Tichys Einblick
In Brüssel bricht die Brandmauer

Manfred Weber flirtet mit Giorgia Meloni

Wieder einmal startet EVP-Chef Manfred Weber eine Charmeoffensive in Richtung Giorgia Meloni. Wie Ursula von der Leyen hofft er auf Schützenhilfe bei der nächsten EU-Wahl. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der EVP – ideologische Brandmauern sind da nebensächlich.

Manfred Weber nach einer Visite bei Giorgia Meloni im November 2022

IMAGO / NurPhoto

Manfred Weber (CSU) flirtet wieder. „Wenn Frau Meloni weiter auf Zusammenarbeit und europäische Lösungen wie beim Tunesien-Abkommen setzt, ist sie für uns genauso Ansprechpartner wie Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala und viele Liberale“, erklärte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) gegenüber dem Tagesspiegel. Eine wenig verwunderliche Deklaration. Schon zuvor hatte sich Weber in der Migrationsfrage den Parteien rechts der EVP angenähert. Das eigene Programm zeigte verdächtige Nähe zur ID-Fraktion.

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Seinen Vergleich zwischen Meloni und dem tschechischen Premier Fiala begründete Weber so: „In der EU sind parteipolitische Wettbewerber häufig auch Partner, weil es einen Kompromiss braucht.“ Natürlich meldeten sich die typischen Verdächtigen innerhalb der Union, die auf Brüsseler Ebene ihre spießbürgerliche Brandmauer-Taktik bedroht sahen. Meloni, die aus dem „postfaschistischen“ Lager käme, stünde „noch einmal ganz anders unter Beobachtung“, so der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Gunther Krichbaum. Und der Abgeordnete Dennis Radtke forderte gar eine „ehrliche Läuterung“ der italienischen Ministerpräsidentin. Bei einigen Christdemokraten ist vom christlichen Kern wohl nur die sakramentale Sprache verblieben.

Aber Weber ist nicht nur Unionspolitiker. Anders als seine provinziell erscheinenden CDU/CSU-Kollegen, deren Brandmauer-Rhetorik wichtiger geworden ist als die politische Manöverfähigkeit und langfristige strategische Orientierung, muss Weber nicht nur an die Zukunft der eigenen Partei in Europa, sondern an die Zukunft der gesamten EVP denken. Und will die EVP nicht wie die Union in die Falle laufen, sich wegen ideologischer Brandmauern in die ewige Abhängigkeit linker Parteien zu begeben, so muss er zumindest die Option offenhalten, auch mit Parteien rechts der EVP zu koalieren.

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Denn die EVP ist eben mehr als ein europäisches CDU/CSU-Anhängsel. Zu ihr gehört auch der Partido Popular, Spaniens große Mitte-Rechts-Partei, die am morgigen Sonntag wohl den Sieg einfahren dürfte. Ihr Koalitionspartner dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Partei VOX sein – die wie Melonis Fratelli d’Italia zum EKR-Bündnis gehört. Es ist nicht die einzige EVP-EKR-Koalition in der EU. In Tschechien regiert die ODS, ebenfalls ein EKR-Mitglied, von Petr Fiala als Seniorpartner mit den Christdemokraten. In Lettland regieren Jaunā Vienotība (EVP) und Nacionālā apvienība (EKR) zusammen. Bis Ende Mai regierte in der Slowakei ebenfalls ein EVP-EKR-Bündnis. In Finnland regiert die Nationale Sammlungspartei (EVP) mit der Finnenpartei (EKR). In Schweden tolerieren die Schwedendemokraten die Mitte-Rechts-Regierung von Ulf Kristersson. In Polen regiert die PiS, die stärkste EKR-Schwester der italienischen Fratelli d’Italia. Und dann, zuletzt, sollte man Italien selbst noch erwähnen. Meloni ist nicht nur Ministerpräsidentin des Landes, sie ist auch Parteivorsitzende der EKR.

Die Paranoia des Merkelflügels innerhalb der CDU bedrohen damit den Zusammenhalt der EVP, wenn Weber nicht die EKR als normalen Koalitionspartner einordnet. Denn in vielen Mitgliedsländern gehören diese Koalitionen bereits zum Alltag. Der harte Begriff der Paranoia ist auch deswegen gerechtfertigt, weil die Union in ihrer Angst vor der AfD nicht nur die Machtkonstellationen im EU-Parlament selbst, nicht nur die politischen Bündnisse von EVP-Partnern in anderen europäischen Ländern, sondern auch den Fakt übersieht, dass die AfD nicht einmal Teil der EKR-Familie ist. Wenn nach Italien auch Spanien mit einer EVP-EKR-Koalition folgt, kommt man an einer Neujustierung nicht vorbei. Webers Einlassung einen Tag vor der Parlamentswahl in Spanien dürfte also kein Zufall sein.

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Doch offenbar sind einige Teile des Merkelflügels der Union gewillt, für die Fortsetzung linksgerichteter Politik die europäische Parteienfamilie zu sabotieren. Der innerparteiliche CDU-Konflikt droht sich damit auf die EVP auszuweiten: Wenn die CDU-Linke sich mit ihrer Negativpropaganda gegen die EKR durchsetzt, ist die gesamte Parteienfamilie dazu gezwungen, auf der EU-Ebene weiterhin nur nach links zu schauen. Damit ist ein bestimmter Politikstil festgelegt. Und es gäbe Rückendeckung für die eigenen Verbündeten in Deutschland. Ein provinzielles, parteiideologisches Weltbild, das den europäischen Anspruch ad absurdum führt.

Weber erscheint dagegen als einer der wenigen Pragmatiker, der die politische Realität verstanden hat. Nicht nur in der EU, sondern in der Union insgesamt. Nicht Weber begeht den Skandal; Merkelianer, Vertreter linker Parteien und die linke Presse wollen einen Skandal daraus machen, dass die EVP in Brüssel das tut, was sie auf nationaler Ebene schon vielfach getan hat. Es ist nur natürlich, dass ein Parteivertreter versucht, die Macht der eigenen Partei zu erhalten – insbesondere, wenn sie mit dem Verlust der ungarischen Fidesz Federn gelassen hat, und Melonis Fratelli d’Italia bei der letzten Wahl die Kandidatin von der Leyen nicht unterstützten. Webers Kalkül könnte sein: Vielleicht überlegt es sich die Parteivorsitzende der EKR anders, wenn der nächste Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten nicht von der Leyen, sondern Weber heißt?

Meloni ist keine Bittstellerin in Brüssel. Sie kann warten. Warten, wie die Wahl in Spanien ausgeht. Warten, wie die Landtagswahlen in Deutschland ausgehen. Warten, wie die EU-Wahl ausgeht. Sie kann Angebote annehmen oder ablehnen. Sie sitzt – anders als Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen – fest im Sattel. Das weiß Giorgia Meloni. Und das weiß auch Manfred Weber.

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