Hype um den Täter: Wie Linke den Mord am Healthcare-Chef feiern
Matthias Nikolaidis
In Manhattan wird ein Versicherungs-CEO von einem Ivy-League-Absolventen erschossen. Medien berichten umgehend von der „weit verbreiteten Wut über ein kaputtes System“ (Vanity Fair). Linke weltweit feiern den Täter, auch hierzulande. Erinnerungen an die Strategiekonferenz der Linken werden wach, wo man darüber fabulierte, das eine Prozent der Reichen zu erschießen.
Am frühen Morgen des 4. Dezember wurde der Geschäftsführer der privaten Krankenversicherung UnitedHealthcare in Manhattan auf der 54. Straße mit einer schallgedämpften Waffe erschossen. Er war auf dem Weg von seinem Hotel, um an einem Investorentreffen im gegenüberliegenden Hilton Midtown teilzunehmen. Ein bewaffneter Mann im Kapuzenpullover hatte dem CEO aufgelauert, wie ein Überwachungsvideo zeigt. Brian Robert Thompson, 1974 in Iowa geboren, wurde nur 50 Jahre alt, und hinterließ eine Frau und zwei Kinder.
Auf den gefundenen Patronenhülsen fanden sich unter anderem die eingeritzten Worte „deny“ und „delay“ – also „verweigern“ und „verzögern“, zwei irgendwie bekannte Taktiken von Versicherungsunternehmen, um Zahlungen zu vermeiden, und das rund um den Globus. „Delay Deny Defend“ (Verzögern, Verweigern, Verteidigen) ist eine andere Version dieses Versicherungsmantras, das vor eine Belastung der Bilanzen schützen soll. In New York sollte diese typische Charakteristik einer Branche nun einen Mord rechtfertigen.
So reimten es sich jedenfalls gewisse Social-Media-Helden zusammen, die sich außerstande sahen, den Tod des Healthcare-Direktors auch nur mit verhaltener Trauer aufzunehmen. Stattdessen gab es viele enthusiastische, verhöhnende oder sarkastische Smileys und einen offen bekundeten Mangel an „Empathie“, der offenbar immer dann angesagt scheint, wenn über irgendetwas moralische Entrüstung ausgegossen werden soll. In Kurzform: Weil das Opfer sich unmoralisch verhalten hat, verdient es seine Verluste voll und ganz, selbst wenn es dabei um sein Leben geht.
Die Gründe lagen offenbar tiefer. „UnitedHealthcare lehnte meine Operation zwei Tage vor dem geplanten Termin ab. Ich war in Tränen aufgelöst in der Finanzabteilung des Krankenhauses (während ich mich eigentlich auf die Operation vorbereiten sollte)“, schrieb ein X-User und bekam zehntausende Likes dafür. Nach Thompsons Tod gab es eine wahre Flut von Medienberichten über durch United Healthcare verweigerte Kostenübernahmen, die sich laut Berichten zum Teil der Automatisierung der Anerkennungsverfahren durch KI verdankte. UHC hatte 2021 angekündigt, die Kostenübernahme für „nicht-kritische Besuche“ in Krankenhaus-Notaufnahmen zurückfahren zu wollen.
Schon die ersten Beiträge zum Geschehen, etwa von CNN, räumen den „angsterregenden“ und „unangemessenen Verweigerungen“ der US-Versicherer breiten Raum ein. Es dauerte nicht lange, bis weitere Vorwürfe gegen Thompson persönlich – „hochschnellende Gewinne“ und Insiderhandel – lanciert wurden.
Tatsächlich hatte es laut der Witwe des Getöteten „einige Drohungen“ gegen ihren Mann gegeben, auch gegen den Versicherungskonzern insgesamt, wegen verweigerter Kostenübernahmen. Doch schon die Medienberichte über UnitedHealth zeigen, dass es um mehr geht als nur eine private Krankenversicherung. Es geht – für einige – wohl um das „kapitalistische“ System insgesamt, in dem es natürlich auch Gewinne gibt, die ja praktisch jede Wirtschaftstätigkeit (auch die kleinste) antreiben. Die Journalistin Taylor Lorenz, ehemals bei New York Times und Washington Post beschäftigt, nun selbständige Podcasterin, sagte in einem Auftritt bei Piers Morgan spontan, dass sie aus Anlass des Todes von Thompson „ungücklicherweise Freude“ empfand. Lorenz konnte ihr Lächeln freilich im gesamten Abschnitt überhaupt nicht im Zaum halten, was den Moderator Morgan mit der Zeit etwas fuchsig werden ließ.
„Parasiten, die es verdient haben“
Und zu diesem Zeitpunkt war auch der mutmaßliche Täter gefasst worden. Es handelt sich um den 26-jährigen Ivy-League-Absolventen Luigi Mangione, den eine Überwachungskamera während seines Flirts mit einer Hostel-Angestellten überführt haben soll. Schon das fanden viele in der Online-Community sehr krass oder im amerikanischen Slang „sick“.
Übrigens waren beide, der mutmaßliche Mörder und sein Opfer, jeweils Klassenbeste in ihren Universitätsjahrgängen. War es eine Art Fernduell zwischen Konkurrenten? Wenn, dann wäre es aber unter sehr unfairen Bedingungen abgelaufen. Der Täter gab Thompson nicht die Gelegenheit, sich zu verteidigen oder zu wehren. Das Video einer Überwachungskamera zeigt, wie Thompson hinterrücks erschossen wird.
Angeblich litt Mangione seit langem unter Rückenschmerzen. Er war aber durch seine überaus wohlhabende Herkunft aus einer prominenten Familie in Maryland nicht in Geldnöten. Das fiele also als Motiv aus. Also doch ein erneuter Fall von Wohlstandsverwahrlosung? Zugleich sind verschiedene Manifeste aufgetaucht, von denen vielleicht eines echt sein könnte und die sich natürlich um Dinge wie den „allopathischen Komplex“ drehen oder von den „Opfern des Gesundheitssystems“ sprechen. Aber dass sie authentisch wären, weiß man nicht. Eher zeugen sie von der raschen Anhängerschaft, die sich um einen vermeintlichen Mörder gebildet hat. Irgendwo spricht dann natürlich auch einer dieser Manifest-Mangiones von den „Parasiten“ im US-Gesundheitssystem, die „es verdient haben“.
Mangione soll dabei nicht wirklich zur radikalen Linken gehören, wohl aber lobte er das Manifest des Unabombers Ted Kaczynski – der einst einen Terrorkampf gegen das industrielle Amerika geführt hatte – als aus Kaczynskis Sicht folgerichtig. „Aus seiner Perspektive ist es nicht Terrorismus, sondern Krieg und Revolution“, heißt es auf einem Online-Profil, das anscheinend zu Mangione gehört. Natürlich wird nun auch angezweifelt, dass der Festgenommene wirklich der Täter war, was wiederum die Frage nach dem Sinn einer solchen Operation (Psyop?) in den Raum stellen würde. Aber die Fragen werden zu viele. Sicher ist nur: Gewisse Akteure und auch Medien sind von der Entwicklung absolut begeistert.
taz: Das mit der Selbstjustiz ist schwierig, aber …
Als „revolutionär“ scheint man den Krankenkassendirektorsmord auch in Deutschland hier und da zu sehen. Zum Beispiel bei der linksgrünen taz, deren Kolumnistin sich die Zeilen nicht verkneifen kann: „Der Mord wird als revolutionär gesehen, Mangione als eine Art Robin Hood.“ Oder auch: „Das bezaubernde Lächeln des 26-Jährigen kennt man am besten aus einem Überwachungsvideo, das vor wenigen Tagen von der New Yorker Polizei verbreitet wurde.“ Und wem das nicht eindeutig genug ist, dem sei gesagt, dass die Autorin am Ende ihres Textes zwar findet, dass „das mit der Selbstjustiz schwierig“ sei, aber „etwas Genugtuung über den Tod eines Millionärs, der mit dem Leid anderer reich werden konnte“, eben durchaus „verständlich“ wäre. Nur verlieben solle man sich lieber nicht in ihn, denn das wäre ja „hybristophil“. Aber auch da scheint es einige Fälle auf X gegeben zu haben.
Nils Schniederjann, ein Mitarbeiter des Deutschlandfunks (und ehemals des linksextremen Jacobin Magazins), meinte auf X derweil, dass Selbstjustiz natürlich falsch sei und „die Gesellschaft zersetze“, aber die „Wiedereinführung der Todesstrafe“ sei dennoch zu überlegen – wenn auch „nur für Superreiche“, so wie es der US-Politologe John McCormick vorgeschlagen habe. Im daneben gezeigten Buch („Machiavelli und die populistischen Schmerzensschreie“) geht es um „die kranke Idee, reiche Menschen mit der Todesstrafe für Wirtschaftsbetrug oder Steuerhinterziehung zu bestrafen“. Der Autor argumentiere, dass „solche Maßnahmen die Demokratie stärken könnten“. Später löschte Schniederjann seinen Post wieder.
Erinnerungen werden wach an die Strategiekonferenz der Linken 2020, wo man darüber fabulierte, das eine Prozent der Reichen zu erschießen bzw. wortwörtlich: „„Energiewende ist auch nötig nach ’ner Revolution. Und auch wenn wir det ein Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen, wir wollen uns fortbewegen. Naja, ist so!“ Nach dem Redebeitrag war das dem Parteichef Bernd Riexinger offenbar etwas peinlich, weil er korrigierte: „Ich wollt noch sagen, wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“ Darauf Beifall und Heiterkeit im Publikum.“
Im Hintergrund geht es um Obamacare und deren Ausweitung
Aber „Gesellschaftsredakteurin“ Valérie Catil steht eben auch international durchaus nicht allein da mit ihrer klammheimlichen Sympathie mit dem Mörder und seiner Tat. Im sicher nicht weniger linkswoken Guardian meint Chris McGreal: „Wenn der Mörder gefasst wird und sein Motiv jenes ist, das sich viele Amerikaner vorstellen, könnte sein Prozess eine weitere Kluft in einer bereits zerrissenen Nation darstellen.“ Aber selbst wenn der Mord an Thompson nicht mit den Verfehlungen der Krankenversicherer zu tun haben sollte – was McGreal sich offenbar nur peripher vorstellen mag –, müsse das geschehene „Ausströmen öffentlicher Wut“ gegen die Versicherungsindustrie ihren Managern eine ernste Warnung sein. Auch der ultralinke Senator Bernie Sanders hatte doch gesagt, dieser Mord sei zwar „inakzeptabel“, doch die „Wut auf die Gesundheitsbranche“ vollkommen gerechtfertigt.
Das ist ungefähr so, als hätte man den Mord an Alfred Herrhausen, Jürgen Ponto oder Hanns Martin Schleyer 1977 und 1989 durch Terroristen der RAF als direkte Warnungen an Arbeitgeber und Banken interpretiert, ihr übles Spiel mit dem deutschen Volk zu überdenken. Die Bürger reagierten damals bekanntlich anders. Die Reaktion vieler Plattform-Nutzer von heute weist in eine neue Richtung. Sie ist aber vor allem von einer regellosen Moralisierung geprägt und von einem erstaunlichen Mangel an Empathie und Ehrfurcht vor dem Leben, wo sie die Linke doch gewöhnlich immer als „sharing and caring“ präsentiert. Aber es ist nicht so lange her, dass eine Politikerin der Linken unwidersprochen sagen durfte, dass man Reiche prinzipiell erschießen dürfe oder sogar müsse, wo es um die wahre Revolution geht (na ja, es war ihr so rausgerutscht).
Im Hintergrund steht mutmaßlich die Transformation des amerikanischen freien Systems der Krankenversicherung in eines, das mehr Ansprüche durchsetzen kann, aber offensichtlich ein anderes System wäre, das näher bei der europäischen Zwangsmitgliedschaft ist. Davon zeugt dann wohl auch die redselige Thematisierung und Bebilderung mit Einzelfällen in Nachrichtensendungen, die sich zwar schockiert über den Mord geben, aber auf der Welle der Empörung mitsurfen wollen. Der Guardian spricht es wieder einmal am deutlichsten aus: „Die US-Gesundheitsreform ist schwer durchzubringen. Kann die dreiste Ermordung eines CEO daran etwas ändern?“
„Rücksichtslos, uninformiert, geistesgestört“ – der perfekte Democrat
Gefängnis-Reportagen im Papparazzi-Stil mit „Free Luigi!“-Einblendung und Fragen an die Mitinsassen aus der Ferne folgten und zeugen nun definitiv von der Idolisierung eines mutmaßlichen Straftäters und anderer Gefängnisinsassen. Denn so ein Interview muss man erst einmal geführt haben, mit einem Chor der Mitgefangenen.
„Er ist der perfekte Vertreter für alles, wofür die Demokratische Partei steht“, sagte MSNBC-Moderatorin Rachel Maddow. „Er ist rücksichtslos, uninformiert, geistesgestört – und er ist bereit, Menschen zu töten, mit denen er nicht übereinstimmt.“
Wo in diesem Fall die blutige Realität aufhört und die Satire anfängt, das ist in der Tat nicht immer ganz klar.
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