Tichys Einblick
Geopolitik ohne EU

Myanmar im Machtpoker zwischen den USA und China

China und die USA werben gleichzeitig um die Gunst von Staaten wie Malaysia, Thailand, Bangladesch und eben auch Myanmar. Fest auf Linie gebracht hat Peking bereits die Anrainerstaaten Kambodscha, Laos und jetzt wohl auch Myanmar.

IMAGO / ZUMA Wire

„Nichts Bessere weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei.
Wenn hinten, weit, in der Türkei
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten,
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.
(Goethe, Faust 1)

Längst sind die Zeiten vorbei, als Johann Wolfgang von Goethe in seinem „Osterspaziergang“ einen Bürger so gelassen über entfernte Kriege sinnieren ließ. Unser Globus ist, verglichen mit vergangenen Jahrhunderten, tatsächlich zu einem Dorf geworden. Keine Entfernung ist zu groß, um nicht in geopolitische und strategische Konzepte im Ringen der großen Machtzentren und ihrer Satelliten einbezogen zu werden. Auch wenn manche bei den Meldungen über die Unruhen in dem südostasiatischen Myanmar (für die meisten eher als Burma bekannt) immer noch im gleichen Sinne denken mögen – einfach zu weit weg, für unser Leben ohne jede Bedeutung!

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In Wahrheit aber ist die wieder vollständige Machtübernahme durch das Militär ein alarmierender Hinweis auf die angespannte Lage in einer Region, von der der nächste große Krieg auf dieser Erde ausgehen wird. Myanmar hat Grenzen mit China, Thailand, Laos, Indien und Bangladesch. Schon von daher ist seine geographische Lage von hohem politischen und militärischen Interesse. Es ist wie alle Staaten der Region in das Magnetfeld des großen, wohl das 21. Jahrhundert bestimmenden Machtpokers zwischen den USA und China geraten.

Peking will bis 2030 wirtschaftlich mit den USA gleichgezogen haben und zwei Jahrzehnte später, also 2050, zur einzigen Weltmacht aufgestiegen sein. Wer dabei nur an ökonomische Fakten denkt, irrt sich gewaltig. Chinas starker Mann Xi Jinping versteht diese Rolle auch als ideologische und kulturelle Dominanz. Die westlichen Demokratien sind in seinen Augen überlebte und dekadente Erscheinungen, die der Vergangenheit angehören. An ihre Stelle sollen, ginge es nach ihm, disziplinierte und gelenkte Staatsgebilde treten, die unter chinesischer Führung straff geführt werden.

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Das größte Hindernis auf diesem Weg sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die immerhin bis heute über das größte militärische Potential auf dieser Erde verfügen und nach der US-Militärdoktrin in der Lage sein müssen, mindestens zwei Großkonflikte militärischer Art gleichzeitig in unterschiedlichen Regionen der Welt austragen zu können. Doch China holt in dramatischer Weise auf. Aus Sicht von Militärexperten beider Seiten ist am Ende eine kriegerische Auseinandersetzung unausweichlich. Allein der wachsende Bedarf an Rohstoffen und Nahrungsmitteln bei ständig weiter wachsender Weltbevölkerung lasse die Welt auf diesen Siedepunkt zutreiben.

China befleißigt sich in jeder Hinsicht eines aggressiven, seinem beschriebenen Oberziel untergeordneten, außen- und wirtschaftspolitischen Kurs. Hierzu gehören die aufwendigen Projekte der verharmlosend so genannten „Neuen Seidenstraße“, eine andere Staaten in Abhängigkeit bringende Kreditpolitik und die gegen das internationale Seerecht verstoßenden Aktivitäten im südchinesischen Meer, sowie die andauernde Unterwanderung internationaler Institutionen und Organisationen.

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Schon längst formieren sich die jeweiligen militärischen Bündnisse zur Eindämmung des „Gelben Drachen“. Unter Führung der USA haben Australien, Neuseeland, Japan, Indonesien und die Philippinen eine Allianz gebildet, die mit einer gemeinsamen Massierung ihrer Seestreitkräfte an strategischen Punkten der dortigen Meere Stellung bezogen haben. Schon mehrfach kam es zu beinahe-kriegerischen Handlungen. Man belauert sich gegenseitig und ist ständig auf der Hut. Großbritannien und Frankreich erklärten sich zu einer zumindest partiellen Unterstützung bereit. Deutschland spielt schon mangels eigener Fähigkeiten bei diesem Szenario keine Rolle.

Wichtig erscheint in dieser Phase der Entwicklung die Konsolidierung der jeweiligen Einflusssphären. So buhlen China und die USA gleichzeitig um die Gunst von Staaten wie Malaysia, Thailand, Bangladesch und eben auch Myanmar. Fest auf Linie gebracht hat Peking bereits die Anrainerstaaten Kambodscha, Laos und jetzt wohl auch Myanmar.

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Gerungen wird noch mit Zuckerbrot und Peitsche um Thailand und Malaysia. Sonderfaktoren stellen das eigenständige Indien, das in „herzlicher Abneigung“ mit China sich arrangieren müssende und wirtschaftlich wachsende Vietnam und schließlich das möglicherweise eines Tages kriegsauslösende Taiwan, das von Chinas Kommunisten als Teil ihres Territoriums betrachtet wird. Für die meisten dieser Staaten hat Peking schon längst Infrastrukturprojekte und militärische Verzahnungen in der Tasche. Hindernisse beim Erreichen ihrer Ziele sind heute nicht mehr die spätfeudalen und zum Teil monarchistischen Herrschaftseliten in den umworbenen Staaten, sondern eine westlich orientierte und nicht zuletzt durch das Internet wachgewordene junge Generation.

Die Wiederkehr der totalen Militärdiktatur in Myanmar dürfte Pekings Werk sein. Das ehemals unter britischer Kolonialherrschaft stehende Burma wurde nach seiner Unabhängigkeit im Jahre 1948 für knapp 15 Jahre eine sich gut entwickelnde Demokratie mit wachsendem Wohlstand. 1962 fegte das an Pekings Kommunismus orientierte Militär die Demokratie beiseite und errichtete eines der brutalsten Regime in Südost-Asien. 1964 folgte die Verstaatlichung der Banken und die Zerschlagung einer sich gerade über den Agrarsektor hinaus entwickelnden privatwirtschaftlichen Gewerbestruktur.

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Unter dem Zwang der wirtschaftlichen Globalisierung erlebte Myanmar, eines der bis heute ärmsten Länder der Welt, 2011 eine Öffnung für ausländische Investoren bei gleichzeitiger Abschwächung des repressiven Charakters des Regimes. Man erlöste im Sinne internationaler Imagepflege die von den Menschen in Myanmar nahezu vergötterte Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi aus ihrem 15jährigen Hausarrest und gestattete ihr sogar den Rang einer Staatspräsidentin. Das Militär sicherte gleichzeitig mit einer 25prozentigen Sperrminorität im Parlament sowie der garantierten Besetzung zentraler Kabinettsposten seine Macht. Insofern kann von einem Putsch im klassischen Sinn nicht die Rede sein. Vielmehr wurde die Maske abgenommen.

China plant den Bau zentraler Bahnstrecken und Straßentrassen, sowie die Einrichtung eines Tiefseehafens mit Militärstützpunkt. Es spricht Bände, dass von den 113 Investitionsprojekten in der zentralen Region Rangoon 82 in chinesischer Hand sind. Im Bau ist auch die Einrichtung eines 1.700 km langen Wirtschaftskorridors von China über die myanmarischen Metropolen Mandalay und Rangoon bis zur Sonderzone Kyaukpyu, wo der gerade erwähnte chinesische Großhafen Gestalt annimmt. Von besonderem Interesse Chinas sind auch die großen Edelstein-Vorkommnisse des Landes. So ist Myanmar beispielsweise der größte Jade-Exporteur der Welt.

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Vor dem Gesamtszenario, in dem sich die Geschehnisse in Burma abspielen, kann es niemanden erstaunt haben, dass der gerade ins Amt gekommene amerikanische Präsident Joe Biden unmittelbar nach dem Coup des Militärs die Freilassung der erneut inhaftierten Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und die Rückkehr zu den vorherigen Verhältnissen forderte. Im Zweifel, so Biden, werde man handeln. Die Machthaber in Rangoon reagierten nicht. Washington fror daraufhin die Konten führender Militärs des Landes in den USA ein, verbunden mit der Beschlagnahmung von Vermögenswerten. Signale, die wohl eher an die Herren in Peking gerichtet waren als an die Militärs in Rangoon.

Die Proteste der mutigen Studenten, aber auch anderer Teile der Bevölkerung gegen die Militärs gehen unterdessen weiter. Zum ersten Mal ließen die Generäle in der Nacht zu Montag Panzer in den Straßen der größten Städte auffahren. Ein kleines Kräftemessen zwischen Peking und Washington hat begonnen. Jetzt muss man auf Nervenstärke und kühle Vernunft auf beiden Seiten hoffen. Aber niemand darf glauben, dass die Entwicklungen so weit weg von uns nichts mit Europa zu tun haben.

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