Tichys Einblick
Nach 30 Jahren Flucht

Ein Sieg für Italien: Die Festnahme von Mafia-Boss Matteo Messina Denaro

Es war ein historischer Tag für Italien: 30 Jahre nach der Ermordung der beiden Anti-Mafia-Richter Falcone und Borsellino nehmen Sicherheitskräfte den letzten großen Mafiapaten fest. Er ließ sich in Palermo gegen Krebs behandeln - rund einen Kilometer von der Anti-Mafia-Behörde entfernt.

IMAGO / ZUMA Wire

Giovanni Falcone und Paolo Borsellino sind die letzten Helden Italiens. Kaum eine Ortschaft auf der Halbinsel, die nicht eine Straße nach ihnen in jüngster Zeit benannt hat. Sie waren die Gesichter des rechtschaffenen Italiens, das gegen Erpressung, Korruption, Mord, kurz: die Mafia kämpfte. Die beiden Juristen führten einen Krieg gegen die Mafia; und die Mafia antwortete in diesem Krieg mit aller Gewalt.

Nach der Ermordung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro, der sich in Gefangenschaft der Roten Brigaden befand, war die Ermordung von Falcone und Borsellino einer der bestimmenden Momente der italienischen Republik. Sie wurden zu säkularen Märtyrern. Am 23. März 1992 wurden Falcone, seine Frau und ein Sicherheitskonvoi mit dem Sprengstoff von verlorenen Weltkriegsbomben auf der Autobahn in die Luft gejagt. Rund 500 Kilogramm Sprengstoff kamen bei der Detonation zum Einsatz. Borsellino wurde wenige Wochen später, am 19. Juli 1992, ermordet, als ein Fiat vor seiner Wohnung explodierte. Fünf weitere Personen kamen dabei ums Leben, die unter anderem für die Sicherheit Borsellinos zuständig waren.

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Die Mafia hatte die Anti-Mafia-Bewegung damit einschüchtern wollen. Doch die Ermordung der beiden Vorkämpfer führte in der italienischen Gesellschaft zu einem „Jetzt erst recht“-Moment. Auf das Trauma der Tötung der beiden Anti-Mafia-Ritter folgte die Verhaftung von Totò Riina am 15. Januar 1993. Er galt als Oberhaupt der sizilianischen Cosa Nostra. Eine Vielzahl an Mafia-Mitgliedern wurde in den nachfolgenden Jahren festgenommen, die in das historische Attentat verwickelt waren, das Einzug in das kollektive italienische Gedächtnis fand (so etwa auch in Paolo Sorrentinos Film „Il Divo“, wo es die letzte Amtszeit von Ministerpräsident Giulio Andreotti überschattet).

Man kann nur mit diesem Vorwissen verstehen, was die Festnahme von Matteo Messina Denaro bedeutet. Er galt als einer der letzten großen Figuren der Cosa Nostra, die damals verantwortlich für den Schock waren, der Italien mindestens so sehr erschütterte wie die damaligen politischen Umwälzungen. Seit 1993 war er deswegen auf der Flucht. Er galt als Nachfolger Riinas und damit als mächtigstes Mafia-Oberhaupt Siziliens. Bereits in Abwesenheit war er zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Immer wieder konnte der 60-jährige abtauchen und dem Zugriff der Justiz entwischen. Erst 2021 hatten 150 Spezialkräfte zusammen mit Helikoptern und Hundestaffeln in einer Großfahndung die Insel nach ihm abgesucht. Doch Denaro fanden die Beamten nicht. Am Montag hatte das Katz-und-Mausspiel ein Ende. Der letzte große Pate der sizilianischen Mafia wurde gestellt – weil er sich in einer Klinik gegen Krebs behandeln ließ. Mit einem falschen Pass hatte er sich dort unter dem Namen Andrea Bonafede getarnt.

Ausschlaggebend war die Überwachung der Schwestern Denaros. Ihre Gespräche gaben den Ermittlern Indizien, um „nach alter Methode“ die Puzzlestücke zusammenzufügen, wo sich der Pate aufhielt. Die drei Frauen hätten zwar um die eigene Überwachung gewusst. Doch in einem Streit, bei dem es um den Zustand des Bruders ging, hätten sie verräterische Details preisgegeben, die bei der Ergreifung Denaros entscheidend waren. Die Mafia, deren Verschwiegenheit sonst die große Stärke ist, verliert einen ihrer wichtigsten Männer wegen zu viel Geschwätz. Die Ermittlern werteten anschließend die Daten aller Krebspatienten auf Sizilien aus. Männer, die keine Charakteristiken mit dem Mafiaboss aufwiesen, wurden Akte für Akte ausgemustert.

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Die Operation in Palermo erfolgte mit hunderten Einsatzkräften. Als Denaro das Krankenhaus La Maddalena verließ, sprach ihn ein Carabiniere auf seine Identität an. Als der Patient seine Lage realisierte, gestand er, Matteo Messina Denaro zu sein. 30 Jahre nach der Festnahme Riinas ging den Fahndern damit der andere „dicke Fisch“ ins Netz. Die Klinik befand sich nur rund einen Kilometer entfernt von der Distriktzentrale für Anti-Mafia-Ermittlungen.

Denaro soll sich seit ein bis zwei Jahren wegen eines Tumors behandeln lassen. Er habe sich mehrmals einer Chemotherapie unterzogen, wirke deswegen gealtert. Gesundheitlich sei er jedoch in bester Verfassung. Im Krankenhaus fiel er wegen seiner Großzügigkeit positiv auf. Als die Polizei ihn festnahm, trug er eine Uhr im Wert von 35.000 Euro. Offenbar führte der Mafiaboss weiterhin ein mondänes Leben.

Nach den Krisenjahren und der vergeblichen Suche nach Denaro ist das Ereignis nicht nur eine Genugtuung, sondern auch ein positiver historischer Augenblick der italienischen Geschichte. Eine dreißigjährige Suche geht zu Ende. Dass die Festnahme unter einer konservativen Regierung stattfindet, ist eher dem Zufall und der langfristigen Strategie, denn der Tagespolitik zu verdanken.

Für Giorgia Meloni, die am 15. Januar ihren 46. Geburtstag gefeiert hat, kommt die Festnahme jedoch einem Geburtstagsgeschenk gleich. „Ein schöner Tag für ganz Italien. Die Nation ist stolz auf euch“, twitterte sie in Richtung der Sicherheitskräfte. Noch am selben Tag besuchte sie die Gedenkstätte zu Ehren Falcones. Damit machte Meloni klar: ein Unrecht wurde endlich gesühnt.

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