Manfred Weber (CSU) flirtet wieder. „Wenn Frau Meloni weiter auf Zusammenarbeit und europäische Lösungen wie beim Tunesien-Abkommen setzt, ist sie für uns genauso Ansprechpartner wie Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala und viele Liberale“, erklärte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) gegenüber dem Tagesspiegel. Eine wenig verwunderliche Deklaration. Schon zuvor hatte sich Weber in der Migrationsfrage den Parteien rechts der EVP angenähert. Das eigene Programm zeigte verdächtige Nähe zur ID-Fraktion.
Aber Weber ist nicht nur Unionspolitiker. Anders als seine provinziell erscheinenden CDU/CSU-Kollegen, deren Brandmauer-Rhetorik wichtiger geworden ist als die politische Manöverfähigkeit und langfristige strategische Orientierung, muss Weber nicht nur an die Zukunft der eigenen Partei in Europa, sondern an die Zukunft der gesamten EVP denken. Und will die EVP nicht wie die Union in die Falle laufen, sich wegen ideologischer Brandmauern in die ewige Abhängigkeit linker Parteien zu begeben, so muss er zumindest die Option offenhalten, auch mit Parteien rechts der EVP zu koalieren.
Die Paranoia des Merkelflügels innerhalb der CDU bedrohen damit den Zusammenhalt der EVP, wenn Weber nicht die EKR als normalen Koalitionspartner einordnet. Denn in vielen Mitgliedsländern gehören diese Koalitionen bereits zum Alltag. Der harte Begriff der Paranoia ist auch deswegen gerechtfertigt, weil die Union in ihrer Angst vor der AfD nicht nur die Machtkonstellationen im EU-Parlament selbst, nicht nur die politischen Bündnisse von EVP-Partnern in anderen europäischen Ländern, sondern auch den Fakt übersieht, dass die AfD nicht einmal Teil der EKR-Familie ist. Wenn nach Italien auch Spanien mit einer EVP-EKR-Koalition folgt, kommt man an einer Neujustierung nicht vorbei. Webers Einlassung einen Tag vor der Parlamentswahl in Spanien dürfte also kein Zufall sein.
Weber erscheint dagegen als einer der wenigen Pragmatiker, der die politische Realität verstanden hat. Nicht nur in der EU, sondern in der Union insgesamt. Nicht Weber begeht den Skandal; Merkelianer, Vertreter linker Parteien und die linke Presse wollen einen Skandal daraus machen, dass die EVP in Brüssel das tut, was sie auf nationaler Ebene schon vielfach getan hat. Es ist nur natürlich, dass ein Parteivertreter versucht, die Macht der eigenen Partei zu erhalten – insbesondere, wenn sie mit dem Verlust der ungarischen Fidesz Federn gelassen hat, und Melonis Fratelli d’Italia bei der letzten Wahl die Kandidatin von der Leyen nicht unterstützten. Webers Kalkül könnte sein: Vielleicht überlegt es sich die Parteivorsitzende der EKR anders, wenn der nächste Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten nicht von der Leyen, sondern Weber heißt?
Meloni ist keine Bittstellerin in Brüssel. Sie kann warten. Warten, wie die Wahl in Spanien ausgeht. Warten, wie die Landtagswahlen in Deutschland ausgehen. Warten, wie die EU-Wahl ausgeht. Sie kann Angebote annehmen oder ablehnen. Sie sitzt – anders als Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen – fest im Sattel. Das weiß Giorgia Meloni. Und das weiß auch Manfred Weber.