das milliardenschwere Projekt ab. Vermutlich war dies aber auch nur ein Vorwand. Gowin wollte schon seit längerer Zeit nicht mehr als Wurmfortsatz eines von der PiS angeführten Bündnisses herhalten, zumal in seiner eigenen Gruppierung ebenfalls dauernd neue Konflikte aufflammten und es bereits häufiger bei einigen Themen hakte. Anfang 2021 kündigten ihm die einflussreichen Parteikollegen Adam Bielan und Kamil Bortniczuk die Gefolgstreue, gründeten eine eigene Abgeordnetengruppe („Republikanie“), die wohl auch zukünftig in der Regierungskoalition verbleiben wird.
Tatsächlich kam auf den letzten Metern vor der Abstimmung im Sejm die ansonsten gut geölte Gesetzesmaschine der PiS ins Stocken. Nachdem Gowin seine Entlassungspapiere erhalten hatte, musste Regierungsparteichef Jarosław Kaczyński nach einer hitzigen Debatte um seine Mehrheit bangen. Zunächst war die Entscheidung über das Mediengesetz sogar auf September verschoben worden. Die Kulisse für die effektvollen Selbstinszenierungen mehrerer PO-Politiker schien perfekt zu sein. Die Rechnung wurde aber offenbar ohne den konservativen Wirt gemacht. Trotz des brüchig gewordenen Fraktionsgefüges der PiS wurde das Gesetz schließlich doch noch am gleichen Abend verabschiedet. Ein Raunen ging durch den Sitzungssaal, wobei die Chefredakteure der PO-Bulletins die Sektkorken wieder behutsam in die Flaschen steckten.
Im Kreuzfeuer oppositioneller Kritik stand nach der Abstimmung im Sejm nicht etwa traditionsgemäß Kaczyński, sondern vor allem Paweł Kukiz, dessen Abgeordnete der PiS zu der notwendigen Mehrheit verhalfen. Auf den ehemaligen Rockstar könnte vielleicht zukünftig noch des Öfteren eine Rolle zukommen, die er sich bei seinem Wechsel in die aktive Politik so nicht erträumt hatte – die eines koalitionären Brückenbauers. Zahlreiche Anhänger des einstigen Piersi-Vokalisten fragten sich, was ihn dazu bewogen haben könnte, die Medienreform zu unterstützen, wo er doch in der Vergangenheit unablässig seine polemische Haltung gegenüber der Morawiecki-Regierung betont hatte. Um dies zu begreifen, sollten wir uns vielleicht die polnische Medienlandschaft genauer anschauen.
Ein deutschsprachiger Warschau-Korrespondent beklagte zuletzt, dass nach Kaczyńskis Ansicht polnische Medien „polnisch“ sein müssten. Das stimmt. Na und? Die deutschen Mainstream-Medien sind doch auch „deutsch“. Mehr noch: Es gibt meines Wissens nur wenige Länder auf der Erde, die ihre eigenen Zeitungskonzerne so „beschützen“ wie die Bundesrepublik Deutschland. Die Gesetzesänderungen in Polen zielen also weniger auf eine Verstaatlichung der Medienhäuser ab, denn auf die Herstellung einer seit Jahrzehnten ausstehenden gesetzlich geregelten Rangordnung, die z. B. im Westen wohl inzwischen zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden ist, dass ein Spiegel-Redakteur sie offenkundig nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Aus der aktuellen Ausgabe des deutschen Wochenblatts (Auflage: 675.000 Exemplare) erfahren wir, dass der „Machthaber“ Kaczyński drauf und dran sei, sein Land in eine „Autokratie“ zu verwandeln. „Intervention und Sanktionen“ – nur so ließe sich nach der Meinung des Autors „ein weiteres Abdriften Polens in den Autoritarismus“ verhindern. Da möchte man fragen: Um Gottes willen, spricht denn in Hamburg außer Jan Puhl niemand polnisch?
Indem die „besorgten“ Auslandsjournalisten gezielt erklärte PiS-Gegner befragen und einen großen Teil der polnischen Gesellschaft bewusst ausklammern, glauben sie, sich mit gewichtigen Argumenten munitioniert zu haben. In ihren Augen stellt das Mediengesetz vor allem einen Versuch dar, das „unabhängige“ Sendernetzwerk TVN lahmzulegen, das bisher die Meinungsfreiheit in Polen „garantiert“ habe. In der Tat ließ der Nachrichtensender TVN24 seit dem Regierungsantritt der PiS im Herbst 2015 keine Gelegenheit aus, nach polemischen Legitimationsstrategien zu suchen und Gerüchte zu verbreiten. Es gibt in Polen noch viele andere TV-Sender, die sich nicht auf sachdienliche Recherchen einlassen wollen. Keine dieser Redaktionen ist bisher untergegangen.
Dies gilt auch für TVN. Die polnische Meinungsfreiheit ist nicht bedroht, wohl aber die Interessen einiger mächtiger Unternehmen außerhalb der Grenzen Polens. Das von der Opposition irrtümlicherweise mit dem Etikett „Lex TVN“ versehene Mediengesetz sieht vor, künftig Sendelizenzen nur noch dann an ausländische Firmen zu vergeben, sofern diese ihren Wohnsitz im Bereich des Europäischen Wirtschaftsraums haben. Im Zuge der Gesetzesänderung müsste TVN24 damit wahrscheinlich auf die finanzielle Unterstützung der US-amerikanischen Fernsehsenderfamilie Discovery verzichten. Wenn man sich jahrelang mit dem vorrangigen Ziel beschäftigt, die Rendite solcher Investitionen einzufahren, dann kann eine solche Reform zugegebenermaßen auf das Gemüt drücken.
Der Nachrichtenkanal TVN24 darf ohnedies weiterhin senden. Vor einigen Tagen konnte er in den Niederlanden eine Sendelizenz erlangen. Wenn sich die Mehrheit des polnischen Rundfunkrats bislang gegen eine Lizenzverlängerung sperrte, dann hat dies aber nichts mit „Meinungsfreiheit“ zu tun.
Wenn sich eine abendliche Hauptnachrichtensendung vorwiegend mit der Frage befasst, ob Staatspräsident Andrzej Duda in Danzig der früheren Premierministerin Ewa Kopacz den Handkuss verweigert oder ob Parteichef Kaczyński ein Katzenliebhaber ist, anstatt den Zuschauer über die eigentlichen Hintergründe des Geschehens zu informieren, dann geht es eher um Kriterien der journalistischen Qualität und Berufsethik. Wer auch noch im Abspann kein Wort über die angespannte Situation in Afghanistan verliert, der muss sich ernsthaft fragen, ob er seine Arbeit ernstnimmt oder sie lediglich als Karrierevehikel benutzt.
Einige Oppositionspolitiker und Medienvertreter kritisieren, dass das zuletzt verabschiedete Mediengesetz sich negativ auf die polnisch-amerikanischen Beziehungen auswirken könnte. Noch ist der Bruch mit den USA allerdings mehr Phantom als reales Szenario. Und jetzt mal im Ernst: Es ist eher zweifelhaft, dass sich die Eliten eines 330-Millionen-Staates mit politisch höchst heterogenen Diskursen wegen einer Gesetzesnovelle im entlegenen Ostmitteleuropa brüskiert fühlten, das den Discovery-Channel zum Verkauf seiner wenigen polnischen Anteile zwingt. Die Beziehungen zwischen Warschau und Washington belasten derzeit ganz andere Dinge, wie z. B. „geheime Treffen“ im Weißen Haus, die den Weg aus der energiepolitischen Abhängigkeit von Russland versperren.