Die marokkanischen Strafbehörden ermitteln gegen 65 Migranten, zumeist offenbar Sudanesen aus Darfur, die an dem konzertierten Durchbrechen der Grenzanlagen der spanischen Exklave Melilla teilgenommen haben. Bilder, die die Verletzten und Verwundeten des Vorfalls zeigten, sorgten am Wochenende für einen Aufschrei in den sozialen Medien. 37 der Migranten werden die illegale Einreise nach Marokko, Gewalt gegen die Sicherheitskräfte, bewaffnete Zusammenrottung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen, 28 weiteren die Beteiligung an einer kriminellen Schlepperbande.
Zwei von Sánchez’ Ministern brachten derweil eine Stärkung der Rolle der Nato in der Region ins Gespräch. Kurz vor dem Nato-Gipfel in Madrid sagte Außenminister José Manuel Albares, die Nato sollte ihr Aufgabenfeld erweitern, um auch auf nicht-militärische Bedrohungen wie „den politischen Missbrauch von Energieressourcen und die illegale Migration“ in Afrika zu reagieren. Verteidigungsministerin Margarita Robles sprang ihrem Kabinettskollegen bei und sagte mit Bezug auf den derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Ukraine-Krieg: „Wir haben diesen Krieg in Europa, aber die Situation in Afrika ist wirklich besorgniserregend.“ Damit meinte Robles vor allem die Rechtlosigkeit und das Vordringen islamistischer Kräfte in der Sahel-Zone im Süden der Sahara.
Meist Subsahara-Migranten, viele aus dem Sudan
Die spanischen Grenzschützer haben ihre Arbeit getan – und das deutsche politische Feuilleton ist empört. Vor allem die Äußerungen des spanischen Premierministers sorgen für Entrüstung, etwa in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung: „Da stellte sich Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez vor die Mikrofone und lobte – ja, lobte – angesichts von mutmaßlich 37 Toten an der Grenze zwischen Marokko und Melilla die ‚außergewöhnliche Arbeit unserer Sicherheitskräfte‘.“ Man kann sein Unglück kaum noch fassen, dass ausgerechnet ein sozialistischer Regierungschef solche Worte sprach. 37 Todesopfer sind es übrigens nur nach gewissen Quellen, doch das verschweigt das Qualitätsblatt aus München.
Laut Berichten etwa der gibraltarischen Website Europa Sur liefen 2.000 meist aus Subsahara-Afrika stammende Migranten auf die Grenzanlagen zu, bewaffnet mit Stöcken, Steinen, Messer und Hämmern und ausgerüstet mit weiterem Werkzeug, um die drei spanischen Grenzzäune zu überwinden. Eine Stelle („das Sieb“) ist als besonders durchlässig bekannt. Auf die hatten sie es abgesehen. Bei der Abwehr kam es, wie bekannt, zu zahlreichen Verletzten. 23 Migranten sind dabei ums Leben gekommen. Verschiedene Migrations-NGOs wie die Marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) und „Caminando Fronteras“ gaben höhere Zahlen zwischen 27 und 37 an. 18 Migranten und ein marokkanischer Polizist wurden in dem nordafrikanischen Land ins Krankenhaus eingeliefert.
133 von den rund zweitausend Migrationswilligen schafften es in die spanische Überseestadt Melilla. Karin Janker sieht in der Süddeutschen Zeitung einen „neuen Abgrund für Europa“ – erkennt aber doch nicht den Abgrund in ihren eigenen Worten. Die maximierte Opferzahl der Migrations-NGOs hat sie ohne Prüfung übernommen. „Migrantenverteidigungsverbände“ heißen sie bei Europa Sur. Dass es bei chaotischen Zuständen wie den oben sichtbaren am „Sieb“ leicht zu Todesfällen im Gedränge wie auch durch Gummigeschosse der Grenzschützer kommen kann, liegt auf der Hand. Deshalb von „Gewalt“ der Gesetzeshüter zu sprechen, ist ebenso korrekt wie absurd. Denn natürlich üben sie das Gewaltmonopol an der spanisch-marokkanischen Grenze aus.
„Tödliche Falle“ oder „Sieb“? Es könnte auch beides stimmen
So sprach der Ortsverband Nador der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung von einer „unmenschlichen, gewalttätigen Art“, in der die Migranten am Grenzübergang Nador behandelt worden seien. „Ihrem Schicksal überlassen, ohne Hilfe, stundenlang, was die Zahl der Toten steigen ließ.“ Doch hätten die Migranten diese Notlage nicht leicht vermeiden können, indem sie nicht gegen die gesicherte Grenze eines Staates anrannten, mit Messern, Hämmern und anderem „Werkzeug“ zumal?
Die spanische Grenzanlage wird da – etwa in der taz – zur „tödlichen Falle“ erklär, wo sie laut anderen noch „ein Sieb“ war. Genau das ist, könnte man schließen, der Fehler: Grenzanlagen, die undichte Stellen enthalten, laden zu Missbrauch und Rechtsbruch ein.
An Sánchez und seine europäischen Partner bleibt schließlich die Frage: Warum wird die Zaunanlage in Melilla nicht endlich in einer Weise verstärkt, die solchen Angriffen jede Grundlage entzieht? Es bräuchte sicher nicht mehr als einen Beschluss im spanischen Parlament. Und hier könnte der erste Hase im Pfeffer liegen. Der Koalitionspartner Podemos will nämlich nicht genauso, wie Sánchez zu wollen scheint. Doch dieses Problem können die spanischen Wähler lösen.