Wer einen Eindruck vom Wahlkampf in Österreich gewinnen will und zugleich davon, wie guter Fernsehjournalismus sein kann, dem empfehle ich die zwei Gespräche von Michael Fleischhacker im Format „Hangar-7“ des Servus TV mit Sebastian Kurz (Die neue Volkspartei) und Herbert Kickl (FPÖ) am 25. Juli.
Zu den Einschaltquoten meldete derstandard.at über einen wirklich heißen Sommerabend: „Servus TV lag damit deutlich vor ORF 1: Den Kurz-Auftritt im Hangar-7 ab 21.15 Uhr sehen laut Teletest im Schnitt 151.000 Menschen, ein nicht nur sommerlich herausragender Wert für das Talkformat. Die zweite Halbzeit mit Kickl schauten im Schnitt 173.000 Menschen.“
In der Sache erklärte Sebastian Kurz, dass es bei der sogenannten Schredder-Affäre um die Festplatten eines Druckers und nicht die eines PCs handelte. Wer da weiter etwas hinein interpretieren will, wird es tun. (Amüsant finde ich dabei, dass in Behörden immer noch Emails ausgedruckt werden.) Herbert Kickl erklärte in der Sache seine Grenzzaunpläne, über die man in aller Ruhe diskutieren könnte, wozu es aber innerhalb der türkis-blauen Koalition gar nicht mehr kam. Eine erneute Regierung in dieser Konstellation schloss Kurz nicht aus – allerdings verbunden mit der Festlegung: nicht unter Einschluss von Kickl.
Zweimal eine ganze Stunde ist heutzutage vielen zu lang. Wie die beiden Politiker argumentieren und wie der Moderator sie reden lässt und unterbricht, also moderiert, finde ich noch interessanter als das, was in der Sache zu erfahren war.
Aufschlussreich bei beiden: Körpersprachlich haben sie sich wesentlich besser unter Kontrolle als die meisten öffentlichen Personen, die unsereinem sonst begegnen. Wer genau hinschaut, erkennt unmittelbar während der Fragen und Einwürfe von Fleischhacker, wo bei Kurz und Kickl die Anspannung steigt.
Wahlkampf noch nicht offiziell eröffnet, aber voll im Gange
Sebastian Kurz wendete sich gestern persönlich an seine Anhänger und stimmte sie auf den Wahlkampf ein:
»Die letzten Tage haben das Ausmaß an Grauslichkeit deutlich gemacht, das dieser Wahlkampf mit sich bringen wird. 2017 – wir alle erinnern uns an die Schmutzkübel-Kampagne eines SPÖ-Beraters – war offenbar nur ein Vorgeschmack. Von links und von rechts hagelt es fast täglich neue Untergriffe, Diffamierungen und Dreck aus der allertiefsten Schublade. Mit gefälschten Mails hat es begonnen und fand diese Woche die Fortsetzung, indem auch der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer ein gefälschtes Mail verbreitet hat. Dem nicht genug werden auch Gerüchte über Kinderpornografie, Drogenmissbrauch oder Korruption gestreut. Frei nach dem Motto: „Irgendwas wird schon hängen bleiben“, wird nichts unversucht gelassen, uns und damit unseren Weg für dieses Land aufzuhalten.«
„Früher waren Wahlkämpfe schmutziger“ betitelt derstandard.at einen Beitrag von Günther Oswald, der wohl richtig beobachtet: „Ein alles dominierendes Thema wie bei der letzten Wahl 2017 mit Migration gibt es dieses Mal nicht – zumindest noch nicht.“
Bei diesem Zustand, dass kein inhaltliches Thema den Wahlkampf in Österreich bestimmt, könnte es bleiben, weil beim derzeitig einzig dominierenden, dem Klimawandel, alle Parteien nicht über das Ob, sondern das Wie streiten. Oswald fasst das so:
„ÖVP-Chef Kurz hat Wasserstoff als alternativen Treibstoff entdeckt und plädiert für eine Ökologisierung der Pendlerpauschale, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kupferte von den Grünen die Idee eines Klimatickets ab, mit dem man um 1100 Euro pro Jahr alle öffentliche Verkehrsmittel in ganz Österreich benutzen können soll. Die Neos werben mit ihrem Modell einer CO2-Steuer um Wählerstimmen, Peter Pilz will Inlandsflüge verbieten, und FPÖ-Chef Norbert Hofer räumt neuerdings ein, dass der Klimawandel menschengemacht ist.“
Zum Dirty Campaigning, vor dem Sebastian Kurz seine Anhänger warnt, zitiert Oswald den Guru des ORF, Peter Filzmaier: „Negative Campaigning bringt zwar Aufmerksamkeit und einen höheren Erinnerungswert, ob es auch Stimmen bringt, ist aber nicht bewiesen.“ Und: „Der Solidarisierungseffekt mit dem Angegriffenen ist oft stärker als der Schaden für den Angegriffenen.“
Von diesem Solidarisierungseffekt weiß natürlich auch Kurz. Ihn einzusetzen, ist sicher genau so professionell, wie seine Anhänger darauf vorzubereiten, was alles noch kommen kann. Das schon deshalb, weil es am Ende nach meiner Beobachtung nur um eine Frage in diesem Wahlkampf in Österreich gehen dürfte. Nämlich um die, welches Stimmgewicht Sebastian Kurz nach der Nationalratswahl auf die Waage bringt.
Eine Fußnote für alle, die in Sachen Strategie und Taktik nicht geübt sind. Warum schließt Kurz vor der Wahl Kickl als Mitglied einer von ihm geführten Regierung aus? Das schützt Kurz im Wahlkampf weitgehend vor dem Einsatz der „Warnung vor der FPÖ“ durch SPÖ, Grüne und Neos – und noch viel mehr durch die grünroten Medien – als Waffe gegen ihn. Das spart Kurz und den Seinen viel Kraft, die sie sonst auf die Defensive verwenden müssten, und setzt diese frei für die Offensive.
Was mich zur Schlussbetrachtung meinerseits führt. Wer Donald Trumps Weg ins Präsidentenamt und nun seine Vorkampagne für die nächste Präsidentschaftswahl aufmerksam verfolgt, kann sehen, dass Campaigning im Zeitalter des Internet nicht mehr der Wahlkampf alter Zeiten ist. Die Eigenen mobilisieren und bei der Stange halten, ist entscheidend: in direkter Ansprache, an den alten Medien vorbei. Kurz führt das in Österreich vor. Weitgehend unbemerkt von den alten Medien. Wo sie es merken, stehen sie dem ratlos gegenüber.