Tichys Einblick
Blaupause für Italien?

Mare Liberum: Gesetz der griechischen Regierung beendet Tätigkeit der NGO

Die NGO Mare Liberum hat sich aufgelöst. Angeblich haben die Regeln des griechischen Staates der „zivilen Seenotrettung“ in der Ägäis ein Ende gemacht. Daneben läuft ein Ermittlungsverfahren gegen 35 Beschuldigte aus dem Umkreis der NGO. TE hat früh über die Anschuldigungen berichtet – und darf das nun wieder.

IMAGO - Screenprint: mare-liberum - Collage: TE

„So geht es nicht weiter!“ So beginnt die ehemalige Migrations-NGO Mare Liberum etwas melodramatisch ihre Mitteilung über ihre Selbstauflösung. Grünsein verpflichtet: Die Verzweiflung um das Ende des angeblich so guten Werks kann bei solch einem Akt nicht fehlen. Mitschwingen soll natürlich: Auch auf den Migrationsrouten im Mittelmeer kann es nicht so weitergehen wie bisher, worüber zu diskutieren wäre.

Vor fünf Jahren war der eingetragene Verein Mare Liberum gegründet worden, der sich von Anfang an für die Unterstützung der illegalen Migration in der Ägäis einsetzen wollte. Das Jahr 2015 – das die NGO-Beerdiger nun als „Sommer der Migration“ ansprechen – hatte den Startpunkt gesetzt. Seitdem wuchs das „Seenotrettungs“-Geschäft in der Ägäis. Ein Geschäft, das nicht unbedingt im Verdienen von Geld besteht, vielmehr im Verschleudern fremder Mittel. Langfristig verschenkten (und verschenken) die Schlepperhelfer in Ägäis und Mittelmeer die Steuern und Mittel der Europäer an die neu Hinzukommenden, die kaum etwas zur hiesigen Wirtschaft beitragen können.

Im Spätsommer 2018 stieß also das Fischerboot „Mare Liberum“ zu diesem Ramsch-Geschäft der europäischen Kultur, flog aber aus heutiger Sicht ziemlich bald auf. Das Schiff von 21 Meter Länge war ein Geschenk der befreundeten Sea-Watch. Angeblich wollte man die griechische Küstenwache beobachten, doch bald verlegte man sich aufs Planen und Koordinieren von Migrationsströmen. Das Observieren übertrugen die NGO-Aktivisten bald reisewilligen, in Moria untergebrachten und auch zurückgewiesenen Migranten, die für sie von Griechenland und der Türkei aus die Tätigkeit der griechischen Küstenwache und Marine auskundschaften sollten. Diese und andere Informationen teilten die Leute von der „Mare Liberum“ dann mit anderen NGOs.

Zu den Ermittlungen kamen staatliche Bestimmungen hinzu

Das ging eine Weile gut. Doch nach knapp zwei Jahren Betrieb zog sich eine Schlinge um die Aktivisten zu. Ausgelegt worden war sie von den griechischen Behörden, darunter mehrere Abteilungen der Polizei und der Geheimdienst. Die Monate andauernde Polizei-Operation lief unter dem Codewort „Alkmene“. Pikanterweise hatten die Ermittler sogar auf falsche „Flüchtlinge“ zurückgegriffen, um dem abgestimmten Treiben mehrerer NGOs in der Nordost-Ägäis auf die Schliche zu kommen.

Anfang September 2020 stürmten die Polizisten das Schiff, das damals an der Westküste von Lesbos vor Anker lag. Ende des Monats übergab die Polizeidirektion der Nordägäis ihre Ermittlungsakten an die zuständige Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen seitdem weiterführt. All das beeindruckte die Mitglieder von Mare Liberum noch keineswegs, wie spätere Auftritte rund um den Moria-Prozess wegen Brandstiftung zeigten. Die NGO-Aktivisten blieben an Ort und Stelle, renovierten ihr Schiff und warteten auf die Möglichkeiten zum erneuten Handeln. Eine gewisse Protektion durch die deutsche Botschaft hatte sie vielleicht so frech werden lassen. Unmittelbar nach ihrer Verhaftung waren die meisten der NGO-Mitglieder auf eine Intervention des Botschafters hin freigekommen.

Am Ende machte das neue griechische NGO-Gesetz den Leuten von der „Mare Liberum“ ihr Vorgehen unmöglich. Seit vergangenem September drohten den Betreibern der „Mare Liberum“ laut eigenem Bericht hohe Strafen, sollte sie noch einmal auslaufen. Die Aktivisten schreiben von einem „repressiven Gesetz“. Aber dieses Gesetz setzt lediglich die Hoheitsrechte des griechischen Staates durch und fordert, dass auch NGO-Schiffe, wenn sie denn in der Ostägäis tätig sein wollen, sich ordnungsgemäß registrieren und zertifizieren lassen und außerdem den Anweisungen der Küstenwache Folge leisten. Diese Anforderungen, so der aufgelöste Verein Mare Liberum, hätten „hohe bürokratische Hürden“ geschaffen. So sei nun eine Reihe von „offiziell übersetzten und beglaubigten Dokumenten“ erforderlich, darunter auch „detaillierte Finanzdaten“ und „persönliche Daten von Mitarbeiter:innen und ehrenamtlichen Unterstützer:innen“. An dieser Stelle hörte der Spaß offenbar auch für die NGO-Aktivisten auf. Man wünscht sich dringend Datenschutz. Warum wohl? Gibt es im Hintergrund einer solchen NGO vielleicht Finanzflüsse, von der die Behörden lieber nichts erfahren sollen?

Reiches „Intelligence“-Material auf dem Schiff gefunden

Das Gesetz – so gipfeln die Mare-Liberum-Einwände gegen es – erlaube es dem griechischen Migrationsministerium, die Registrierung von NGOs „aus vagen … Gründen“ abzulehnen. Aber vor allem die Pflicht, Anweisungen der Küstenwache zu befolgen, wird als Dealbreaker beschrieben: „Das gehorsame Ausführen jeden Befehls des Verlassens von Tatorten, ist mit dem Ansinnen unserer Menschenrechtsbeobachtung nicht vereinbar. Unsere Anstrengungen gegen das Gesetz vorzugehen blieben erfolglos.“ Das habe nun die Auflösung des Vereins zur Folge.

Nun ist die „Mare Liberum“ aber nicht gerade durch die Observierung von „Tatorten“ bekannt geworden. Das Schiff lag wohl die meiste Zeit vor Anker. Der „zivile Ungehorsam“ der Schiffsbesatzung bezog sich daher bald schon auf anderes. Bei der Durchsuchung durch die griechische Polizei fanden sich verräterische Materialien, etwa Karten mit Anlandezonen an der Ostküste von Lesbos. Verzeichnet waren auch genaue Ablegepunkte auf der türkischen Seite der Ägäis und Anlegepunkte auf der griechischen. Die Einteilung in Operationszonen erinnert nicht von ungefähr an militärische und hoheitliche Vorgehensweisen und spricht für das planvolle und strukturierte Vorgehen der Nutzer.

Daneben gab es einen annotierten Lageplan des inzwischen abgebrannten Lagers Moria, Kartenaufnahmen der verschiedenen Küsten, handschriftliche Aufzeichnungen zu Landepunkten. Auch das Logbuch der „Mare Liberum“ wurde sichergestellt, in dem wiederum Bewegungen der griechischen Küstenwache aufgezeichnet waren. Schließlich fanden sich Gesprächsaufzeichnungen, in denen es darum ging, Migranten als Informationsquelle anzuwerben. Für ein reines Beobachtungsschiff war das nach dem Dafürhalten der griechischen Behörden auffällig viel „Intelligence“-Material – also Material, welches das Aushorchen anderer Akteure (hier der griechischen Küstenwache) und den anschließenden Geheimnisverrat widerspiegelt.

Ermittelt wird auch gegen die Kontakt-NGO in der Türkei

Das alles konnte Tichys Einblick durch eigene und Fremdrecherchen sicher belegen, aber seither nicht veröffentlichen. Ein Rechtsstreit mit Mare Liberum e.V. verhinderte das. Nun hat sich die Nichtregierungsorganisation aufgelöst, damit endet auch der Streit. Der aufgelöste Verein Mare Liberum bestätigt nun auch die Durchsuchung des eigenen Schiffes, die von der griechischen Polizei „zu allem Überfluss“ durchgeführt worden sei, und die Ermittlungen gegen den Verein aus angeblich „fadenscheinigen Gründen“. Die Gründe lesen sich aber alles andere als fadenscheinig, wenn man in die Pressemitteilung der griechischen Polizei schaut. Die Vorwürfe lauten auf Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, auf Spionage und Verrat von Staatsgeheimnissen. Am Ende geht es auch um Verletzungen des Migrationscodes, der Asyl- und Ausländergesetzgebung des Landes.

Laut Berichten in der griechischen Presse und unabhängigen Recherchen von TE richten sich die Ermittlungen dabei vor allem gegen die Besatzung der „Mare Liberum“ (24 von 35 beschuldigten Personen), daneben auch gegen zwei Vorstandsmitglieder der NGO. Darüber hinaus sind drei weitere NGOs ins Visier der griechischen Behörden geraten, darunter Sea Watch e.V., nach wie vor an derselben Berlin-Kreuzberger Adresse ansässig wie früher Mare Liberum e.V., und die österreichische Gründung Josoor International Solidarity mit Einsatzgebiet Türkei.

Mit den Mitgliedern dieser NGO organisierte die Besatzung der „Mare Liberum“ mutmaßlich die Einschleusung von illegalen Migranten über die Seegrenze in der Ägäis. Die griechische Polizei stellte in ihrer Presseerklärung von 2020 fest, dass die NGO-Beteiligten „unter dem Vorwand der humanitären Tätigkeit“ aus der Türkei kommenden Migranten Informationen zu Ablege- und Anlegeorten und live geteilte Koordinaten zukommen ließen. Das konnte laut Informationen von TE durch verdeckte Abhörmaßnahmen der griechischen Polizei nachgewiesen werden. So hätten die Aktivisten letztlich Überfahrten von der türkischen Küste nach Lesbos organisiert und damit in mindestens 32 Fällen die Einschleusung von illegalen Migranten nach Griechenland erleichtert oder den Versuch dazu unternommen. Schlepperbewegungen wurden so koordiniert.

Im Juni 2021 wollten die „Aktivisten“ beim Moria-Prozess dabeisein

Zu diesem Zweck wurden auch zurückgewiesene Flüchtlinge in der Türkei nach Überwachungsorten, Stellungen von offiziellen Schiffen und Orten von sogenannten „Pushbacks“ (also Zurückweisungen) befragt. Diese Tätigkeit von Mare Liberum e.V. dringt vermutlich in den Bereich des Geheimnisverrats vor. Das Netz von Recht und Unrecht ist hier fein geknüpft, und ein falscher Schritt in der Vergangenheit könnte die NGO-Mitglieder heute oder bald für Jahre ins Gefängnis bringen.

Wie TE-Recherchen ergaben, haben die Betreiber der „Mare Liberum“ zudem die Kommunikation der griechischen Küstenwache durch Senden auf ähnlichen Frequenzen gestört. Das oftmals hier vermutete Jammen konnte nicht erwiesen werden. Beachtlich sind aber die Vorgänge rund um den Prozess wegen Brandstiftung im Migrantenlager Moria. Im Juni 2021 hatten sieben EU-Bürger versucht, in das Gerichtsgebäude in Mytilini Stadt einzudringen, darunter ein Holländer, ein Schweizer und zwei Deutsche. Sie wurden festgenommen. Es handelte sich sämtlich um Beschuldigte im Zusammenhang mit dem Schleuserverfahren im Nachgang der Operation Alkmene. Außerdem wurde ein deutscher Staatsbürger festgenommen, weil er versucht hatte, Informationen über das Gerichtsverfahren an eine in der Türkei sitzende NGO (wieder Josoor?) weiterzugeben. Mehrere Monate nach dem Warnschuss setzten die „Aktivisten“ ihre grenzüberschreitende „Arbeit“ offenbar fort.

Auch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte übrigens versucht, die „Mare Liberum“ und andere Schiffe durch eine Verordnung aus dem Verkehr zu ziehen. Das gelang ihm aber nur vorübergehend. Der glücklose Minister hatte vergessen, seinen Text im Voraus bei der EU anzukündigen. Dadurch wurde die Verordnung im EU-Rahmen angreifbar und letztlich von einem deutschen Verwaltungsgericht außer Kraft gesetzt. Es war ein vereinzelter Versuch ohne konsequentes Nachsetzen des CSU-Mannes. Der nun aufgelöste Verein rühmt sich deshalb noch heute, man habe „stellvertretend“ die Stilllegung der deutschen „Seenotrettungsflotte“ durch Schiffssicherheitsverordnungen des Bundesverkehrsministeriums verhindert.

Den NGOs standen ausgedehnte Finanzmittel zur Verfügung

Zu fragen ist allerdings nach den ausgedehnten Finanzmitteln, die der NGO auch für ihre Rechtshändel – etwa auch mit TE – zur Verfügung standen. Natürlich tragen private Spender eine Mitverantwortung für die mutmaßlich von der Besatzung der „Mare Liberum“ begangenen Straftaten. Das eingeleitete Verfahren rund um die Operation Alkmene ist noch auf Lesbos anhängig. Und noch etwas kann man aus dem verbitterten Abschlussbericht von Mare Liberum erfahren: Die zweitgrößte Gruppe in griechischen Gefängnissen sind Schlepper. Das seien nur „Schutzsuchende“, die zufällig „hinten am Motor saßen“, wenden die Aktivisten ein. Die griechische Justiz ist hier aber in der Tat rigoros und wertet auch das Steuern eines Schlepperboots als Schleppen. Das passt natürlich nicht in das Narrativ vom unschuldigen Migranten. Es ist aber die Realität der illegalen Einschleusung von Migranten, dass sich auch alle, die ein solches Boot am Laufen halten, mitschuldig machen.

Laut dem aufgelösten Verein Mare Liberum ist es ein Skandal, dass „keine zivilen Monitoring-Organisationen oder Rettungsschiffe zwischen der Türkei und Griechenland mehr operieren können“. Hier sind wieder zwei Bereiche vermengt: die Beobachtung der Küstenwache durch Vertreter der „Zivilgesellschaft“ und das Retten selbst, das vor allem Sache dieser Küstenwache ist. Auf dieses Gebiet wollen alle Migrations-NGOs ihrer Natur gemäß vordringen. Die Beobachtung und Datensammlung ist nur ein Vorwand, um auf den Migrationsrouten Präsenz zu zeigen, die dann – man sieht es aktuell vor der italienischen Küste – zu einem weiteren Ausgreifen der NGOs in Richtung „Seenotrettung“ führt. Der staatlich-hoheitliche Mechanismus wird zunächst kritisiert und geschwächt, dann folgt die Besetzung und das Wahrnehmen hoheitlicher Aufgaben durch private Akteure. Auf dieses Vorgehen sollte man auch in Italien stärker achten. Dann kann vielleicht auch da eine Rückkehr zu staatlich-souveränem Handeln einsetzen, von dem im Moment nicht viel zu sehen ist.

Apropos: Die „Mare*go“ ist ein gelb gestrichenes Fischerboot. Einst trug der 1917 gebaute Kutter ehrbare niederländische Namen wie Waakzaamheid, Wilhelmina oder gar Catholina. 2015 wurde sie an eine deutsche Migrations-NGO verkauft und nahm deren Namen „Sea Watch“ an. 2018 wechselte sie den Besitzer wieder und wurde – damals noch blau gestrichen – zur „Mare Liberum“. Es ist das Schiff, das am 5. September 2020 von den griechischen Polizisten durchsucht und zeitweise festgesetzt wurde. Nun ist sie im Besitz der Schweriner Organisation Zusammenland gUG (haftungsbeschränkt), die von dem fast schon altbekannten „Seapunk“ Raphael Reschke vertreten wird.

Kürzlich berichteten die Betreiber von ihrem „vierten Einsatz innerhalb von 24 Stunden“ im zentralen Mittelmeer zwischen Libyen, Tunesien und Italien. So tweeten die Aktivisten ihren aktuellen Rechtsbruch in die Welt hinaus. Denn das Dekret des italienischen Innenministers Piantedosi sieht vor, dass sich NGO-Schiffe nach jedem einzelnen Rettungseinsatz sofort um einen Anlegehafen in Italien bemühen müssen. An der Regelung mäkeln die „Seapunks“ auch jetzt noch herum. Das griechische Beispiel zeigt aber, dass noch härtere Maßnahmen erfolgen müssen, um auch im zentralen Mittelmeer eine wirkliche Blockade gegenüber der illegalen Migration zu erreichen.

Dass die NGOs die italienischen Dekrete nicht beachten wollen, haben einige von ihnen ja klar gesagt. Auch diese neue „Zusammenland“ mit der „Mare*go“ (= Ex-Mare-Liberum) kritisiert weiter an den Regeln herum.

Der Al-Jazeera-Bericht zu Libyen zeigt die andere Seite der Medaille: Die Migranten handeln dort pragmatisch und können auch in diesem Land zu Hunderttausenden überleben.


Tichys Einblick dankt allen Lesern, die es mit ihrer Unterstützung ermöglichen, dass wir diese Recherchen wie auch die zu den Berliner Wahlen durchführen konnten und können. Bitte unterstützen Sie uns weiter!


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