Allmählich muss man auch hier von einer demographischen Waffe ausgehen, und die könnte durchaus bewusst eingesetzt werden. „Immer mehr Türken zieht es nach Deutschland“, heißt es bei der Nachrichtenagentur dts, einem Bericht der Welt am Sonntag folgend, der sich wiederum auf Nachrichten aus „Kreisen“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stützt.
Im Oktober bilden türkische Staatsbürger demnach erstmals die größte Asylbewerbergruppe und lösten damit die Syrer ab, die seit dem Jahr 2014 stets den ersten Platz einnahmen. Im Oktober gab es nun über 9.000 Asylanträge von türkischen Staatsbürgern. Im laufenden Jahr summieren sich die türkischen Schutzanträge bereits auf über 40.000. Das entspricht einem Anstieg um rund 200 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die geringe Anerkennungschance von 15 Prozent kann den Zuwanderern dabei kaum etwas anhaben. Gemäß Berichten wird in die Türkei praktisch nicht abgeschoben. Und man fragt sich: Warum eigentlich nicht? Wird auch das Urlaubsland Türkei von feuerspeienden Drachen und anderen Ungeheuern heimgesucht?
Deutsche Landesbeamte schätzen die neue Zuwanderung aus der Türkei anders ein. Es kämen häufig ganze Familien, die entweder mit dem neuen Sieg der Erdogan-AKP unzufrieden sind oder vor der türkischen Wirtschaftskrise nach Deutschland fliehen. Wie verträgt sich das eigentlich mit Zuwächsen von 162 Prozent innerhalb eines Jahres an den türkischen Börsen? Die Antwort: gar nicht oder auch ganz gut. Die auswandernden Türken werden wohl selten an der Börse investiert sein, obwohl sie es sein könnten, wenn sie zum städtischen Anti-Erdogan-Milieu gehören. Aber das tun sie vielleicht nicht.
Untätige Fachkenner in interministeriellen „Migrationslagen“
Nun sollen bereits 60.000 Türken (nennen wir sie provisorisch so, auch wenn Kurden, Zaza und andere darunter sein mögen) nach Serbien geflogen sein. Das wissen die Teilnehmer einer internen Migrationslagebesprechung, die regelmäßig zwischen verschiedenen Bundesministerien stattfindet. Die Einreise nach Serbien ist für türkische Staatsbürger visafrei möglich. Da möchte man fast nach dem österreichischen Bundeskanzler Nehammer rufen, der Serbien zuletzt die visa-freie Einreise von Indern und Marokkanern ausredete. Hätte er nicht auch gleich an die Türken denken können, 340 Jahre nach der Schlacht am Kahlenberg? Aber vielleicht könnte man auch diesen internen „Lagebesprechern“ unserer Bundesregierung einmal eine dahingehenden Initiative zumuten.
Es gibt noch ein anderes Jubiläum dieses Jahr. Nicht nur die Türkenschlacht vor Wien, die dank einer Truppe polnischer Husaren gewonnen wurde, liegt eine runde Zahl von Jahren zurück. Daneben wurde die „moderne“ Türkei vor genau 100 Jahren gegründet. Das hybride säkular-republikanisch-nationalistische Erbe Mustafa Kemals („Atatürk“) schlägt der Präsident und Muslimbruder Recep Tayyip Erdogan allerdings zunehmend aus. Das zeigt sich auch und besonders in der aktuellen Krise um den Terror-Angriff der Hamas auf Israel.
Erdogan hat seit Tagen klar gemacht, auf welcher Seite er steht: Es ist die Seite der brutalen Terroristen aus dem Gazastreifen, die keineswegs arme „Opfer“ einer Siedlungs- oder Besatzungspolitik sind, sondern Handelnde in einem totalen Krieg gegen die Juden der Region, einem Krieg, der auf die Räumung des heutigen Israels abzielt, nicht auf einen Kompromiss mit den dort lebenden Juden.
Heute Großkundgebung für die Hamas in Istanbul
Für Erdogan ist die Hamas „keine Terrororganisation“, vielmehr „eine Befreiungs- und Mudschaheddin-Gruppe“, wobei das letztgenannte Wort Kämpfer für die Sache des Islam meint. So kämpfen sie aus Erdogans Sicht „für den Schutz ihres Landes und ihrer Bürger“. Sein Chef-Imam Ali Erbaş sekundierte dem Staatspräsidenten und warnte alle „Mörder und Invasoren“ mit seinen Worten: Wie alle Unterdrücker würden sie vernichtet und zur Rechenschaft gezogen werden. Palästina aber werde befreit werden, und nun komme es darauf an, wer wo stehe bei der angehenden „Prüfung von Glaube, Gewissen, Moral und Recht“. Derzeit finde ein „Genozid“ in Palästina statt, wer hier still bleibe, dessen Aufrichtigkeit werde unter den Trümmern mitbegraben.
Und auch in Deutschland gelangen die Botschaften Erdogans durch den Staatssender TRT Deutsch an das hier lebende türkische Publikum. Kaum verwunderlich handelt es sich um einen AKP-Propagandakanal. Und so ist es auch kein Wunder, dass auch die Berliner Zeitung keine Türken in der Bundeshauptstadt findet, die Israel unterstützen.
In Istanbul hat Erdogan derweil eine Großkundgebung geplant. Für diesen Sonnabend erwartet man über eine Millionen Zuhörer. Auch der Hamas-Anführer Ismail Haniyya, der für gewöhnlich in Katar lebt, könnte daran teilnehmen, vielleicht sogar eine Rede halten, wie Beobachter vermuten. Tatsächlich haben auch die türkischen Behörden bestätigt, dass Haniyya nach den Geschehnissen des 7. Oktobers keineswegs aus der Türkei ausgewiesen worden sei. Die Türkei gilt allgemein als sicherer Hafen für die Funktionäre der Hamas, wie auch der Merkur bemerkt.
Geladen sind zu dem Großereignis um 15 Uhr auf jeden Fall: der saudi-arabische Thronfolger Mohammed bin Salman, der ägyptische Präsident Abdel Fatah El-Sisi, der jordanische König Abdullah II. und der Präsident der Autonomiebehörde in Ramallah, Mahmud Abbas.