Über die erste Dimension des Falles Strache ist alles gesagt: Der FPÖ-Chef und Vize-Kanzler Österreichs hat sich mit seinem Auftreten bei der Video-Falle völlig diskreditiert. So viel wurde darüber geschrieben und so breit wird sein Verhalten verurteilt, dass darauf verzichtet sei, das alles hier zum x-ten Mal aufzuzählen. Es ist alles leicht zu finden.
Umso erstaunlicher ist, dass die zweite Dimension des Falles fast untergeht: Einem Politiker eine Falle zu stellen und ihn dabei mit der Kamera aufzunehmen und das Ergebnis später zu nutzen, um ihn zu diskreditieren – das ist eine Methode, die zumindest ich bisher vor allem aus Russland kannte, vom KGB-Nachfolger FSB. Der greift bevorzugt Oppositionelle mit solchen Diffamierungs-Tricks an – die überwiegend auch als „Faschisten“, also übersetzt: als „rechts“ oder „Nazis“ verleumdet werden. Stichwort: „Aktive Maßnahmen“.
Bürgerrechtler in Russland klagen seit langem, dass solche Methoden aus der Giftkiste des KGB allgegenwärtig seien; sie sprechen gar davon, dass Geheimdienst-Spezialaktionen die Politik ersetzt hätten in Putins Russland.
Ich persönlich fand diese Methoden immer sehr abstoßend. Auch wenn manche, gegen die sie sich richteten, wie der Kremlkritiker Udalzow, alles andere als Musterdemokraten und Sympathieträger sind. Viele, viele Jahren erklärte ich meinen russischen Bekannten und Freunden, dass solche Methoden bei uns in Mitteleuropa nicht vorstellbar seien.
Umso bitterer stieß mir jetzt der Fall Strache auf. Und auch seine Behandlung in den Medien. Ausgerechnet eine gute Woche vor der EU-Wahl.
Die Causa trägt eine Handschrift, die erschreckend der ähnelt, die die meisten Demokraten in Russland mit gutem Grund verurteilen.
Vermutlich werden sich viele darauf berufen, es treffe den Richtigen (was die Frage aufwirft – wer ist hier der Richter?). Und der Zweck heilige die Mittel.
Aber tut er das? Heute Strache, wer morgen? Was, wenn die FPÖ die gleichen Methoden gegen ihre Gegner anwendet?
Was, wenn plötzlich ein Video über Gerhard Schröder auftauchen würde und seine Verhandlungen mit den Kreml-Apparatschiks in Sachen Gazprom?
Sieben Jahre nach meiner Rückkehr aus Moskau nach Berlin muss ich zu meinem eigenen Entsetzen gestehen: Ich kann mir einige Politiker vorstellen, bei denen ich im Falle einer Video-Falle wie bei Strache nicht die Hand ins Feuer legen würde. Über die Parteigrenzen hinweg.
Ich hoffe, ich irre mich da.
Aber ich bin felsenfest überzeugt: Sehr, sehr viele Gespräche von Politikern wären, sollten sie an die Öffentlichkeit kommen und entsprechend zugespitzt geschnitten werden, geeignet, ihren Ruf massiv zu beschädigen.
Straches politische Gegner können sich heute die Hände reiben. Sie haben ihr Ziel erreicht. Ich persönlich weine Strache keine Träne nach – abseits der moralischen Dimension hat er sich schon durch die Dummheit, in so eine Falle zu tappen, für sein Amt disqualifiziert.
Alles spricht dafür, dass es keinen Falschen getroffen hat. Aber darum geht es nicht. Wer etwas nach vorne denkt, den müssen die Methoden noch mehr erschrecken als die persönlichen Abgründe, die sich da bei den Hauptakteuren auftun.
Der Dammbruch, den der Fall Strache bedeutet, macht mir Angst.
Medien müssen größte Distanz zu Aktionen wahren, die so wirken, als stammten sie aus der Giftkiste der Geheimdienste.
Auch Politiker haben ein Recht auf Intimsphäre, und die Methode, aktive Fallen zu stellen, ist auch in der Justiz höchst umstritten. Wo verläuft die Grenze des Erlaubten?
Der Primat der Politik muss unter allen Umständen gelten, und darf nicht durch ein Primat von höchst fragwürdigen Methoden ersetzt werden, die dem Missbrauch Tür und Tor öffnen.
Das lehrt uns die Geschichte.
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