In seinem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender Fox News gab sich Viktor Orbán jüngst in gewohnter Weise kämpferisch. »Wenn jemand ohne Genehmigung des ungarischen Staates die Landesgrenze überschreitet, müssen wir uns schützen«, sagte Orbán dem eigens nach Budapest angereisten Moderator Tucker Carlson. »Wir müssen unser eigenes Volk vor allen Gefahren schützen. Ungarn hat jedes Recht zu dieser Entscheidung. Es gibt kein grundlegendes Menschenrecht, das garantiert, dass jeder ins Land einreisen kann.«
Dagegen interessiert das »neue Kapitel«, das einige Länder Europas im Jahr 2015 – manche auch schon etwas früher – aufschlugen, Orbán nicht im geringsten. Das »Experiment, das vor allem von Deutschland vorangetrieben wurde, hält der Ungar für »überaus gefährlich«. Zwar habe jede Nation »das Recht, das Risiko einzugehen«, doch »wir Ungarn lehnen die Vermischung unserer Gesellschaft ab«.
Allerdings steht auch Ungarn, das seit sechs Jahren ein Grundpfeiler der Stabilität auf dem Balkan ist, fortwährend unter Druck. 2015 schloss Orbán demonstrativ seine Landesgrenze, noch bevor die am Budapester Bahnhof Lagernden sich Richtung Nordwesten aufmachten. Doch seinen Frontstatus hat das Land bis heute behalten. Neben einer Ostgrenze mit der Ukraine gibt es eine gemeinsame Grenze mit Serbien im Süden. Erst jüngst konnten griechische, ungarische und weitere europäische Polizeien einen in Bulgarien basierten Schlepperring sprengen, der genau dieser neue Balkanroute frequentiert haben muss (TE berichtete). Laut dem Wiener Innenministerium ist auch die Inner-EU-Grenze zwischen Rumänien und Ungarn ein Schlupfloch für die irreguläre Migration vom Balkan nach Mitteleuropa.
Die Balkanroute stand gewiss schon weiter offen als heute
In der vergangenen Woche verhandelte György Bakondi, leitender Sicherheitsberater des Premierministers, mit Vertretern Serbiens über die Sicherung der Grenze gegen die illegale Migration nach Ungarn. Bakondi erklärte laut der Budapester Zeitung, dass im laufenden Jahr bereits 55.000 Grenzverletzer von der ungarischen Polizei gefasst wurden – wohl hauptsächlich an der Grenze zu Serbien. Im gesamten Jahr 2020 waren es nur 17.000. Zugleich wurden 523 Schleuser und Menschenschlepper festgenommen, auch diese Halbjahreskennziffer liegt mehr als doppelt so hoch wie die Summe vom letzten Jahr.
So meldet auch Österreich immer mehr »Aufgriffe illegaler Migranten«. In den ersten sieben Monaten waren laut Innenministerium 16.300 (2020 insgesamt: 21.700; 2019: 19.500). Ein Großteil dieser illegalen Einwanderer wird an der Ostgrenze zu Ungarn aufgegriffen. Der Wiener Kurier meint daher: »Die Balkanroute war nie geschlossen«. Das kann man vermutlich so sagen, aber sie stand sicher schon einmal weiter offen – scheunentorweit nämlich – als heute.
Zentral ist die Vereitlung des Schleppergeschäfts
Nun haben Innenminister Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide Mitglieder der Neuen Volkspartei, einst ÖVP) eine Verstärkung des Grenzschutzes im Osten angekündigt. Seit 2015 wird dort schon das Bundesheer eingesetzt, nun kommen 400 dazu. Die Soldaten sollen die Grenzpolizisten bei der Aufgreifung von irregulären Grenzüberquerern unterstützen. Auch Litauen setzt seine Armee unterstützend an der Grenze zu Weißrussland ein. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) kritisierte die türkis-grüne Regierung, die Lage ähnele jener zur Zeit der »Flüchtlingskrise« 2015. Doskozil hat sich in seiner Partei mit einer migrationskritischen Linie profiliert und so einen Wahlsieg errungen.
Die Krone titelte: »Terroralarm«, aber wer sagt uns, dass die Waffe nicht dem Schlepper selbst gehörte? Mit Sicherheit ist der Fokus, den ebenso die Wiener Regierung wie die europäischen Polizeien und Sicherheitsbehörden auf das Sprengen der Schlepperbanden legt, der richtige. Nur indem den Organisatoren des trüben Geschäfts der Geldhahn zugedreht und die Operationsfähigkeit entzogen wird, gibt es Hoffnung auf einigermaßen sichere Grenzen ohne Hochsicherheitsanlagen.