“Macron démission!” Das ist die Forderung, die man dieser Tage am häufigsten auf den Straßen der größeren Städte Frankreichs hört. “Macron – Rücktritt!” fordern Tausende Demonstranten der “Gilets Jaunes”, der sogenannten Gelbwesten, bereits am vierten Samstag in Folge. Auch in Lyon. Dabei ist es augenscheinlich ein ganz normaler vorweihnachtlicher Samstagnachmittag in der Geschäftsstraße in der Innenstadt, der Rue de la République. Erst wenn man die Place Bellecour erreicht, einen der größten Plätze Frankreichs, dann sieht und hört man sie. Einige hundert Gelbwesten haben sich hier versammelt, um gegen den Sozialabbau der Regierung von Präsident Emmanuel Macron zu protestieren. Friedlich. Von Gewaltbereitschaft keine Spur. Die Lage eskaliert erst am frühen Abend, als eine Gruppe Jugendlicher randaliert. 23 Festnahmen, keine Verletzten. Landesweit waren es nach Angaben des Innenministeriums 1.723 Gelbwesten, die vorübergehend festgenommen wurden, 1.220 von ihnen wurden in Polizeigewahrsam behalten, ein Teil von ihnen muss sich nun in einem Schnellverfahren vor der Justiz verantworten.
Auf der Place Bellecour in Lyon zeigen sich die Gelbwesten friedlich. Sie ziehen weiter zur naheliegenden Brücke “Pont Guillotière” über die Rhône, um dort den Verkehr lahmzulegen. Die Aktion verläuft friedlich, immer wieder hupen Autofahrer, um so ihre Solidarität mit der Bewegung zu zeigen. Die Stimmung: eher festlich als gewaltbereit. “Macron muss zurücktreten”, sagt Lionel, wie er sich nennt, einer der Veranwortlichen der Gelbwesten in Lyon. “Entweder Macron und die Regierung treten zurück, oder sie ändern komplett ihren Kurs. Die Franzosen leiden, die Rentner leiden”, sagt er, “die Menschen leiden unter ihrer Armut. In dieser wirtschaftlichen Lage die ISF, die sogannte Reichensteuer, abzuschaffen, ist vollkommen haltlos. Sie muss umgehend wieder eingeführt werden, sie hat vier Milliarden Euro in die Staatskasse gespült. Der Mindestlohn muss erhöht werden”, fordert Lionel. “Das ist Macrons letzte Chance, er muss sich endlich äußern. Die Menschen können nicht mehr in Würde leben. Macron muss ein starkes Zeichen setzen. Er muss die Steuern senken und darf die Energiepreise nicht weiter erhöhen. Wir demonstrieren hier friedlich. Es gab zwar eine Gruppe Gewaltbereiter, von denen haben wir uns aber getrennt.” Lionel ergreift die Initiative und regelt den Verkehr, die meisten Autofahrer zeigen sich weiter hupend solidarisch, die Stimmung bleibt friedlich.
Zu Beginn demonstrierten sie gegen Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel und gegen die Reformpolitik der Regierung. Das hat sich längst ausgeweitet auf Proteste gegen die gesamte Sozialpolitik der Regierung von Emmanuel Macron. Die Gelbwesten organisieren sich selbst und wollen sich von keiner politischen Partei vereinnahmen lassen. Das ist aber schon längst geschehen. Sowohl von ganz links, als auch von ganz rechts versucht man die Bewegung zu vereinnahmen. Von Jean-Luc Mélonchons “France Insoumise” bis zu Marine Le Pens “Rassemblement National”, dem ehemaligen “Front National“, beanspruchen die Parteien, die Ziele der Bewegung zu vertreten. Dabei ist inzwischen klar, dass ein Teil der Gelbwesten dem rechtsextremen Lager entspringt. So hat kürzlich einer ihrer Wortführer, Christophe Calenćon aus dem Département Vaucluse, gefordert, Premierminister Édouard Philippe durch den ehemaligen Generalstabschef der französischen Armee, Pierre de Villiers, zu ersetzen.
Tränengas, Gummigeschosse, brennende Autos und Barrikaden, vandalierte Geschäfte und Restaurants. In der vergangenen Woche hat ein Abgeordneter der Regierungspartei “La République en Marche“ per Post eine Pistolenkugel mit der Warnung erhalten, die nächste werde zwischen seinen Augen landen. Die Schäden gehen in zweistellige Millionenhöhe, vielen Einzelhändlern wurde damit das Weihnachtsgeschäft vermasselt. Wohin das führen wird? Auch im Stadtzentrum von Bordeaux wurden an diesem Samstag Vitrinen eingeschlagen und Restaurants in Brand gesetzt. Der Bürgermeister, Alain Juppé, ehemaliger Premierminister unter Jacques Chirac, hat Präsident Macron aufgefordert, nun endlich sein Schweigen zu brechen und zu den Franzoszen zu sprechen. Das Image Frankreichs sei bereits international beschädigt, man brauche nun einen starken und autoritären Diskurs des Präsidenten, der aber auch Verständnis und Empathie für die Menschen zeigen müsse. Viele der Forderungen der Gelbwesten seien schließlich verständlich und verdienten es, gehört zu werden. Macron setzte indes die umstrittene Besteuerung für Benzin und Diesel für das kommende Jahr aus. Er will Gesprächsgruppen in den Regionen einrichten, um im Dialog mit den Menschen die Wogen zu glätten. Ob das reicht? Ein Anfang ist es allemal. In den sozialen Medien haben die Gelbwesten indes zu einem fünften Akt aufgefordert, mehrere Tausend Demonstranten kündigten an, daran teilnehmen zu wollen. Auch am kommenden Wochenende wird dann wieder vor allem eine Farbe die Straßen der größeren Städte Frankreichs kennzeichnen: ein leuchtendes Gelb.
“Macron – Rücktritt! Rücktritt der gesamten Regierung, oder eine komplette Kursänderung der Regierung.Macron und die Regierung müssen komplett die Richtung ändern. Die Franzosen leiden, die Rentner leiden. Die Menschen leiden unter ihrer Armut. Das ist nicht mehr möglich. Wie kann man in der derzeitigen Wirtschaftslage die ISF (Reichen- oder Vermögenssteuer) abschaffen? Die hat Frankreich vier Milliarden Euro eingebracht. Das ist absolut unkohärent. Man gibt den Reichen und den großen Unternehmen sämtliche Vorteile, man erhöht die Steuern. Die Franzosen können nicht mehr ihren Bedürfnissen entsprechend leben. Am 25. des Monats haben sie nichts mehr in der Tasche. Die Leute haben nichts mehr im Kühlschrank. Das ist unmöglich. Es muss unbedingt sein, dass der Präsident sich darüber klar wird und seine Richtung ändert. Er muss umgehend die ISF wieder einführen und den Mindestlohn erhöhen, das soziale Minimum erhöhen. Das ist die letzte Chance für Präsident Macron. Er muss am Montag zu den Menschen sprechen. Er muss sich darüber klar sein, dass die Menschen leiden; das Volk kann nicht mehr in Würde leben. Das Volk kann nicht seinen Hunger stillen. Das ist seine letzte Chance. Er muss unbedingt ein starkes Signal senden und die Vermögenssteuer wieder einführen und alle Steuererhöhungen zurücknehmen, die Strompreissteigerungen verhindern und bessere Dienstleistungen für behinderte Menschen anbieten. Die Franzosen halten alle zusammen und demonstrieren friedlich. Vor allem friedlich. Wir haben uns von den anderen getrennt, erst war eine Gruppe Gewaltbereiter unter uns. Wir haben uns dafür entschieden, uns von ihnen zu trennen. Wir sind pazifistisch. Wie Sie hier sehen, blockieren wir hier friedlich.”
“Zusammen für das Volk und den Planeten, gemeinsam gegen Neoliberalismus”