Tichys Einblick
Lulas Treffen mit Scholz

Schwaches Europa: Scheitert das Mercosur-Abkommen?

Das Mercosur-Abkommen kann nur gerettet werden, indem die nötigen Kompromisse und Kompensationen von Deutschland finanziert werden. Doch nach Lulas Auftreten in Berlin dürfte eines klar sein: Erfolgreich lässt sich dieses Abkommen nur aus einer Position der Stärke heraus verhandeln, doch dafür fehlen momentan die Voraussetzungen.

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundeskanzleramt, Berlin, 04.12.2023

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Waterloo liegt in Belgien, Brüssel auch. Der Stand der Verhandlungen zum Mercosur-Abkommen wird zu Brüssels Waterloo und zu Deutschlands Jena und Auerstädt. Ursula von der Leyen und EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis waren gedanklich schon auf dem Weg zum Flughafen, um in Rio de Janeiro dabei zu sein, wenn endlich der Abschluss des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten gefeiert werden kann, als die Sause kurzfristig abgesagt werden musste. Dabei hatte man fast zwanzig Jahre lang verhandelt, bis man endlich im Jahr 2019 das Abkommen abschließen konnte, das dann doch nicht in Kraft trat – und bis heute seiner Ratifizierung harrt.

Mercosur leitet sich von der spanischen Bezeichnung Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens) her und ist der Name der Wirtschaftsgemeinschaft südamerikanischer Staaten, der als Vollmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sowie als assoziierte Mitglieder ohne Stimmrecht Bolivien, Chile, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru und Suriname angehören. Venezuelas Mitgliedschaft ist momentan suspendiert. Im Grunde geht es den Mercosur-Staaten darum, in Südamerika einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, der über einheitliche Rechtsvorschriften verfügt und den freien Austausch von Dienstleistungen, Kapital, Waren aller Art und für Arbeitnehmer den freien Zutritt zu den Arbeitsmärkten der Länder ermöglicht.

Die Mitgliedsstaaten des Mercosur erwirtschaften 67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Südamerikas und besitzen einen Bevölkerungsanteil von 62 Prozent der Bewohner des Kontinents. Käme das Abkommen zwischen den Mercosur-Staaten und der Europäischen Union zustande, entstünde mit 780 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt.

Der Grund für die verschobene Ratifizierung besteht darin, dass die EU nach Abschluss der Verhandlungen bestimmte Regelungen besonders im Bereich Umwelt und Klima nachverhandeln wollte. Konkret ging es um den Schutz des Regenwaldes vor Abholzung, aber auch um die europäische Landwirtschaft, die vor unfairer Konkurrenz bewahrt werden sollte, die aufgrund unterschiedlicher Normen beispielsweise beim Tierschutz entstehen würde. Europäische Normen im Bereich der Massentierhaltung, des Pflanzenschutzes, aber auch bezüglich des Einsatzes von Dünger und Unkrautvertilgungsmitteln hindern europäische Landwirte daran, so billig produzieren zu können wie die südamerikanische Konkurrenz.

Den Wunsch der EU nach einem Zusatzprotokoll hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bereits im August bei einem Treffen in Belém mit den Worten zurückgewiesen: „Wir können keinen grünen Neokolonialismus akzeptieren, der unter dem Deckmantel des Umweltschutzes Handelshemmnisse und diskriminierende Maßnahmen einführt und unsere nationalen Regelwerke und Politiken außer Acht lässt.“ Doch inzwischen sollen die Gespräche auf der Arbeitsebene soweit vorangekommen sein, sodass am 7. Dezember endlich in Rio de Janeiro der Pakt zum Leben erweckt werden könnte.

Doch nun bleiben von der Leyen und Dombrovskis zu Hause, der Pakt liegt wieder auf Eis. Als offizieller Grund dafür, dass die Mercosur-Staaten die Gespräche stoppen, wird die Tatsache angegeben, dass der scheidende Präsident Argentiniens Alberto Fernández sich weigert, in seinen letzten Amtstagen ein Abkommen zu beschließen, das eigentlich Sache seines Nachfolgers sei. Am 10. Dezember übernimmt Javier Milei die Amtsgeschäfte. Aber auch Frankreich hat sich gegen das Abkommen ausgesprochen, ebenso Irland, weil aus ihrer Sicht, die europäische Landwirtschaft ungeschützt einer Konkurrenz ausgeliefert wird, die wesentlich billiger produzieren kann.

Ein wenig hatte man in Brüssel gehofft, dass es dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz gelingen möge, die Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, wenn Lula am 4. Dezember in Berlin zum Staatsbesuch empfangen würde. Doch was gelingt diesem Bundeskanzler schon, außer im stillen Wettbewerb mit seinen Ministern deutsche Millionen und Milliarden, die den Bürgern durch zu hohe indirekte und direkte Steuern, durch zu hohe Sozialausgaben und über horrende Energiekosten abgepresst werden, im Ausland zu verteilen. Man gewinnt inzwischen den Eindruck, dass deutsche Politiker im Ausland nur noch angehört werden, wenn sie einen hohen Betrag deutscher Steuergelder mitführen, dann lässt man sie halt reden.

Dass Scholz den sagenhaften „Erfolg“ in Dubai erringen konnte, den Klimaklub zu gründen, hat sicher nichts damit zu tun, dass seine Transferministerin Svenja Schulze zuvor in Dubai trotz Haushaltssperre 100.000.000 – in Worten. einhundert Millionen – Dollar in den „Loss and Damage Fund“, den sogenannten Klimafolgenfonds eingezahlt hat. Zuvor hatte sie Anfang November die Hilfe für die UNRWA, dem „Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge“, das der Hamas nahesteht, um 20 Millionen Euro erhöht, für Jordanien hatte Schulze 41 Millionen Euro übrig nebst einem Darlehen von 125 Millionen, wobei das Wort Darlehen einen Euphemismus darstellen dürfte.

Übrigens hatte Lula im August die Forderungen der EU bezüglich des Klima- und Umweltschutzes flink in eine Retourkutsche verwandelt, als er damals verlangte: „Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verfügen über mehr als 75 Prozent des Reichtums und emittieren fast die Hälfte des gesamten Kohlenstoffs, der in die Atmosphäre gelangt. Die Umwelt- und Ökosystemleistungen, die die Tropenwälder für die Welt erbringen, müssen fair und gerecht entlohnt werden.“ Lulas Argumentation lautet, dass der Amazonas-Regenwald als CO2-Speicher wichtig im Kampf gegen den Klimawandel sei.

Wenn also die Länder, auf deren Territorien sich der Regenwald erstreckt, auf die Abholzung der Wälder verzichten, dann stünden ihnen Ausgleichszahlungen zu. Damals rechnete Lula noch mit 100 Milliarden Dollar, die die Industrieländer jährlich für die Entwicklungsländer bereitstellen sollten. Nun befindet Lula: „Diese Zusage wurde nie umgesetzt. Und mittlerweile entspricht sie schon nicht mehr dem aktuellen Bedarf.“ Heißt im Klartext: Lula möchte ab 2030 von den Industrienationen jährlich 200 Milliarden Dollar für die Länder, auf deren Territorium sich Regenwälder befinden.

Man kann sich vorstellen, zu welchen Ergebnissen die Verhandlungen auf „technischer Ebene“ über das Zusatzprotokoll der EU geführt haben. Obwohl Lula sich kaum von seinem Vorgänger unterscheidet, wurden dem Sozialisten Lula seitens der deutschen Regierung 20 Millionen Euro überwiesen, zuzüglich 520.000 Euro für die Fortsetzung der technischen Zusammenarbeit, dafür, dass der Regenwald weiter abgeholzt wird und Lula das höchst umstrittene Projekt zur Förderung von Erdöl im Mündungsdelta des Amazonas vorantreibt. Brasilien bemüht sich derzeit um Aufnahme in die Opec+. Das Argument hierfür dürfte er Christian Lindner abgeschaut haben, denn Brasilien will nur Mitglied der Opec werden, um die Fördermengen zu reduzieren, und um zu reduzieren, will Brasilien im Amazonas-Delta Erdöl fördern – sehr schlüssig das Ganze. 35 Millionen Euro sollen es von deutscher Seite übrigens insgesamt werden – zunächst.

Gegenüber China, das übrigens den höchsten CO2-Ausstoß in der Welt verursacht, nämlich mit einem Anteil von 30,9 Prozent, im Vergleich dazu Deutschland mit 1,82 Prozent der Emissionen von CO2, erhebt Lula keine Forderungen, aber China ist ja auch ein Entwicklungsland und Lula ein Sozialist, ein Sozialist wie Olaf Scholz. Deshalb hoffte auch die EU-Kommission, hofften von der Leyen und Dombrovskis, dass Olaf Scholz mit Lula einen Weg für das Abkommen finden könnte.

Seinen Aufenthalt in Berlin nutzte Lula aber vor allem dazu, über seine Sicht der Welt zu schwadronieren. Seitdem der Palästinenser-Präsident Abbas der Welt demonstriert hat, wie man die Pressekonferenzen mit dem deutschen Bundeskanzler für Propaganda, auch für antisemitische nutzen kann, dürfte das auch Lula inspiriert haben, auf diesem Podium der Welt nahezubringen, wie der Sozialist Lula die Welt sieht. Und er sieht sie so, dass die Ukraine und Russland die gleiche Schuld am Krieg tragen, und die Hamas und Israel Frieden schließen müssen. Vor allem aber sieht er den Westen als schwach, und Deutschland als sehr schwach an. Deshalb ist sein Deutschland-Besuch ein nettes Zugeständnis, wichtig sind für ihn die Verhandlungen mit China. China ist Lulas wirklicher Partner, nicht Deutschland. Aus Deutschland holt man nur Geld, stupid german money, wie es sich inzwischen in der ganzen Welt herumgesprochen hat. Stark ist die Regierung nur gegen die eigene Bevölkerung.

Im Grunde ist das Mercosur-Abkommen tot. Es kann nur gerettet werden, indem die nötigen Kompromisse und Kompensationen von Deutschland finanziert werden. Doch nach Lulas Auftreten in Berlin dürfte eines klar sein: Erfolgreich lässt sich dieses Abkommen nur aus einer Position der Stärke heraus verhandeln, nicht aus einer Position der Schwäche. Doch dazu fehlen momentan alle Voraussetzungen.


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