Tichys Einblick
Seperatismus in der EU

Nach der Katalonien-Wahl: Brennende Barrikaden bald auch in Polen?

Bei der Parlamentswahl in Katalonien in den vergangenen Tagen haben die Separatisten erstmals seit 1980 keine Mehrheit erreicht. Die wohl wichtigste regionale Wahl in Spanien gewann eine sozialistische Schwesterpartei der auf nationaler Ebene regierenden PSOE. Die Radikalisierungsprozesse von Separatisten nehmen trotzdem europaweit zu - unter tatkräftiger Mitwirkung von Entscheidungsträgern in Brüssel.

IMAGO / Agencia EFE

Der Kampf um die Ablösung von Spanien gibt in Katalonien seit Jahrzehnten den politischen Takt an. Er kulminierte vor sieben Jahren in einem illegal durchgeführten Plebiszit, gegen das die nationale Regierung damals noch hart vorzugehen gedachte. Nun haben die katalanischen Separatisten bei der vorgezogenen Regionalwahl eine historische Pleite erlitten. Dem amtlichen Endergebnis zufolge verpassten die Parteien der Unabhängigkeitsbefürworter erstmals seit 44 Jahren die absolute Mehrheit der Sitze in Barcelona. Die beiden großen separatistischen Parteien, die bürgerliche Junts per Catalunya („Zusammen für Katalonien“) sowie die Esquerra Republicana de Catalunya („Republikanische Linke Kataloniens“), bringen es zusammen auf gerade einmal 35 Prozent der Stimmen.

Im fernen Madrid wird unterdessen gejubelt. Gewinner der Katalonien-Wahl ist die sozialistische Partei von Spitzenkandidat Salvador Illa. Die Schwesterpartei der PSOE des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez erhält 42 der 135 Sitze und könnte mit Unterstützung anderer linker Parteien die Regierung bilden (wenngleich sie davon noch meilenweit entfernt ist). Sollten die Koalitionsverhandlungen nicht bis August zu einer Einigung führen, würden im Oktober Neuwahlen stattfinden, die auf der Iberischen Halbinsel fast schon wie eine triste Tradition anmuten.

Katalanische Rettungsschaluppen

Die spanische Presse feiert das Wahlergebnis in Barcelona als einen „vielversprechenden Weg zur Befriedung Kataloniens“. Sánchez setze auf einen „Weg der Versöhnung“, schreibt beispielsweise die Zeitung „La Marea“. Dass diese Wahl in den regierungsnahen Medien als eine „Befriedung der Konfliktregion“ verkauft und der Premierminister mit Vorschusslorbeeren gefeiert wird, ist bezeichnend für die billige Effekthascherei mittelmäßiger Journalisten. Seit beinahe einem Jahr buhlt Sánchez ums Einheiraten in das Milieu der katalanischen Wortführer. Die letztjährigen Parlamentswahlen gewann die christdemokratische Partei Partido Popular (PP) von Alberto Núñez Feijóo, die allerdings mit der konservativen VOX nicht auf die absolute Mehrheit zu kommen vermochte. Seitdem versuchen der linke Regierungschef und seine PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei), mit legislativen Tricks die Separatisten im Nordosten Spaniens zu beschwichtigen, um den Machterhalt zu sichern.

In einem ersten Schritt tat er es mit der Begnadigung von bereits Verurteilten. Anschließend wurde ein Amnestiegesetz verabschiedet, das all jenen Personen Straffreiheit garantiert, die an der illegalen Volksabstimmung von 2017 beteiligt waren. Jedoch trotz der jüngsten Wahlschlappe werden die katalanischen Hardliner das Ziel einer Ablösung von der spanischen Nation nicht aufgeben. Der frühere Regionalpräsident und Junts-Chef Carles Puigdemont hat bereits angekündigt, dass er notfalls eine Minderheitsregierung in Barcelona anführen wolle. Der im Madrider Palacio de la Moncloa vernehmbare Jubel ist also etwas voreilig. Sánchez muss nach wie vor zwischen Zugeständnissen gegenüber dem separatistischen Lager und dem Festhalten an der nationalen Einheit balancieren.

In Ermangelung von inhaltlichen Alternativen reduziert sich seine derzeitige Politik auf ein reines Manövrieren um die Macht. Regierungsnahe Zeitungen wie „El País“, in denen sich im letzten Jahrzehnt eine linksliberale Deutungsdominanz entwickelt hat, befördern zudem die Bejahung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse. Sie behaupten, die meisten Spanier seien schlichtweg „müde und zermürbt“ von den langwierigen Konflikten zwischen Madrid und Barcelona. Diese „versöhnliche“ Berichterstattung soll in einer ausweglosen Lage systemstabilisierend wirken. Das Problem der regionalen Selbstbestimmung birgt jedoch immer noch enormen politischen Zündstoff. Die Separatisten werden sich weiterhin radikalisieren, haben es aber jetzt insofern leichter, als Sánchez katalanische „Rettungsschaluppen“ benötigt, um in Madrid das Heft in der Hand zu halten.

Europäisches Problem

Separatismus und Kleinstaaterei sind schon längst zum gesamteuropäischen Problem geworden. Und die linksliberalen Entscheidungsträger in der Europäischen Union mischen kräftig mit, um unter dem populistischen Deckmantel der „Vielfalt“, „Akzeptanz“ und „Integration“ gegen „unangenehme“ Zentralregierungen der Mitgliedstaaten vorzugehen. Wenn eine nationale Regierung in einer politischen Umgebung agiert, die sich gegenüber Brüssel nicht nur kritisch, sondern auch gegnerisch verhält, müssen in den betroffenen Ländern die Mehrheitsverhältnisse besser „ausbalanciert“ werden.

In Spanien oder Portugal, wo linksextreme Synergieeffekte besonders wirkungsstark sind, müssen die EU-Kommissare gemeinhin nur selten eingreifen. Aber auch in Polen, wo seit dem 13. Dezember der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk u.a. mit den Postkommunisten regiert, ist jegliche Intervention überflüssig geworden. Mehr noch: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen geriet angesichts des Regierungswechsels an der Weichsel geradewegs in einen derart ekstatischen Zustand, dass sie prompt ankündigte, das sogenannte Artikel-7-Verfahren gegen Polen einzustellen. Die Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der polnischen Rechtsstaatlichkeit sei „gebannt“, erklärte die ehemalige deutsche Bundesverteidigungsministerin. Von der Leyen stört sich nicht daran, dass gegenwärtig einige polnische Regierungsmitglieder für negative Schlagzeilen sorgen. Dass Tusks Gefolgsleute, denen nach der Machtübernahme Rechtsbrüche vorgeworfen wurden, nach nur vier Monaten ihre Schlüsselressorts verlassen, um sich am 9. Juni ins neue Brüsseler bzw. Straßburger Leben „hinüberzuretten“. Weshalb sollte die Kommissionspräsidentin dies auch beanstanden? Sie hatte es damals doch genauso gemacht.

In Polen ist Separatismus ebenfalls ein Thema, das von linksliberalen Kräften politisch ausgeschlachtet wird und das Land tiefgreifend spaltet. Dabei überschneiden einander mehrere Trennlinien. Ende April hat der Sejm über eine Änderung des Gesetzes über nationale und ethnische Minderheiten sowie Regionalsprachen abgestimmt. Mit der Gesetzesänderung würde nun auch die schlesische Sprache in Polen als Regionalsprache anerkannt werden. Wird Staatspräsident Andrzej Duda das Gesetz unterschreiben? Vermutlich nicht. Den oberschlesischen „Autonomisten“ geht es nämlich weniger um Inklusion oder Vielfalt, denn um die Ablösung von der polnischen Kultur. Die vom Staatsoberhaupt unterschriebene Gesetzesnovelle würde gewiss weitere Autonomieforderungen nach sich ziehen, was Szczepan Twardoch, der wohl prominenteste schlesische Schriftsteller, zuletzt unverblümt zum Ausdruck brachte.

Im Ergebnis dieser politischen Umgestaltungen fällt der sog. „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“ (RAŚ) auf der politischen Bühne Polens offenbar eine immer wichtigere Rolle zu. Sie wurde im Januar 1990 gegründet, gilt aber erst seit 2001 als eine ernst zu nehmende Organisation. Das grundlegende Ziel, das in ihren Statuten festgelegt wurde, ist die „Gründung einer autonomen Region in den historischen Grenzen Oberschlesiens“.

In Ordnung, was sind aber die „historischen Grenzen“ Oberschlesiens? Nun ist der Wirkungsort der politischen Bewegung RAŚ zweifellos eine spezifische Region. Es ist ein Landstrich mit einer schwierigen Geschichte, in der sich gleich mehrere Länder wiederfinden. Es ist vor allem ein zentraler Ort deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte. Die wechselnde staatliche Zugehörigkeit hat zahllose schlesische Familien unterschiedlich stark geprägt. Jeder muss es mit sich selbst ausmachen, welchen Lokalpatriotismus er innerhalb der klar gezogenen polnischen Grenzen lebt. Das Problem ist nur, dass die „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“ gleichfalls von linksradikalen Politikern durchflutet ist, die an der Idee eines europäischen Föderalstaates nichts auszusetzen haben. Die demoskopischen Befunde machen diese gespaltene politische Kultur augenfällig. Den meisten oberschlesischen „Autonomisten“ kommt es auf eine „tatkräftige“ Führung Brüssels an, die in ihren Augen überhaupt nicht als in Freiheitsrechte übergriffig erlebt wird.

Diese Haltung ist nicht verwunderlich. Zahlreiche aktuelle und ehemalige RAŚ-Funktionäre, wie deren Mitbegründer Jerzy Gorzelik oder der EU-Abgeordnete Łukasz Kohut, unterstützen seit Jahren auf internationaler Ebene die Autonomiebestrebungen katalanischer Separatisten. Als vor einigen Jahren nach der Durchführung der verfassungswidrigen Volksabstimmung in Barcelona die Barrikaden brannten und Pedro Sánchez sich noch ohne die Unterstützung der Katalanen an der Macht halten konnte, appellierte Gorzelik an den damaligen polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki, auf die „antidemokratische“ Regierung in Madrid einzuwirken.

Die oberschlesischen „Freiheitskämpfer“ der 7000 Mitglieder zählenden Bewegung RAŚ gehören der Europäischen Freien Allianz (EFA) an, die ca. 40 regionale und autonome Parteien sowie Bewegungen in der EU umfasst. Gemeinsam mit katalanischen und baskischen Separatisten stehen sie für eine Ideologie, die unter tatkräftiger Mitwirkung der europäischen Grünen gedeiht. Das ist seltsam, denn aus linksgrüner Sicht müssten derlei „chauvinistische Egotrips“ eigentlich völlig inakzeptabel sein. Sie erweisen sich jedoch anscheinend als nützlich, wenn sie zur Erosion nationaler Regierungen beitragen, die sich aktuellen europäischen Trends widersetzen. Stehen uns also auch in Polen spanische Szenarien bevor? Der von linksradikalen Separatisten angestoßene „lange Marsch durch die Institutionen“ trifft heute jedenfalls nicht nur in den Madrider Regierungskreisen flächendeckend auf Unterstützung.

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