Die Presse kennt derzeit zwei Javier Mileis. Der eine Milei ist der, den die Quantitätspresse durchs Dorf jagt. Deutsche Medien ergötzen sich an der Story über Drogenvorwürfe. Der spanische Verkehrsminister Oscar Puente hatte Milei beim argentinischen Präsidentschaftswahlkampf im Fernsehen gesehen und gesagt: „Ich weiß nicht, ob es vor oder nach der Einnahme (…) von Substanzen war.“ Puente gehört wie Ministerpräsident Pablo Sánchez der sozialistischen Partei an.
Darauf setzte es eine trumpesque Reaktion. Milei warf dem Regierungschef vor, er würde „mit seiner sozialistischen Politik, die nichts als Armut und Tod bringt, der Mittelschicht“ schaden und gefährde die nationale Einheit des Landes mit seiner Nachsicht gegenüber Separatisten. Tatsächlich gab es letzte Woche Spekulationen darüber, ob Sánchez wegen der Korruptionsvorwürfe gegen seine Ehefrau zurücktreten könnte. Auch darauf nahm Milei Bezug: Der spanische Ministerpräsident hätte gerade „wichtigere Probleme“.
Die Karacho-Salven des argentinischen Präsidenten sollen offenbar verdecken, was derzeit wirklich in Argentinien geschieht. Ähnlich, wie aus Buenos Aires fast immerzu von den Protesten und Kürzungen berichtet wird, aber kaum von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, dem ein direkter Gang in die Hölle prophezeit worden war, kaum, dass der „verrückte“ (loco) Milei seine libertäre Politik umsetze. Selbst Redakteure leiden darunter, Bilder von Milei bei Fotodiensten aufzutreiben, weil beim Suchwort automatisch Protestbilder und Unruhen auftauchen, und man mit Mühe ein Portrait des Kettensägen-Mannes finden muss.
Zwar ist das seit Jahrzehnten gebeutelte Land noch lange nicht aus der Krise. Doch die monatliche Inflation ging zuletzt auf 11 Prozent zurück – beim Amtsantritt Mileis lag sie bei über 25 Prozent. Argentinien hat zum ersten Mal seit 12 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt.
Auch die Unkenrufe, der Präsident müsste gegen das Parlament regieren und könne seine utopischen Ideen kaum umsetzen, sind verstummt. Mit dem Motto „afuera!“ hatte Milei die Abschaffung zahlreicher Bundesministerien angekündigt – und geliefert. Das „Omnibusgesetz“, das noch im Februar gescheitert war, ist am 30. April verabschiedet worden. Nach über 20 Stunden Parlamentsdebatte stimmten 142 Abgeordnete dafür, 106 dagegen – bei 5 Enthaltungen.
Dieses Gesetz ist für den argentinischen Präsidenten eine Art Blankoschein, um seine radikale Politik durchzusetzen. Der Präsident darf in Institutionen eingreifen und sie abschaffen. Das Streikrecht wird eingeschränkt. Er kann die Privatisierung staatlicher Unternehmen veranlassen. Die Probezeit für Angestellte wird verlängert, Kündigungen erleichtert.
Um eine Mehrheit im Parlament zu finden, klammerte Milei einige fiskalische Reformen aus, die zu Unmut bei einigen Abgeordneten geführt hatten. Als das Paket im Februar zum ersten Mal beschlossen werden sollte, waren nur 6 der 644 Artikel besprochen worden. Am vergangenen Dienstag standen nur noch 269 Artikel zur Abstimmung.
Das heißt: Milei kann in vielen Schlüsselbereichen, in denen er Verbesserungen versprochen hatte, Maßnahmen per Dekret durchsetzen. Mit Blick auf das seit Jahren sklerosierte Spanien mit seinen unüberwindbaren Gräben und Bürgerkriegsromantik wäre es wünschenswert, wenn Milei dem spanischen Regierungschef nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten Paroli bietet. Die Weichen dafür sind jetzt gestellt.