Die deutsche Politik wollte lange Zeit einfach nicht auf die Einwände aus dem europäischen Ausland hören. Nun ist das angeblich anders. Diese Meinung äußerte jüngst Bundeskanzler Karl Nehammer. Das war beim Wien-Besuch seines griechischen Amtskollegen Kyriakos Mitsotakis. Beide Regierungschefs eint die Zugehörigkeit zum Mitte-rechts-Club EVP, daneben mehr oder weniger kritische Ideen zur Migrationsdebatte. Dass das Migrationsthema für die EU ein großes Thema und eine ebensolche Herausforderung sei, wollte Nancy Faeser ihrem Amtskollegen Gerhard Karner lange nicht glauben. Kanzler Nehammer freute sich daher über die neuen Grenzkontrollen, in denen er einen deutschen Sinneswandel zu erkennen glaubte.
Sein Gast sah das etwas anders und kritisierte die Kontrollen ebenso wie andere Elemente der deutschen Migrationspolitik. Egal ob das nun ein Good-cop-bad-cop-Spiel der beiden war. Dem Griechen ging es sicher – legitimerweise – auch um eigene Anliegen dabei, etwa um die Vermeidung eines „Rückstaus“ von Migranten in seinem Land, die tatsächlich nach Deutschland wollen.
Denn über Griechenland gelangen noch immer täglich Migranten nach Deutschland. Angeblich kommen laufend Syrer, Afghanen, Iraker und andere auf dem Stuttgarter Flughafen an. Ihrem Schutzgesuch verschließt sich hier niemand – trotz der neuen Rhetorik der Regierung. Von der Bundespolizei bekommen sie umgehend eine Fahrkarte zur Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe. Das berichtet die Stuttgarter Zeitung. Ob es sich um Migranten mit griechischem Schutzstatus handelt (die dort ein Asylverfahren durchlaufen haben) oder nicht, bleibt unklar. Die Bundespolizei hat sich auch knapp drei Wochen nach Eingang einer Anfrage der Zeitung noch nicht geäußert, was sie eigentlich müsste. Angeblicher Grund: knappe Zeitressourcen. Eigentlicher Grund: Maulkorb von Faeser.
Vielleicht sind es also auch Dublin-Fälle, die Faeser eigentlich in Ankerzentren sperren will. Aber genau weiß man das nicht. Und auch dann würden sie ja nicht so leicht rücküberstellt, weil deutsche Verwaltungsgerichte das in Bezug auf Griechenland verboten haben. Es ist eine Frage von Wochen, bis der gesamte Faeser-Dublin-Schwindel auffliegt. Und so ist es beinahe gleichgültig, welche Fälle genau hier nun wieder nach Deutschland strömen. Man nimmt sie eben auf, obwohl man durch die gebuchten Flugtickets genau wissen könnte, wer da kommt.
Eine großzügige Sozialpolitik – so elastisch wie anziehend
Und nun bleibt noch die Frage, wer eigentlich verantwortlich für die Migranten ist, die über Griechenland nach Deutschland strömen. Mitsotakis hat eine klare Antwort in einem Radio-Interview gegeben, das er auch auf der offiziellen Seite als griechischer Premierminister teilte. Mitsotakis stellt an einer Stelle fest, das Migrationsthema gehöre heute nicht mehr zu den wichtigsten Problemen der griechischen Bürger. Warum? „Weil wir es gelöst haben.“ Dabei sind nicht alle Griechen mit dieser „Lösung“ vollauf zufrieden. Die große Unordnung auf den Inseln der östlichen Ägäis ist sicher vorbei, insofern auch der Protest dagegen (man denke an das Lager Moria auf Lesbos). Aber daneben grummelt es weiter über die fortlaufenden illegalen Einreisen und das vielerorts sichtbare Schlepperwesen. Aber feste Parteibindungen spielen eine große Rolle im Land und verhindern oft eine „Protestwahl“ gegen die Zumutungen der Regierung, etwa gegen neue Aufnahmezentren, die überall im Land aus dem Boden sprießen.
In jedem Fall beschäftigt das Thema weiterhin und immer mehr das übrige Europa, worauf auch der Interviewer drängend hinweist. Eine „Welle der extremen Rechten“ habe Europa überschwemmt. Mitsotakis erklärt dazu: Das Thema beschäftige Europa und vor allem Deutschland. Denn Deutschland hatte „eine außerordentlich geduldige und, ich würde sagen, großzügige Sozialpolitik gegenüber den Migranten, die nun starke gesellschaftliche Reaktionen hervorruft“. Für diese Reaktion hat der Grieche anscheinend durchaus Verständnis.
„Elastisch und anziehend“, so nennt auch das griechische Nachrichtenportal Liberal die deutsche Migrationspolitik über Jahre – ähnlich einem Gummiband, das immer wieder zurückschnappt, manchmal ins Gesicht des spielenden Kindes. Die Elastizität des deutschen Ansatzes kann man gerade auch in den Urteilen deutscher Gerichte erkennen, die bei grausamen Taten ausländischer Täter, namentlich von Asylmigranten, gerne beide Augen zudrücken und die Schizophrenie auch dann gelten lassen, wenn sie nur als gelegentlicher „Schub“ auftritt.
Mitsotakis fordert mehr Geld für Grenzschutz
Mit den neuen Grenzbeschlüssen erfüllt die Ampel nicht die Wünsche aller Nachbarn. In europäischen Hauptstädten ist von einer unbilligen Aufhebung, vielleicht gar dauerhaften Abschaffung des Schengener Grenzkodexes die Rede. Und der griechische Premier findet, das sei „nichts, das leicht toleriert werden kann“. Die „Antwort“ könne nicht in der Abschaffung von Schengen bestehen und nicht darin, dass „wir den Ball im Grunde den Ländern an den Außengrenzen zuwerfen“.
Das will Mitsotakis nicht akzeptieren. Ganz dringend sieht er das Problem für Griechenland aber nicht. Vermutlich weiß der Premier, dass es mit den deutschen „Kontrollen“ längst nicht so weit her ist, wie viele im Ausland zu denken scheinen. Selbst Dublin-Rückkehrer in andere EU-Länder werden wohl die absolute Ausnahme bleiben, auch wenn es irgendwann Dublin-Zentren an den Grenzen geben wird.
Mitsotakis’ aus seiner Sicht durchaus logischer Schluss: Griechenland brauche mehr EU-Gelder, um die Außengrenzen noch besser zu bewachen. Daneben wies Mitsotakis auch die Kritik an der griechischen Küstenwache zurück, die tausende Menschenleben gerettet habe, zu deren Aufgaben aber auch die „aktive Abwendung“ illegaler Einreisen gehöre. „Wenn jemand von der Türkei aus aufbricht, muss er sicher in die Türkei zurückkehren. Die Küstenwache ist kein Empfangsdienst für illegale Migranten.“ Übrigens soll die Türkei inzwischen verstanden haben, dass die „Instrumentalisierung“ der Migration kein möglicher Weg sei. Angeblich ist die Zusammenarbeit mit Griechenland nun „zufriedenstellend“.
In New York haben Mitsotakis und Erdogan in diesen Tagen eine „Intensivierung“ der Zusammenarbeit besprochen: Man will gegen die Schleppernetze vorgehen, wohl vor allem gegen die neu etablierten rund um Rhodos und die umliegenden Inseln. Zudem sollen die Außenminister das nächste Treffen des „Höchsten Kooperationsrates“ der beiden Regierungen vorbereiten, das für Januar geplant ist. Das alles zeugt von einer sehr pragmatischen Sichtweise, die sicher auch auf die wirtschaftlichen Aussichten der Zusammenarbeit schauen.
Deutschland bleibt der Magnet, der alles anzieht
Mitsotakis fordert im Grunde etwas sehr Einfaches von Deutschland: Stellt den Magneten ab, der die Migranten – auch über Griechenland – nach Deutschland streben lässt. Es geht um das großzügige deutsche Sozialsystem, das sogar Asylbewerber, wenn sich ihr Verfahren lang genug hinzieht oder sie nach ihrer Ablehnung lange genug in Deutschland bleiben, mit deutschen Leistungsempfängern gleichstellt. Bürgergeld für ausreisepflichtige Migranten – das gibt es wohl nur in einem EU-Land, egal ob nach 18 Monaten Aufenthalt oder nach 36 Monaten.
Dagegen werden die Regeln in anderen Ländern weiter verschärft: In den Niederlanden zieht sich der Staat ab nächstem Jahr vollkommen aus der Finanzierung von Kost und Logis für abgelehnte Asylbewerber zurück. Es wird wohl nicht lange dauern, und die bisher noch engagierten Städte werden diesem Beispiel folgen. In Dänemark gibt es schon länger bewusst karge und abgelegene Unterkünfte für ausreisepflichtige Migranten.
Auch das kleine Zypern hat gegen die „Flut“ mobilgemacht, die dem Inselland buchstäblich die Syrer, aber auch Afrikaner von südlich der Sahara in großer Zahl zuführt. Auch dort hat man die Leistungen nach einer Ablehnung gestrichen, zahlt allerdings eine (sicher geringe) Rückkehrprämie. Außerdem macht Zypern laut FAZ in Herkunftsländern wie Nigeria, Kamerun oder dem Kongo (DRK) Werbung gegen die Einreisen zu machen. Deutschland bleibt aber der Magnet, der vieles, wenn nicht alles von dieser Migration anzieht. Nach den Schau-Maßnahmen an der Grenze sollte die Regierung daher an eine wirkliche Reform der gesetzlichen Grundlagen von Asyl und Migration gehen.