Nun drängt vieles in eine Richtung, was die Migrationspolitik angeht. Die neue Zusammensetzung des EU-Parlaments, Frankreichs neue Halb-rechts-Regierung, zahlreiche weitere EU-Regierungen, die von konservativen oder nationalen Parteien mitgetragen werden – all dies sind Kräfte, die zu einem aktuellen Stimmungswandel in der EU beitragen. In dieselbe Richtung wirken die jüngsten Wahlergebnisse in Ostdeutschland: Die Ampelkoalition ist mit ihrem Latein am Ende, kommt derzeit nicht mehr aus der Defensive beim Thema Migration.
Die Grünen sind ausgeschaltet und in Rückzugsgefechten verfangen, die SPD tut pseudohart, so gut sie kann, und kann sich kein offenes Ausscheren aus dem sich bildenden (neuen) EU-Konsens erlauben. Olaf Scholz muss seine Rolle als harter „Abschieber“ weiterspielen und ausbauen, Nancy Faeser von nun an bis zur Wahl im Herbst 2025 die „Grenzschützerin“ geben. Beides sind freilich nur Rollen, aber sie dürften verhindern, dass Ampel-Extrawürste in Brüssel fortan noch eine große Rolle spielen. Das Feld gehört, mehr als je zuvor, den konservativen und nationalen Innenpolitikern.
Mehr Abschiebungen und Zentren im EU-Ausland
Die Forderung nach mehr Abschiebungen steht in vielen Ländern auf der Tagesordnung. Immerhin: Laut Ylva Johansson sind die Rückführungen aktuell um 18 Prozent gestiegen, bei gesunkenen Einreisen in die EU, was aber nicht ihr Verdienst ist. Klar ist, dass konsequente Abschiebungen das Rückgrat des Grenzschutzes sind. Wenn es Folgen hat, eine Grenze illegal zu überschreiten, ohne dass einer Anspruch auf Schutz hat, dann spricht sich das in den Herkunftsländern herum, und der Grenzschutz wird leichter. Gestaltet man Europa dagegen als offenen Themenpark, in den jeder nach Belieben einreisen kann, um die verschiedenen Attraktionen zu nutzen, einmal die Wildwasserbahn auszuprobieren, dann wieder von Popcorn und Zuckerwatte zu naschen, dann ist klar, dass alles angelaufen kommt, was zuhause keine solchen Annehmlichkeiten zur Verfügung hat. Erst wenn sich der Grenzübertritt für eine erhebliche relevante Gruppe nicht mehr lohnt, ist mit einer Entspannung an den Außengrenzen zu rechnen.
Im EU-Rahmen will man nun an der Rückführungsrichtlinie arbeiten, die – wie so oft in der EU – das effiziente Handeln der Mitgliedsländer eher hemmt als befördert. Der französische Innenminister Bruno Retailleau hat davon gesprochen, dass eine Änderung nottue. Das sind ermutigende Signale aus dem Mitte-rechts-Lager, das sich seines konservativen Teils gerade mehr entsinnt als gewöhnlich. Auch Norwegen und die Schweiz als Schengen-Mitglied sind für eine Änderung, Italien ohnehin. Die Ausreiseverpflichtungen von ausreisepflichtigen Ausländer sollen geschärft werden, was schon etwas tautologisch klingt und bisherige Missstände anzeigt. Ob dabei wirklich wirkungsvolle Maßnahmen herauskommen werden, steht noch in den Sternen. Die neue Kommission muss jedenfalls erst einmal abgesegnet und im Amt sein, bevor die Richtlinie geändert wird.
Außerdem wollen die EU-27, oder ein Teil von ihnen, Frontex stärker zur Abwehr illegaler Einreisen heranziehen. Das wäre aber etwas ganz Neues für diese EU-Grenzmitarbeiter. Sie gehen bisher über Stock und Stein, um illegale Einwanderer den jeweiligen EU-Landesbehörden zuzuführen, also ihnen zu einem Aufenthaltsstatus zu verhelfen. Man darf durchaus gespannt sein, wie viel von diesen Plänen am Ende den Weg in die gemeinsame Erklärung der Staats- und Regierungschefs finden wird, die am 17. und 18. Oktober in Brüssel entstehen wird.
Weist Italien der EU den Weg?
Dänemark hat die Kontrollen an seinen Grenzen zu Schweden und Deutschland verstärkt, zum einen wegen des Phänomens der „Kindersoldaten“: Schwedische Minderjährige werden u.a. von dänischen Banden angeworben, und überqueren von Malmö aus die Brücke nach Kopenhagen, um straffrei Mord und Raub zu begehen; zum anderen wegen der steigenden Terrorgefahr von der deutschen Seite her. Denn Deutschland ist in diesem Herbst nicht mehr, was es einmal war. Die Gefährdungen sind gewachsen und mittlerweile an allen Ecken und Enden des
Landes zu spüren, in den Städten sowieso: Zu reden ist von den jungen Männern und teils Frauen, die bereit sind, mit einem herzhaften Allahu akbar und einem Messer oder einer Schusswaffe in der Hand für eine veränderte Stimmung in deutschen Innenstädten zu sorgen.
Klar ist, dass Italien inzwischen vieles auf eigene Faust, aber doch mit Billigung der EU-27 geregelt hat, etwa in Libyen und Tunesien, wo man jeweils mit den Küstenwachen zusammenarbeitet und so einen vorgelagerten Grenzschutz aufgebaut hat. Der tunesische Präsident Kais Saied hat am Ende offenbar bekommen, was er wollte, und sah seine Ehre nicht mehr durch einen EU-Pakt gefährdet. Die Anlandungen an Italiens Küsten gingen gegenüber dem Vorjahr um zwei Drittel zurück, um ein Drittel gegenüber 2022. Noch bleibt aber einiges zu tun. Die Lager in Albanien sind das nächste wichtige Puzzleteil, das erstmals seit langem die Abschreckung von italienischer Seite wieder ins Spiel bringt. Alleinreisende Männer sollen standardmäßig in die albanischen Lager kommen, ihre Asylchancen schneller beurteilt werden und in der Folge eine Rückführung – gleich ob erzwungen und freiwillig – bewirkt werden. Angesichts der Kasernierung in einem eher spartanisch eingerichteten Lager verlieren Mehrfachversuche ihren Anreiz.
Vor zehn Jahren habe Schweden seine Bürger aufgefordert, „ihre Herzen für Migranten zu öffnen“, heißt es beim US-Sender CNBC dieser Tage. Die Kehrtwende der aktuellen Regierung wirkt dramatisch. Das ist natürlich ein Bericht, der nur so quietscht vor dem Selbstmitleid der Offene-Grenzen-Fraktion. Die Zahlen aus Schweden zeigen, dass man die Zuwanderung aus dem Nahen Osten auf ein sehr geringes Niveau gedrückt hat, während eine – staatlich geförderte – Remigration eingesetzt hat. Inzwischen will das Land Zuwanderer wegen „schlechten Lebensstils“ abschieben. Das gilt theoretisch auch für solche, die über Jahrzehnte in Schweden siedelten.
Spanien schert aus: Sánchez will Ansiedlung erleichtern
Nur Spanien und sein sozialistischer Premier Pedro Sánchez sind auf einem anderen Weg: Sánchez will auch weiterhin mit der gestiegenen Migration auf den Kanaren leben, die sich vor (vermeintlich) minderjährigen Migranten bald nicht mehr retten können. Die können nämlich nicht einfach aufs Festland verschickt werden, sondern müssen aufgrund der Gesetzeslage auf den Inseln bleiben.
„Fast die Hälfte unserer Gemeinden sind in Gefahr sich zu entvölkern“, so Sánchez. Es gäbe ältere Menschen, die Pflegekräfte bräuchten und keine fänden. Unternehmen suchten Programmierer, Techniker und Maurer und könnten keine finden. Und ländliche Schulen bräuchten Kinder, um nicht zu schließen. Eine seltsame Logik ist das. In Deutschland weiß man inzwischen, dass genau diese Probleme nicht gelöst werden, indem man neun bis zehn Jahre lang unkontrollierte Massenmigration zulässt. In der EU stehen – immer vereinzelter – auch noch die Gegenkräfte auf dem Tapet und liefern sich einen kleinen Endkampf mit jenen neuen Kräften, die einen Wandel in der Migrationspolitik wollen.