Der Wiener Standard druckte eine etwas ungläubige Schlagzeile: „30 Beamte sollen Migranten Weg nach Österreich versperren“. Gemeint ist die „Operation Fox“, die das Innenministerium an der österreichisch-ungarischen Grenze eingeleitet hat. Dabei sollen österreichische Polizisten auf ungarischem Staatsgebiet mit den dortigen Kollegen aktiv werden, um illegale Grenzübertritte zu vermeiden, „Asylmissbrauch zu verhindern“ und die „Schleppermafia“ zu bekämpfen. Für Innenminister Gerhard Karner ist das eine „Asylbremse“. Während die katholische Diakonie Kritik äußerte, weil die Migranten oft keine Gelegenheit erhielten, in Ungarn einen Asylantrag zu stellen, kritisieren andere Beobachter, dass 30 Beamte angesichts der Größe des Problems kaum ausreichen dürften.
Erst im Juni 2023 wird ein Rechtsstaatlichkeitsbericht zu Bulgarien erwartet. Dann könnte Bewegung in den Fall kommen. Aber für Nehammer dürfte dieses Argument nicht ausreichen. Im Vordergrund der österreichischen Entscheidung stand die Sicherheit im Schengenraum. Er fordert folglich mehr Grenzschutz-Anstrengungen von den beiden Ländern. In dieses Horn blies auch der burgenländische Ministerpräsident Hans Peter Doskozil, der eine „Rekordzahl“ an Flüchtlingsaufgriffen in diesem Herbst feststellt.
Ein leichter Rückgang der Zahlen deutete sich vor Operationsbeginn an. Statt durchschnittlich 700 Personen am Tag waren es Ende November wohl nur noch 200, wenn man der regierungsoffiziösen Wiener Zeitung glauben mag, wozu das Wetter beigetragen haben mag. Eine Migrationsforscherin nennt einen sehr einfachen Grund: Die meisten Migranten, die eine illegale Einreise nach Österreich vorhatten, hätten dieselbe schon in den vergangenen Monaten hinter sich gebracht. Man kann daraus folgern, dass neue Migranten, die einen ähnlichen Wunsch verspüren, früher oder später kommen werden.
Angeblich hat aber auch die von Österreich betriebene Verschärfung der Regel für Tunesier Wirkung gezeigt. Seit Serbien keine Tunesier mehr ohne Visum einreisen lässt, tendierten auch die Aufgriffe in Österreich „gegen null“. Da ab dem Jahresende gleiches für Inder wirksam wird, erwartet man auch hier ein Abflauen. Die Wiener Zeitung will aber auch wissen, dass die Tunesier und Inder eigentlich nur deshalb illegal über den Westbalkan einreisen, weil sie in Frankreich und Spanien als Erntehelfer arbeiten wollen. Zweifel sind erlaubt. Merkwürdig vor allem, dass die beiden Mittelmeerländer dafür nicht einen direkteren, legalen Weg mit ordentlichem An- und Abreisedatum gefunden haben.
„Ein Zaun, eine Mauer – Sie können es nennen, wie Sie wollen“
Nun ist die österreichisch-ungarische „Operation Fox“ von Innenminister Karner das eine. Daneben hat aber auch Bundeskanzler Karl Nehammer dem Präsidenten des Europäischen Rates, das ist der Belgier Charles Michel, einen Fünf-Punkte-Plan zugeschickt, durch den er die österreichische „Asylbremse“ sozusagen auf die EU ausweiten will. Der Moment könnte günstig sein, da mit Schweden bald ein Land mit konservativer Mehrheit die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird. Der Parteichef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, stellte sich jüngst eher ein Weniger an EU-Aufgaben vor. Nehammer fordert mehr von Brüssel. Aber vielleicht ergänzen sich ihre Vorschläge letzten Endes.
Zu ebendieser Grenze zirkuliert derzeit ein kritischer Bericht, in dem von „baufälligen Baracken“ die Rede ist, in den „Flüchtlinge“ untergebracht seien. Er ist Teil des üblichen Trommelfeuers, das die Möglichkeit eines besseren Grenzschutzes schon vor der Tat unterminieren will – indem die Aufnahme-Infrastruktur Bulgariens angegriffen wird. Auch „Pushbacks“ werden hier wiederum berichtet – obwohl der Nachbar Griechenland die Türkei bekanntlich seit zwei Jahren zum sicheren Nachbarstaat erklärt hat. In der Tat gibt es ja seit 2016 eine „gemeinsame Erklärung“ mit der EU, die explizit die Unterbringung von Migranten in der Türkei vorsieht und sicherstellt.
Das „Tabu Zäune“ in der EU will Nehammer im Gespräch mit den wichtigen Gremien brechen. Die Nationalstaaten könnten nicht mit dieser Aufgabe alleingelassen werden. Und dabei seien Zäune ja auch gar „nichts Neues“. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) präzisierte bei krone-tv: „… ein Zaun, eine Mauer – Sie können es nennen, wie Sie wollen.“ Ohne physische Barrieren irgendeiner Art werde ein „ordentlicher Außengrenzschutz“ nicht funktionieren.
Im Gespräch mit der Kronenzeitung stellte Nehammer nun klar, dass es mit dem Zaunbau nicht getan sei: „Zäune haben eine hemmende Funktion und sie wirken. Durch sie kann man illegale Migration kanalisieren, stärker kontrollieren und so illegale Übertritte verhindern. Ein Zaun braucht aber auch Überwachung, Beamte und technisches Equipment.“ Ja, die Überwachung einer Grenze durch Personal und technisches Gerät sei „viel wichtiger“ als nur irgendein Zaun.
Gibt es Raum für eine Reform der EU-Asylpolitik in Nehammers Sinn?
Bestehende Zäune wie der an der griechisch-türkischen Grenze zeigten aber die Wirksamkeit dieses Instruments, so Nehammer. Und natürlich müsse man Migranten, die „den Zaun gewaltbereit überwinden“ an ihrem Tun hindern. Sobald ein Migrant versuche, „mit Gewalt den Zaun einzureißen und so die Grenze zu übertreten, dann hat das jeweilige Land auch das Recht, sich entsprechend zu schützen“. Solche Szenen seien aus den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika bekannt – ja, und supranationale Gerichtsurteile in Nehammers Sinn.
Insgesamt ist klar, dass Österreich vieles von diesen Vorschlägen schon selbst umsetzen kann – aber eben nur für den eigenen Verantwortungsbereich. Die europäische Initiative Nehammers soll den Rahmen für die nationalen Migrationspolitiken vereinheitlichen, so dass letztlich auch einmal strukturelle Verschärfungen der gemeinsamen Asylpolitik möglich werden, die bisher noch nicht eingetreten sind.
Ein wichtiger Grund für Nehammers neuen Ansatz dürfte aber innenpolitischer Natur sein: Die FPÖ liegt derzeit im „Österreich Trend“ der Austria Presse Agentur und des Privatsenders ATV bei 26 Prozent und damit vor allen anderen Parteien. Den kürzlichen Rückfall der SPÖ auf Platz zwei (24 Prozent) führt man auf deren „Schlingerkurs“ in Sachen Asyl und Schengen zurück. In der Tat, die Sozialdemokraten im Alpenland sind gespalten. Doch die regierende ÖVP rangiert sogar noch hinter ihnen bei 22 Prozent. Nur Nehammer selbst hat mit 30 Prozent noch am ehesten die Umfragezahlen für eine (fiktive) Direktwahl zum Kanzler.