Ausgerechnet die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hat bei Amtsantritt klar gemacht, dass die Westsahara unter marokkanischer Aufsicht kein rotes Tuch für sie ist. „Mich überrascht diese Entwicklung,“ gesteht der spanische Maghreb-Experte Ignacio Cembrero ein. Er hält sie für gefährlich, weil Marokko seinen Willen wieder einmal mit Gewalt durchgesetzt habe: „Über den Druck durch die Migrantenströme von Afrika nach Europa.“ Das Phosphat-reiche Territorium kommt auf eine Fläche von 266.000 Quadratkilometern und war von 1885 bis 1976 eine spanische Provinz, bis Marokko durch den sogenannten „Grünen Marsch“ militärisch in das Gebiet eindrang und es seitdem beansprucht. Erst kurz vor der zeitgleichen spanischen Kehrtwende in der Westsahara-Frage hatte es wieder einen Ansturm auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla gegeben. Die im Nordwesten Afrikas liegende Westsahara grenzt an das arme Mauretanien und auch mit einem nördlichen Zipfel an Algerien, den Erzfeind Marokkos.
Saber Chbani Idrissi, Chef der marokkanischen Investmentagentur AMDIE, macht im Interview klar, dass die Region Teil des Staatsgebietes ist und dort deutsche Unternehmen investieren können. Die UN sieht das anders und fordert ein Referendum für die dort lebenden rund 500.000 Menschen, genauso wie die „Frente Polisario“, eine militärische und politische Organisation, die angeheizt und militärisch unterstützt von Algerien und Russland die Selbstbestimmung fordert. Nachdem die USA und Israel vor zwei Jahren Marokkos Position in der Region bestärkten, folgten nun Spanien und Deutschland, wenn auch mit weniger offiziellen Erklärungen. Das hat die 10monatige diplomatische Stille zwischen Rabat und Berlin Anfang des Jahres gebrochen. Der Druck von der anderen Seite hatte keine Wirkung zeigte.
Spaniens Grenzverkehr mit dem afrikanischen Nachbarn normalisiert sich seitdem schlagartig. Der Fährbetrieb wurde wieder aufgenommen. Vor einem Jahr, im Mai 2021, hatten in wenigen Tagen noch rund 12.000 Afrikaner Ceuta und Melilla gestürmt. Zur gleichen Zeit wurde der Polisario-Chef Brahim Gali in einem spanischen Krankenhaus behandelt, was in Rabat als Affront empfunden wurde.
Spanien und Deutschland brauchen Marokko als Energielieferanten
Der neue Frieden zwischen Spanien, Deutschland und Marokko ist ein Kuhhandel, von dem Algerien schnell gelernt hat. Nach Angaben des spanischen Geheimdienstes CNI plant das Land nun auch eine Gruppe von 10.000 Afrikanern nach Europa zu schicken, um wie Marokko seine Macht in der Region mit der Waffe der illegalen Migration zu sichern. Für Andreas Wenzel, Chef der deutschen Außenhandelskammer in Casablanca, zeigt es, dass die Lage weiterhin sehr instabil ist, auch wenn er froh ist, dass es jetzt weiter geht mit den Investitionsprojekten in der Automobil- und Energiebranche. Marokko ist für Europa wichtiger als Algerien, weil der Nachbar bei allem Ärger über die neue Sachlage wohl kaum das Gas nach Europa abstellen werde, glaubt Arturo Gonzalo, CEO des Gasnetz-Dienstleisters Enagás in Madrid. Er sieht im Gespräch mit ausländischen Journalisten enorme Chancen für sein Land, energiepolitisch zwischen dem Maghreb und Europa zu vermitteln. Langfristig, da ist sich auch die konservative spanische Opposition einig, wird die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen mit Marokko für Spanien nur positiv sein. Im konservativen Lager wird jedoch befürchtet, dass mit der Änderung der spanischen Position zur Westsahara langfristig auch die Zukunft der Exklaven auf marokkanischem Gebiet auf dem Spiel steht.
Ein gefährliches Spiel ohne Alternativen
Saber Chbani Idrissi kündigt derweil große deutsche und internationale Wirtschaftsinvestitionen in Marokko an, die auch von Kammer-Chef Wenzel bestätigt werden: „Marokko hat sich verpflichtet bis 2030 die Hälfte seines Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien zu decken.“ Bisher kommt das Land schon auf rund 40%. Saber Chbani Idrissi erzählt mit fast kindlichem Stolz, dass einer der größten Arbeitgeber Marokkos kein europäisches oder amerikanisches Unternehmen sei, sondern ein japanisches: „Es zeigt, wie divers wir aufgestellt sind, wie wichtig wir wirtschaftlich sind mit unseren Freihandelsabkommen mit der EU und mit den USA und wie stabil unsere Monarchie ist.“ Kenner der Region wie Cembrero haben dagegen Bauchschmerzen bei den aktuellen Entwicklungen: „Wir sollten wieder zur Neutralität in der Westsahara-Frage zurückkehren.“ Er wie auch Sicherheitsexperte Fernando Cocho haben die Gefahr der islamistischen Terroristen aus der Region nicht aus den Augen verloren: „Durch die Pandemie haben wir vergessen, wie viele Marokkaner und Algerier an Attentaten in Europa beteiligt waren.“