Jens B. lebt mit seiner Familie seit November 2018 in Neuseeland. Er erzählt, er sei nicht nur in Folge der Flüchtlingskrise, sondern mehr in Folge der beklemmenden Political Correctness und zunehmender Risikolage ausgewandert.
Jens B. (JB):
„Ein weiterer Faktor war die Steuerlast; Wir wollen ungern mehr als 50% unseres Einkommens an jemanden bezahlen, der die vorgenannten Probleme mit Eifer verstärkt. Mein Hintergrund umspannt Informatik, Statistik und Psychologie. Beruflich bin ich im analytischen Kundenbeziehungsmanagement tätig. Falls sie z.B. Commerzbank-Kunde sind, dann kommen die Vorschläge, die Ihnen ihr Bankberater oder das Online Banking macht, aus einem System, von welchem ich Chefentwickler war. Meine Frau war Unternehmerin und hat Ihren Betrieb im Zuge der Auswanderung verkauft.
TE:
Wie schauen die Menschen im Land auf die Morde in Christchurch? Wie ist die Stimmung so kurz nach den schrecklichen Nachrichten?
JB:
Es ist ja gerade Wochenende und die Kiwis kümmern sich zuallererst um sich selbst und die Familie. Ich vermute, eine Debatte in der Bevölkerung wird erst ab Montag so richtig stattfinden. Bei etwa einem halben Dutzend Smalltalks, die ich seit Freitag hatte, ist das Thema nicht einmal angeschnitten worden. Die Medien sind allerdings voll mit Nachrichten über Christchurch. An vorderster Front die Premierministerin mit Kopftuch in einer Flüchtlingseinrichtung.
TE:
Was können Sie uns über den Ort selbst sagen, welchen Stand hat Christchurch in Neuseeland, was gilt/bedeutet die Stadt den Neuseeländern?
JB:
Christchurch ist die drittgrößte Stadt in Neuseeland (NZ) und die größte der Südinsel. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung ist Sie aus meiner Sicht ein hochrelevanter Teil des modernen Nationalverständnisses. Nach dem Erdbeben 2012 mit 185 Toten waren große Teile der Innenstadt zerstört. Massiver Einsatz von Freiwilligen und finanzielle Hilfeleistungen ermöglichten, dass die Stadt schnell wieder auf die Beine kam. Damit ist Christchurch ein leuchtendes Beispiel für nationalen Zusammenhalt und Solidarität.
TE:
Ein Australier soll einer der Attentäter gewesen sein. Wie berichtet die Presse, was weiß man schon über den Mann? Wie ist generell das Verhältnis zwischen Australien und Neuseeland?
JB:
Das Verhältnis Australien/Neuseeland ist vergleichbar mit Deutschland/Österreich oder mit dem, von zwei rivalisierenden Brüdern. Kulturell und historisch eng beieinander mit engen wirtschaftlichen Verflechtungen. Dennoch gibt es viel Rivalität. In Krisen wie dem Erdbeben in Christchurch wurde allerdings sofort und ohne Fragen massiv geholfen. Zum Hintergrund des Täters ist noch nicht so viel bekannt. Hier der bisher umfassenste Artikel dazu.
TE:
Australien behauptet, einen Weg aus der Flüchtlingskrise gefunden zu haben, wie sieht dieser Weg aus? Wie sieht die Migration generell aus? Und gilt das auch für Neuseeland?
JB:
Der Ausstieg der Australier aus dem „global compact on migration“ ist mir zur Kenntnis gekommen, mehr weiß ich leider nicht über Australiens Weg aus der Krise. Die Migration nach NZ ist komplex. Es gibt drei Hauptrichtungen:
1. Qualifizierte Migration: Es gibt ein Punktesystem, welches nur hoch qualifizierte Immigranten hereinlässt. Ich bin über diesen Weg hierher gekommen. Aber auch z.B. ein gesunder Tischler (Mangelberuf) mit Beruferfahrung hätte gute Chancen. Allerdings nur mit einem Arbeitsvisum. D.h. nach Verlust des Jobs und ohne Folgejob muss er das Land verlassen.
2. Familiennachzug: Steht im Zusammenhang mit dem Punktesystem aus Punkt 1. Allerdings gibt es für Verwandschaft genug Bonuspunkte, dass auch Verwandte ersten Grades ohne Qualifikationen und Verwandte zweiten Grades mit Bachelor oder Berufsausbildung und Englischkenntnissen nachkommen dürfen.
3. Refugee Quota: Das ist quasi die erste Klasse der Immigration. Während bei (1) und (2) hohe Kosten für Antrag und eigene Auslagen eingerechnet werden müssen, gibt es hier ein Gratis-Paket aus Flugreise, Kost und Logis und nach kurzer Wartezeit auch ein eigenes Haus auf Kosten der Steuerzahler. Die Quote betrug bis 2019 1.000 Personen pro Jahr und danach 1.500. Die Neuseeländer sind zumindest laut Presse sehr stolz darauf, so die Probleme der Welt zu lösen. Unter vier Augen hört man aber doch auch mal etwas anderes …
In der Öffentlichkeit ist allerdings kaum bekannt, dass nicht 1.500 Personen, sondern 1.500 Familien pro Jahr diesen Status erhalten. Es zählt nur der Antragsteller auf diese Quote und dieser darf dann die Familie nachholen. Besonders bei den bekannten Familienstrukturen aus den Quellländern werden also nicht 1.500 sondern eher 10.000 hereingeholt. Und diese wiederum dürfen dann über den Weg (2) weitere nachholen.
TE:
Würden Sie heute sagen, so etwas Schreckliches hätte sich bereits angedeutet? Man hätte es erkennen und z.B. geheimdienstlich vorher mehr machen müssen?
JB:
Neuseeland ist im Rahmen von Nato-Missionen stark in Afghanistan und Co. beteiligt. Ich hatte eher mit einem Anschlag aus der anderen Richtung gerechnet.
Geheimdienstlich ein Ding der Unmöglichkeit. Der Täter war ein nach ersten Erkenntnissen völlig unauffälliger Durchschnittstyp, der seinem Umfeld gegenüber nicht mit einem Islamhass o.ä. bekannt hat. Eine erste Konsequenz war bereits die Ansage der Premierministerin einer Überarbeitung des Waffenrechts. Interessant ist allerdings, dass die Waffe des Täters im Video eine illegale Waffe war, die nichts mit seiner Lizenz zu tun hatte.
TE:
Welche Chancen und welche Probleme ergeben sich generell aus der Zuwanderung für Neuseeland?
JB:
Die Chancen qualifizierter Migration liegen auf der Hand: Benötigte Fachkräfte lassen sich ohne hohe Ausbildungskosten importieren und die zahlen dann auch noch hohe Steuern. Risiken bestehen vor allem in Richtung der Integrationsfähigkeit. In den letzten beiden Jahrzehnten sind sehr viele Chinesen immigriert, die dann in chinesisch dominierten Bezirken (z.B. Albany/Auckland) leben und wenig Interaktion mit dem Rest der Bevölkerung haben. Ich habe hier auch schon ziemlich böse Sprüche von Neuseeländern gehört, muss aber relativieren: Diese Einwanderer zahlen wenigstens Steuern.
TE:
Wie schauen Sie vom anderen Ende der Welt herüber auf die Zuwanderungsprobleme nach Deutschland und Europa?
JB:
Die meisten Neuseeländer können Deutschland nicht von Schweden oder Holland unterscheiden und klassifizieren meist nur nach „Europäer“. Wenn ich doch mal ein Gespräch mit jemandem hatte, der Deutschland kannte, gab es meist Lob für das Oktoberfest (auf dem ich nie war). Einigen sind die Probleme bekannt. Meist eher die ländlich Lebenden älteren Semesters. Die jungen Städter wissen nichts davon, was in Europa passiert. Sie sind leider auch uninteressiert. Also wenn ich ein wenig zu meinen Gründen zur Auswanderung erzähle, kann und will man mir nicht zuhören.
TE:
Wie groß ist eigentlich die deutsche/deutschstämmige Gemeinde in Neuseeland? Welchen Einfluss hat diese Gruppe im Land, wie wird auf die „Deutschen“ geschaut? Gibt es so etwas, wie deutsche Kulturvereine? Was machen Deutsche da so untereinander oder gibt es kein „untereinander“?
BJ:
Eine strukturierte deutsche Community gibt es hier nicht. Laut Zensus leben hier 12.000 deutschstämmige (inklusive derer mit deutschem Pass). Ich habe bisher ein gutes Dutzend Deutscher/Deutschstämmiger kennengelernt. Entweder man lebt in dritter Generation hier und kann nur noch wenige Brocken Deutsch oder man ist ausgewandert und hat (meist) einen einheimischen Partner.
TE:
Was würden Sie sagen, von welchen Ländern und Kulturen wird Neuseeland aktuell am meisten beeinflusst? Gibt es spürbar so etwas, wie eine Sorge um den Verlust einer eigenen neuseeländischen Kultur und welche wären das?
JB:
Dominierende Kultur ist klar die britische. Allerdings ist man hier deutlich offener und relaxter. Auch wenn die eigene Kultur und Unabhängigkeit oft erwähnt wird, entgeht mir bisher das klare Alleinstellungsmerkmal. Für mich ist es hier britisch mit einigen wenigen Anleihen aus Asien und USA. Es gab und gibt deutliche Ressentiments gegen die bereits zuvor erwähnte chinesische Einwanderung, da die Kultur sich zu stark abgrenzt.
TE:
Kann man sagen, so wie es die deutschen Nachrichten gerade machen, dass praktisch jeder Australier/Neuseeländer ein Eingewanderter ist? Beschreiben Sie bitte, wie und ob überhaupt sich Nationalgefühl heute in Neuseeland ausdrückt und wie das früher war, welche Entwicklung es genommen hat.
JB:
Ich habe diesen Punkt auch öfter aus den USA und Deutschland gehört, aber ich verstehe ihn nicht. Es kommt ja gar nicht darauf an, wo jemand geboren ist, sondern ob er zur im Land lebenden Gesellschaft etwas beitragen kann, ihr nur zur Last fällt oder sie sogar zerstört. Die letzteren beiden sollte man halt besser draußen behalten.
TE:
Wie sehr wird die Debatte um Zuwanderung von den Ereignissen in Europa bestimmt? Wird viel darüber diskutiert oder bleibt das andere Ende der Welt eben das andere Ende der Welt?
JB:
Ja, das mit dem anderen Ende der Welt ist leider so. Allerdings in beide Richtungen. Es werden viele Ideen und Nachrichten 1:1 aus den „Altmedien“ übernommen. Insbesondere die political correctness sehe ich kritisch für Neuseeland, die gern eher so demokratisch wie die Schweiz wären.
TE:
Neuseeland ist Teil des Commonwealth, was sagen Sie zu den Verhältnissen im „Mutterland“ Großbritannien? Sind Nachrichten wie die aus Telford/England usw., wo Pakistani tausende englische Minderjährige prostituiert haben sollen auch ein Thema in Neuseeland?
JB:
Man hat davon gehört, aber solche Vorfälle gab es hier bisher nicht. Daher ist das Thema wohl zu abstrakt für den Durchschnittskiwi. So wie ich den Täter von Christchurch (internationale Reisen und Kontakte) einschätze, war genau das aber Ursache für seine Tat.
TE:
Wie ist in Neuseeland der Umgang mit Muslimen? Gibt es Moscheen, gibt es Angriffe auf Muslime? Ist Rassismus ein Thema?
JB:
Muslime werden wie jede Religion nach dem Motto „Jeder nach seiner Fasson“ behandelt. Moscheen sind hier eher sehr klein und eher Gebetshäuser. Z.B. ehemalige Lagerhäuser. Angriffe oder Konfrontationen gibt es nicht.
Rassismus ist ein starkes Thema, allerdings eher zwischen europäischstämmigen und maoristämmigen Neuseeländern. Der Konflikt ist aus meiner Sicht so etwas wie eine leichte Variante des black/white Konflikts aus den USA. Übrigens ist der Islam die am stärksten wachsende Religion in NZ, besonders unter Maori, das sehe ich besonders kritisch, da bestehende Minderwertigkeitgefühle unter Maori nochmals verstärkt werden und der Islam sich hier als Befreier darstellen will.
TE:
Gibt es starke nationale Strömungen in Neuseeland?
JB:
Es gibt hier eine Partei Namens NZ first, die zur Zeit mit der „SPD“ in der Regierung sitzt. Diese ist in Ihren Wahlversprechen vielleicht der AfD am ähnlichsten. In der Regierung handelt sie aber eher wie die Grünen. Sowohl die als auch die „SPD“ und auch NZ first sind mit dem Wahlversprechen angetreten, die Immigration zu beschränken. Dies haben sie auch bei der qualifizierten Einwanderung umgesetzt (noch mehr Punkte nötig, noch niedrigere Maximalquote pro Jahr). Auf der anderen Seite wurde dann aber die Flüchtlingsquote erhöht und der gobal compact unterzeichnet. Die Medien berichten allerdings von über 80 Prozent Zustimmungsquote für Frau Ardern. Also übel genommen worden ist ihr das nicht …
JB:
Noch zum Abschluss: So etwas wie eine freie Presse gibt es hier nicht. Bei den grade einmal vier Mio Einwohnern ist so ein Magazin wie Ihr hochgeschätztes leider nicht ohne weiteres finanzierbar. Und die Bürger hier haben noch nicht verstanden, wie wichtig eine freie Presse ist. Daher Daumen hoch und weiter so für Ihre Arbeit.
Impressionen aus Neuseeland (© Jens B.)