Im östlichen Mittelmeer formieren sich verschiedene Blöcke im Wettstreit um Ressourcen. Wie zuvor Erdogan mit Libyen, so hat sich nun Griechenland mit Ägypten in Sachen Wirtschaftszonen geeinigt. Der türkische Präsident kochte und schickte sein Forschungsschiff doch noch ins Mittelmeer. Nun sollen einmal mehr die Deutschen vermitteln.
Am vergangenen Freitag betete Erdogan zum zweiten Mal in der Hagia Sophia. Danach improvisierte er vor dem alten Kirchenbau ein kurzes Statement, in dem er auch ein politisches Thema ansprach. Einen Tag zuvor hatten Griechenland und Ägypten sich nämlich auf eine Abgrenzung ihrer ausschließlichen Wirtschaftszonen geeinigt. Dieser diplomatische Erfolg der Griechen hatte den türkischen Präsidenten offenbar erbost. Sein Zorn richtete sich auch gegen Angela Merkel. Sie hatte ihn gebeten, auf den Einsatz von Bohr- und Forschungsschiffen in fremden Gewässern fürs erste zu verzichten. Es war eine Verabredung, mit der Merkel angeblich einen militärischen Zusammenstoß der beiden Nachbarn in letzter Minute verhindert hatte.
In die Mikrophone sagte Erdogan nun kaltschnäuzig: »Es gibt kein derartiges Abkommen. Merkel hat von mir verlangt, die Bohrungen zu unterbrechen. Nun werden wir sie wieder beginnen. Wir haben Merkel informiert.« Die Bundesregierung sprach von »einseitigen Schritten«, die »sicher das falsche Signal in diesem Moment« seien. Außenamtssprecher Christofer Burger betonte einmal mehr, es handele sich um Maßnahmen, die nicht im Einklang mit dem internationalen Recht stünden. Angela Merkel aber sei gerade in den Ferien und werde nicht selbst eingreifen. Stattdessen sei Heiko Maas im Kontakt mit beiden Seiten. Burger rief Athen und Ankara auf, in einen bilateralen Dialog zu gehen und alle offenen Fragen durch Verhandlungen zu lösen.
Am Sonntag stand Erdogan erneut vor den Fernsehkameras. Das Video der staatlichen Presseagentur Anadolu war ungewöhnlicherweise sogar mit griechischen Untertiteln versehen. Erdogan sagte, er habe der griechischen Seite nie getraut. Das Abkommen über die ausschließlichen Wirtschaftszonen zwischen Griechenland und Ägypten sah er offenbar als Verrat an der von Merkel vermittelten Dreier-Abmachung.
Mitsotakis: »Logik der Nötigung und der Einschüchterung«
Dieses Mal scheinen die Griechen sich eine Überraschung erlaubt zu haben. Und das ist gut so, denn langfristig müssen sie aus der Position des ›Musterschülers‹ der internationalen Gemeinschaft herauskommen und souverän handeln. Wie die türkische Zeitung Milliyet berichtet, war eigentlich geplant, dass die beiden Nachbarstaaten am vergangenen Freitag – ganz im Sinne von Heiko Maas und seiner Kanzlerin – den Beginn direkter Verhandlungen ankündigen. Der griechische Außenminister Nikos Dendias vereitelte dies mit der Verkündung eines griechisch-ägyptischen Abkommens über die ausschließlichen Wirtschaftszonen der beiden Länder.
Laut Premierminister Kyriakos Mitsotakis ist die Einigung mit dem überseeischen Nachbarn Ägypten vollkommen legitim. Der Abbruch der vorbereitenden Gespräche, bevor diese überhaupt begonnen haben, zeige, wes Geistes Kind Erdogan sei: »Die Reaktion der Türkei auf das vollkommen rechtmäßige Abkommen zur Abgrenzung der Wirtschaftszonen mit Ägypten zeigt leider, dass sich dir Türkei nicht mit den europäischen Werten des 21. Jahrhunderts anfreunden kann und einer Logik der Nötigung und der Einschüchterung verhaftet bleibt. Einer Logik, die anderen Zeiten angehört.«
Erdogans bekundete Dialogbereitschaft war demnach nur vorgegeben. In Wahrheit erwartet er eine Übernahme seiner Vorstellungen, und die werden auf diversen türkischen Karten des Mittelmeers deutlich, auf denen praktisch der ganze Bereich zwischen Kreta und der levantinischen Küste – mit Ausnahme eines schmalen Küstenstreifens um Zypern herum – der türkischen Ausbeutung zur Verfügung steht. Solche Karten erinnern schon bald an das chinesische Verhalten im südchinesischen Meer, wie auch australische Kommentatoren bemerkten.
Der linkskemalistische Generalleutnant a. D. Ismail Hakki Pekin schrieb dieser Tage auf Twitter: »Ein Konflikt ist unausweichlich geworden. Die Türkei muss Stärke zeigen. Mit Griechenland kann es keine Verhandlungslösung mehr geben. Die Türkei sollte seismische Erkundungen auf [sic!] der Insel Meis durchführen, die Teil der Heimat ist. Die blaue Heimat ist kein leeres Wort.« Meis ist der türkische Name von Kastellorizo. Als »blaue Heimat« bezeichnen die türkischen Militärs ein Ausgreifen des Landes in die Ägäis und ins östliche Mittelmeer, was aber durch die Existenz der griechischen Inseln (wie Kastellorizo) blockiert wird. Die logische Folge sind Annexionsforderungen und -versuche, die Griechenland realistischerweise von seinem Nachbarn erwarten muss.
Die schwache Lira treibt Erdogan ins Mittelmeer
Im Zuge der von Erdogan betriebenen Zuspitzung im östlichen Mittelmeer hat die türkische Lira im Vergleich mit Dollar und Euro zuletzt wiederum stark an Wert eingebüßt. Nun drohen sogar Kapitalverkehrskontrollen der einen oder anderen Art. Um einen IWF-Kredit (und das daran unweigerlich geknüpfte »Programm«) will Erdogan angeblich aber nicht bitten. Doch mit der schwachen Landeswährung lassen sich immer weniger Güter und Rohstoffe günstig einkaufen. Die Türkei braucht zudem dringend Energie und bleibt bei der derzeitigen Aufteilung des östlichen Mittelmeers außen vor. Auch deshalb beginnt Erdogan wie ein Getriebener laufend neue Konflikte mit fast allen Nachbarn. Energieminister Fatih Dönmez twitterte dieser Tage: »Für die Energieunabhängigkeit der Türkei werden unsere Aktivitäten im Mittelmeer und im Schwarzen Meer ununterbrochen fortgesetzt.«
Mit dem Forschungsschiff Barbaros Hayreddin Pasa erkundet die Türkei schon seit längerem unbekümmert die Gewässer östlich von Zypern (als wäre Nord-Zypern ein echter Staat mit eigener Wirtschaftszone). Zudem ist das Bohrschiff Yavuz südwestlich der Insel tätig. Die Oruc Reis dreht nun ihre Runden südlich von Kastellorizo und vermeidet dabei, den Bereich zu berühren, der durch das griechisch-ägyptische Abkommen geschützt ist.
Das türkische Forschungsschiff hatte schon vor drei Wochen auslaufen sollen. Doch das führte nur zu den bekannten diplomatischen Verwicklungen, die in dem von Merkel vermittelten Flottenrückzug der Türken endeten. Die Oruc Reis hatte ihren Standort bei Antalya während der gesamten Zuspitzung nicht verlassen, unter anderem da ein Auslaufen sinnlos gewesen wäre. Denn in einem derart umkämpften Umfeld ist an seismische Erkundungen ohnehin nicht zu denken.
Als Reaktion auf das griechisch-ägyptische Abkommen schickte Erdogan das türkische Erkundungsschiff nun doch noch ins östliche Mittelmeer und damit in Gewässer, auf die Griechenland als ausschließliche Wirtschaftszone Anspruch erhebt. Ankara gab dafür eine Navtex-Meldung heraus, die bis zum 23. August gilt. Die Station Herakleion auf Kreta sendete eine Anti-Navtex für das betroffene Gebiet und stellte klar, dass die türkische Marineaufsicht kein Recht hat, Erkundungen in der griechischen Wirtschaftszone südlich von Kastellorizo zu erlauben.
Türkisches Kratzen am Status quo – wo steht Deutschland?
Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat – im gewohnt provokativen Stil – weitere seismische Erkundungen und Bohrversuche im Gebiet zwischen Kreta und Rhodos angekündigt. Nach der Vermittlung durch Angela Merkel habe man zwar die eigenen Schiffe bewegt, aber das solle niemand als Rückzug verstehen. Nun wolle man seine »Entschlossenheit zeigen«. Und das ist auch schon das Zauberwort: »zeigen«. Denn viel mehr dürfte bei den Manövern nicht herauskommen: ein reines Kratzen am Status quo. Oder droht doch ein ernsthafter Zwischenfall zwischen den Nachbarn, die einander an mehreren Fronten gegenüberstehen und jeweils antagonistische Interessen haben?
Die Flotten der beiden Nachbarstaaten wurden jedenfalls erneut mobilisiert, die Sommerferien für die Seeleute unterbrochen. Diejenigen türkischen Schiffe, die sonst in der Propontis zwischen Mittel- und Schwarzem Meer stationiert sind, werden in der Ägäis erwartet. Die Oruc Reis wird derweil von einer Fregatte und vier Corvetten geschützt. Seismische Untersuchungen kann das Forschungsschiff so allerdings nicht durchführen, wie die griechische Regierung erklärte. Die Maschinengeräusche der Flottenschiffe würden das verhindern. Der griechische Generalstab hat die Losung ausgegeben, dass die Kabel des Forschungsschiffes nicht den griechischen Kontinentalschelf berühren dürfen. Andernfalls werde man es stören oder gar angreifen.
Frankreich will seine Flottenpräsenz im Mittelmeer vorübergehend verstärken, um der Türkei Grenzen aufzuzeigen. Auch Israel bekundete den Griechen durch eine Twitter-Nachricht der Athener Botschaft seine »volle Unterstützung und Solidarität«, was die Hoheitsrechte zur See und die Festlegung seiner Wirtschaftszonen angeht.
Allein die Bundesregierung erwartet, dass Griechenland und die Türkei möglichst bald in einen Dialog eintreten. Die Spannungen im östlichen Mittelmeer beobachte man mit Beunruhigung, so Steffen Seibert in seiner allmittwöchlichen Pressekonferenz. Nur ein direkter Dialog der beiden Konfliktparteien könne Abhilfe schaffen. Griechenland hat eine außerordentliche Sitzung der EU-Außenminister verlangt, die am Freitag stattfinden wird. Neben Merkel sind auch das US-Außenministerium und die NATO an den diplomatischen Gesprächen im Hintergrund beteiligt. Der griechische Außenminister Nikos Dendias führte Gespräche mit seinen Amtskollegen aus Israel und den USA, daneben auch mit Benjamin Netanjahu.
Erdogans Taktiken
Erwartet wird aber auch, dass Erdogan schon sehr bald wieder mit Merkel sprechen wird. Angeblich soll die Kanzlerin eine Konferenz ausrichten, auf der das östliche Mittelmeer und die dort vermuteten Bodenschätze neu aufgeteilt werden sollen. Das, so berichtet die türkische Zeitung Sabah, sei der Wunsch des Ankaraner Despoten. Ende August oder Anfang September wird zudem Emmanuel Macron eine Mittelmeerkonferenz (Med 7) ausrichten. Dem würde Erdogan sicher gern vorgreifen.
Radikale Mitglieder seiner Regierung fragen derweil, warum man überhaupt in den westlichen Hauptstädten nach Lösungen für die eigenen Probleme suche. Man habe doch genügend »muslimische Brüder und Schwestern«, die zwar auch nicht immer auf der richtigen Seite stünden. Doch Europa sehen der stellvertretende Außenminister des Landes als Hort der »Islamophobie« und kaum als Bündnispartner. Ob da nicht doch die Stimme seines Herrn zu vernehmen ist?
Auf hoher See gab es nun bereits einzelne Zusammenstöße. Bei Rhodos kam eine türkische Yacht bis nahe an die Küste heran und lieferte sich schließlich ein gefährliches Rennen mit der griechischen Küstenwache. Die Griechen sahen sich schließlich zum Schießen gezwungen. Türkische Medien sprachen von drei Verletzten. Letztlich konnte das Boot so aber in türkische Gewässer verwiesen werden.
Zu lesen war außerdem von einem Manöver zwischen der griechischen Fregatte Limnos und ihrem türkischen Gegenpart, der neuen Fregatte Kemal Reis, die die Oruc Reis schützen soll. Die Limnos wollte sich der Oruc Reis nähern und wurde dabei von der türkischen Fregatte behindert. Beide Kampfschiffe stießen zusammen. Angeblich wurde die Kemal Reis beschädigt.
Unsicherheit an den Grenzen?
Auch vom Evros berichtete die lokale Website Evros-news am 10. August von verstärkter Bewegung direkt hinter der Grenze. Das hatten Bürger aus der Grenzregion festgestellt und sogleich die Behörden informiert. Aber die wussten schon Bescheid. Der Grenzschutz und die ihn verstärkenden Soldaten wurden in Bereitschaft versetzt. Tausende seien es zwar nicht. Auch war nicht klar, ob es sich um Migranten oder getarnte türkische Soldaten handelte. Doch die allgemeine Unruhe der türkischen Führung lässt die Griechen auch an dieser Front doppelt wachsam sein.
Vor wenigen Tagen hat Peter Tauber, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, auf Nachfrage des Abgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) bestätigt, dass deutsche Seeleute im Rahmen ihres Frontex-Einsatzes am 30. April und am 19. Juni beobachtet hätten, wie Migrantenboote vor den griechischen Inseln wieder in türkische Gewässer gebracht wurden. Das berichtet Panajotis Kouparanis für den griechischen Dienst der Deutschen Welle. Tauber berichtete außerdem, dass die Besatzung des Versorgungsschiffes »Berlin« am 4. Juni 32 Personen aus Seenot gerettet habe. Andrej Hunko schloss, dass die deutsche Marine mit ihrer passiven Haltung an den Pushbacks mitwirkt und dass folglich auch die Bundesregierung hier internationales Recht verletze. Hunko will den Frontex-Einsatz beendet wissen.
Taubers Statement wird als Positionsveränderung der Bundesregierung angesehen, die es bisher vermieden hatte, Griechenland für seine Grenzpolitik zu kritisieren. Soll so etwa zusätzlicher Druck im Erdgas-Streit aufgebaut werden, so dass die griechische Seite schließlich zu Zugeständnissen gezwungen werden kann? Premier Kyriakos Mitsotakis scheint solchem Druck, wenn er ausgeübt werden sollte, jedenfalls nicht nachzugeben: »Wir haben keine Angst vor dem Dialog, nicht einmal vor dem schwierigsten, weil wir an die Rechtmäßigkeit unserer Positionen glauben.« Doch in einem Klima der Provokationen, Erpressungsversuche und Spannungen könne es keinen Dialog geben.