Am letzten Wochenende fand in Mannheim das Finger Heart Festival statt. Ein ganzer Tag voller südkoreanischer Kultur und als Höhepunkt der Abend voller südkoreanischer Popmusik. Das Festival ist benannt nach einem Handzeichen, nicht zu verwechseln mit Merkels Raute: Daumen und Zeigefinger bilden ein Herz, eben: Finger Heart. Das Zeichen ist fester Bestandteil der koreanischen Popkultur.
Die einflussreichste Kulturnation Asiens ist, nein, nicht China, es ist Südkorea. Südkorea hat längst die USA als prägenden kulturellen Faktor abgelöst. Heute wird in Asien die Musik, die Mode und die Art zu denken von Südkorea geprägt.
Nun mag der geneigte Leser denken: Was geht´s mich an, wenn da irgendwo in Asien ein Sack Reis umfällt und deutsche Teenager dazu tanzen?
Wenn die westlichen Medien über Asien berichten, blicken sie mit einer seltsamen Lustangst auf China. Die anderen asiatischen Kulturen sind scheinbar kaum eine Fußnote wert. Dabei bestimmt inzwischen Südkorea den kulturellen Zeitgeist Asiens. Sogar das vielfach größere China selbst kann sich nur schwer dem kulturellen Faszinosum Südkoreas entziehen.
Kultur-Exportschlager Koreas
Heute ist überall in Asien K-Pop (Korea-Pop) angesagt. Die Vorbilder der Frisuren der jungen Männer Südostasiens finden sich bei den Frisuren der koreanischen Boy-Bands. Vorbilder der Wohnungs-Einrichtungen und Modepräferenzen sind in den unendlichen Soap-Operas Südkoreas zu finden.
In den koreanischen Familiendramen finden sich andere Charakterkonstellationen als im Westen. Der „böse alte“ Mann ist hier undenkbar. Weiße, also helle Haut ist allüberall erstrebenswert und wird als hochmodisch angesehen. Hautcremes sind üblicherweise mit Bleichmittel versehen. In Soap Operas spielt sich Gewalt meist zwischen der guten und der bösen Frau ab, der weise, weiße Mann steht in seiner Weisheit über den Dingen und löst mit seiner Vermittlung die Probleme, die die Frauen anrichten.
Aegyo, das süße Mädchen
Zu der in Asien extrem stark beachteten koreanischen Popkultur gehört auch „aegyo“. Es heißt so viel wie süß und bedeutet, dass sich die junge Frau wie ein Schulmädchen kleidet, die Lippen schürzt und Zöpfchen trägt. Diese Lolita-Erotik spielt auch in Japan eine große Rolle. Ganze Manga-Reihen leben von der Erotik süßer kleiner Mädchen, die dem männlichen Verlangen scheinbar willenlos zur Verfügung stehen. In der Regel werden die Männer aber an der Nase herumgeführt und die Lolitas befriedigen ihr finanzielles und ihre Macht-Interesse.
Aegyo wird also von jungen Frauen eingesetzt, um etwas zu erreichen. Doch auch Jungs greifen als Medienstars auf das süße Gehabe zurück. In den Medien wird dies akzeptiert, doch die Sache sieht schon wieder anders aus, wenn ein „normaler“ Mann so ein Verhalten an den Tag legt. Die meisten Asiaten empfinden dies als unangenehm und dieser Mann wird weder zum Mädchenschwarm, noch wollen Männer wirklich etwas mit ihm zu tun haben.
K-Pop, der Musikexport Koreas
Südkorea ist es gelungen den materialistischen US-Way of Life und dessen Popkultur mit einem konsumorientierten asiatischen Way of Life zu verbinden. Das individualistische Ego der Popkünstler des Westens ersetzen die Koreaner durch Gruppen oder in Asien anerkannte Führereigenschaften. Das stößt überall in Asien auf große Resonanz.
Die erfolgreichste Boyband Südkoreas, die inzwischen auch deutsche Hallen füllt, ist BTS: Das sind 7 gebildete, elegante junge Männer mit aegyo. Im Gegensatz zum westlichen Rock, wo das proletenhafte Gedöns wesentliches Stilmerkmal ist, ist der asiatische Pop oft bildungs- und konsumorientiert und erinnert mit seiner bonbonhaften Buntheit an den amerikanischen Supermusiker Prince.
Ihr extrem erfolgreiches Video Blood Sweat & Tears hat allein bei YouTube über 500 Millionen Aufrufe. Die Jungs mit ihrer extrem hellen Hautfarbe schlendern durch ein Museum, das aus Artefakten der europäischen Kulturgeschichte bestückt ist. Im Intro sinniert zu barocker Chormusik ein Jungsänger vor einem Brueghel-Gemälde. Im Outro (5:45) steht der Leadsänger vor einer Marmorwand mit dem im deutschen Original eingemeißelten Nietzsche-Zitat: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“ aus der Vorrede zu Also sprach Zarathustra. Bildungsbürgervorbild ist also eine Zeit, in der deutsche Dichter und Denker der Welt noch etwas zu sagen hatten.
Dagegen steht die affektierte Girlie-Band Blackpink mit ihrem Hit Kill This Love. Sie zeigt alles, wofür der K-Pop steht: Perfekt produziertes Video, abwechslungsreiche Komposition, Stimmungswechsel, spannungssteigernde Pausen.
Innerhalb von 24 Stunden nach Veröffentlichung des Songs hatten bereits mehr als 56 Millionen den Clip auf YouTube gesehen. Rampa-pampa-pah!! Stoßt ins Horn! Ihr Hit DDu-Du-DDu-Du kommt auf über 800 Millionen(!) Aufrufe. Das sind Dimensionen, deren Relevanz sich dem westlichen Bewusstsein noch gar nicht erschlossen haben.
Rollenbilder Asiens
Während das Image von BTS auf ein feminin verweichlichtes Männerbild gerichtet ist, stellt Blackpink ein fast aggressiv-dominantes Jung-Frauenbild vor – soweit wie in Deutschland. Allerdings ist die traditionelle Rolle von Mann und Frau in Asien von der Vorstellung von Ying und Yang geprägt.
Das Starke ergänzt das Schwache, und da wo der Andere schwach ist, ist der Eine stark. Das bedeutet also, dass dieses neue Rollenbild in Konflikt mit traditionellen Vorstellungen steht.
In heutigen Deutschland trifft das in den Medien propagierte Powergirl auf die im Alltag verbreitete Vorstellung der Geschlechter als zwei graue Halbkreise: geschlechtslos, charakterlos, reizlos. Dominantes Verhalten wird im Westen bei der Frau positiv bewertet (starke Frau) beim Mann negativ (sexistisch).
Der neue Trend der koreanischen K-Pop Lolitas ist auf den amerikanischen Markt gerichtet, wo er auch bei den jungen US-Asiatinnen voll einschlägt. Die Dominanz der britischen und US-amerikanischen Musik, die den asiatischen Pop früher prägte, ist verschwunden.
China und Südkorea
Auch in China sind die K-Popper äußerst beliebt und die täglichen südkoreanischen Soap-Operas werden von vielen Millionen Zuschauern verfolgt. Das stellt die chinesische Führung vor politische Probleme, ist Südkorea doch ein enger Verbündeter der USA. Amerikanische Raketenabwehrsysteme in Korea können auch China erreichen. Gemeinsame Manöver von USA und Südkorea sind gegen Chinas Militärmacht im südchinesischen Meer gerichtet. Von Fall zu Fall antwortet China, indem es koreanische Popsänger wieder auslädt und die beliebten Fernsehfilme nicht mehr zulässt. Der Beliebtheit von K-Pop tut dies in China allerdings keinen Abbruch.
Japan und Südkorea und der 2. Weltkrieg
Eigentlich haben Japan und Südkorea Streit um eine felsige Inselgruppe im Japanischen Meer. Dazu kommt, dass der Präsident Südkoreas eine Entschuldigung des japanischen Kaisers für Kriegsverbrechen der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg gefordert hat.
Hier sieht man das Dilemma der asiatischen Kulturen. Einerseits fordern sie Entschuldigungen für die Taten der Großeltern anderer Länder, andererseits ist es in Asien, der Kultur der Ahnenverehrung, ein Unding, die Großeltern zu verurteilen. So wird sich Japan weder bei China noch bei Korea für den 2. Weltkrieg entschuldigen. Beide Länder fordern, was sie selbst auch nicht tun würden. Im christlichen, schuldorientierten Westen stößt diese Haltung auf völliges Unverständnis. Deutschland fordert gar eine Erinnerungs- und Schuldkultur à la Germany und ist sich nicht bewusst, dass nicht alle Kulturen ticken, wie die Deutschen sich das vorstellen.
Hinzu kommt, dass die koreanische Kultur wesentlich ungezwungener als die japanische ist. Koreaner zeigen Emotionen direkter und offener als die zurückhaltenden Japaner. Das macht diese Serien für Zuschauer in Japan spannender und anrührender als die vergleichsweise kontrollierte eigene Kultur.
Vietnam und Südkorea
Südkorea ist für Vietnam ein absolutes Vorbild. Misstrauische Intellektuelle halten Südkorea nach den USA für die nächste Kulturinvasion. Aber die Stimmung im Land ändert sich. Junge vietnamesische Sänger imitieren K-Pop Stars. Chi Pu versucht eine Melange zwischen altem Western Storytelling und K-Pop.
Wenn ich mich in Vietnam nach der Meinung der Vietnamesen über den Vietnamkrieg erkundige, bekomme ich mehr und mehr den Eindruck, dass es die jungen Vietnamesen bedauern, den Krieg gewonnen zu haben. Die Begründung ist einfach: Hätten die USA den Krieg gewonnen, hätten sie Vietnam aufgebaut, wie sie Südkorea aufgebaut haben. Dann wären wir jetzt reich wie sie. Südkorea, das Vorbild.
Das steht natürlich im diametralen Gegensatz zur veröffentlichten Anti-USA-Pro-Vietcong-Doktrin, wie sie im Westen vermittelt wird. Ich muss gestehen, dass ich mich auch schwergetan habe, die Vietnamkrieg-Frage in dem betroffenen Land zu stellen. Aber in persönlichen Gesprächen geben besonders im Süden viele Vietnamesen ohne Scheu zu, dass ihnen der Kriegsgewinn über die USA Jahrzehnte der Entwicklung geraubt hat. In den westlichen Medien ist so etwas allerdings nicht zu finden. Es widerspricht schließlich diametral der Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Romantik der Alt-68er-Journalisten.
Länder wie Vietnam, Burma, Kambodscha und Laos werden von Südkorea regelrecht kulturell kolonialisiert. Selbst China tut sich schwer, Südkorea auf diesem Feld etwas entgegenzusetzen. Einheimische Kultur stirbt aus oder wird auf den Status von Folklore degradiert – wie wir das auch schon in Deutschland kennen.
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