Am Donnerstag wurde bereits bekannt, dass Andrij Melnyk neuer Botschafter der Ukraine in Brasilien wird – laut Zitat von Präsident Selenskyj müsse Kiew die „Beziehungen zu Brasilien und Präsident Lula da Silva dringend verbessern“. Das sieht nach Dritte-Welt-Politik aus, ist es aber nicht. Über den Weg USA – Ukraine – Brasilien kann man die ganz großen Hebel Richtung China und Russland umlegen. Ein weltpolitischer Schachzug zur richtigen Zeit, bei dem tatsächlich Profis in Kiew am Werk sind, die zudem offenbar gute Berater haben. Andererseits kann sich die ums physische und politische Überleben kämpfende Ukraine auch nichts anderes als exzellente diplomatische Schachzüge leisten. Dies alles erscheint jedenfalls wie das exakte Gegenteil von Zufall.
Ein Sonderberater für internationale Angelegenheiten des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva traf am Mittwoch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammen, nachdem Präsident Lula mit seinen Äußerungen Kiew, die USA und Europa auf den Plan gerufen hatte.
Nach Gesprächen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte hat der brasilianische Präsident erneut seine Bereitschaft bekundet, bei den Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland als Vermittler aufzutreten, berichten gleichlautend ukrainische und brasilianische Nachrichtenportale. „Ich habe dem Premierminister gesagt, dass Brasilien sehr große Anstrengungen unternimmt, um eine Gruppe von Ländern zu bilden und zu versuchen, Frieden zu schaffen. Ich denke, es ist Zeit für Diplomatie und nicht für einen Krieg. Brasilien hat die territoriale Besetzung der Ukraine verurteilt, aber die Fortsetzung des Krieges wird nur zum Tod führen, und wir müssen jemanden finden, der bereit ist, den Frieden zu suchen“, sagte Lula, der auch darauf hinwies, dass dies das Hauptthema bei multilateralen Treffen wie G7 und G20 sein werde.
In diesem Zusammenhang wird sowohl klar, was die globalen Ambitionen Lulas sind, als auch, wer im Auftrag des Westens federführend in diesem Ukraine-Brasilien-Projekt agiert. Schließlich sind die Niederländer einerseits Kontinentaleuropäer, was im Hinblick auf die Ukraine wichtig erscheint, andererseits stehen sie weltpolitisch der englischsprachigen „Koalition der Willigen“ am nächsten.
Der niederländische Staatschef verteidigt einen Frieden „ohne Zugeständnisse“; Lula spricht von einem „Mittelweg“ laut einem Bericht der brasilianischen Nachrichtenseite metropóles.
Der Berater Lulas, Celso Amorim, ein ehemaliger Außenminister, sagte der brasilianischen Zeitung O Globo nach Gesprächen in dieser Woche, Selenskyj habe verstanden, dass Präsident Lula da Silva sich für den Frieden einsetze.
Die Zeitung Folha de Sao Paulo zitierte Amorim mit den Worten, sein Dialog mit ukrainischen Beamten sei positiv und vertrauensbildend gewesen und habe dazu beigetragen, Brasiliens Friedensziele zu erläutern.
Lula rief zu einem Waffenstillstand auf und schlug einen Club von Nationen vor, dem auch Brasilien angehören sollte, um den Frieden zu vermitteln. Gleichzeitig hat er sich geweigert, der Ukraine Waffen zu liefern, hat Kommentare abgegeben, in denen er der Ukraine eine gewisse Schuld an der russischen Invasion zuschrieb und sagte, die USA und Europa würden die Kämpfe anheizen. Seine Äußerungen wurden von allen Parteien kritisiert und warfen Fragen nach der Unparteilichkeit Brasiliens bei eventuellen Friedensgesprächen auf.
Letzten Monat reiste Amorim diskret nach Moskau und traf sich mit Präsident Wladimir Putin. Später empfing Lula Putins Außenminister Sergej Lawrow in der Hauptstadt Brasilia, der sich bei Brasilien für sein „ausgezeichnetes Verständnis für die Entstehung dieser Situation“ bedankte.
Im Anschluss an das Treffen kritisierte seitens der US-Regierung der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby, die brasilianische Vorgehensweise in diesem Krieg und die Tatsache, dass Brasilien Putin und Lawrow persönlich getroffen, während es mit ukrainischen Beamten nur telefonisch gesprochen hatte.
Kritiker behaupten, Brasilien wolle mit seiner Haltung eine Konfrontation mit Russland vermeiden, das ein wichtiger Lieferant von Düngemitteln für seine Sojaplantagen ist.
Amorim traf sich am Mittwoch auch mit dem stellvertretenden ukrainischen Außenminister Andrij Melnyk, der ein Foto von den beiden auf Twitter veröffentlichte.
„Brasilien kann eine wichtige Rolle spielen, um die russische Aggression zu stoppen und einen dauerhaften und gerechten Frieden zu erreichen“, schrieb Melnyk. Bereits am Donnerstag wurde dann klar, dass Melnyk, bis voriges Jahr Botschafter der Ukraine in Berlin und in Deutschland aufgrund seiner medienwirksamen Auftritte und Kommentare gut bekannt, neuer Botschafter in Brasilia wird.
Derweil scheint Den Haag in der Angelegenheit fürs erste federführend zu bleiben. „Unser Frieden ist möglicherweise gefährdet, wenn Russland seine Ziele in der Ukraine erreicht“, sagte der niederländische Premierminister.
Auch wenn sie sich über die Wege zum Frieden nicht völlig einig sind, schätzten die beiden Staats- und Regierungschefs den Dialog und zeigten sich zuversichtlich, eine Lösung für den Konflikt in der Ukraine zu finden. „Ich denke, es ist wichtig, dass die Ukraine selbst gehört wird, aber es ist auch wichtig, dass große Länder wie Brasilien an der Suche nach Lösungen beteiligt sind“, sagte Mark Rutte.
Celyn Arden ist ein deutsch-amerikanischer Publizist und Hochschullehrer. Er ist stellvertretender Leiter des Berlin Policy Instituts und lehrt Rechts- und Wirtschaftsenglisch an der Hochschule Bielefeld.