Eine neue Zeit der internationalen Diplomatie scheint zu beginnen. Und verantwortlich dafür ist vor allem einer: Donald Trump, der eigentlich noch gar nicht im Amt ist. Am Wochenende war der gewählte US-Präsident in Paris und hielt, so die allgemeine Einschätzung, Hof bei der Wiedereröffnung von Notre-Dame. Zugleich bemühte sich der Gastgeber Macron, möglichst viel aus diesem Besuch herauszuholen, und bat zum Dreiergespräch zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten. Der französische Präsident – das muss man ihm lassen – weiß Gelegenheiten, die sich bieten, zu nutzen.
Inzwischen ist ein Trump-Interview im Polit-Magazin Paris Match erschienen, daneben gibt es Äußerungen aus Trumps Umkreis im Wall Street Journal, die das Bild eines Friedensplans ergeben, den andere Politiker in einem Acht- oder Zehn-Punkte-Plan ausgewalzt hätten, so wie jetzt etwa Baerbock zu Syrien. Trump hingegen formuliert seine Vorhaben mit großer Schlichtheit und könnte damit auf Dauer mehr bewirken.
Der Nahe Osten sei „auch wichtig“, aber er denke, dass die Lage in Nahost „eine Situation ist, die weniger schwer zu bewältigen ist, als die der Ukraine und Russlands“. Darüber, welches der beiden Probleme leichter zu lösen, mag man lange streiten. Auch welcher Konflikt eigentlich komplizierter ist. Trump drückt sich hier eher näherungsweise aus, benennt aber doch ganz klar seine Prioritäten.
Der Unterschied zwischen Real- und Werteaußenpolitik
Für ihn ist der wichtigste Punkt, dass „wir dort unten nicht beteiligt sind“, also in Syrien, jedenfalls nicht allzu direkt. Das ist in der Ukraine offenbar anders. Daraus folgt für Trump: Die Syrer „müssen sich selbst helfen“. Das entspricht Trumps alter Linie vom Austragen von Konflikten, die einer Region innewohnen, was langfristig natürlich das Potential eines dauerhaften Friedens in sich trägt. Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine fordert Trump allerdings einen sofortigen Waffenstillstand und daran anschließend die Aufnahme von Verhandlungen zwischen den beiden Kriegsparteien.
Auch der Noch-Amtsinhaber Biden kriegt nun im Interview mit Time sein Fett weg: Die Lieferung von Raketen, die weit auf russisches Gebiet vordringen könnten, kritisiert Trump dort scharf. Das sei „verrückt“. Er lehne „die Entsendung von Raketen, die Hunderte von Kilometern nach Russland reichen, vehement ab“. Das eskaliere den Krieg nur und mache ihn schlimmer: „Das hätte nicht zugelassen werden dürfen.“ Trump sagte aber auch, dass er die Ukraine nicht im Stich lassen oder aufgeben werde.
Macrons Truppenvorstoß – nur eine Flucht aus der Innenpolitik?
Macron ist sozusagen mit wehenden Fahnen zum neuen Trump-Ansatz übergelaufen, einfach weil sich das in seiner Lage gut macht: Er reiste nach Polen, um eine neue Initiative für europäische Soldaten in der Ukraine vorzuschlagen. So versucht Macron, vermeintlich eigene Akzente in Trumps Superplan unterzubringen. Eine „europäische Friedensmission“ soll es laut Spiegel werden, also eine Art EU-Blauhelme, keine Kämpfer, im Umfang von 40.000 Mann. Dabei hatte Macron bisher für die „strategische Souveränität“ der EU geworben – nun reicht offenbar auch ein Leben unter amerikanischer Oberhoheit aus. Die „souveräne“ EU scheint bislang nur als Werkzeug amerikanischer Welt- und Konfliktlenkung denkbar. Konkurrenz macht Macron dem kommenden US-Präsidenten hier sicher nicht. Er ordnet sich dessen Plänen unter. Aber vielleicht ist das ja genau die Chance und der einzige Platz für eine strategische Souveränität der EU wie von Macron erträumt.
Was Macron vorschwebte, war offenbar eine „Koalition der Vernünftigen“. Aber wer ist schon noch vernünftig im politischen Frankreich von heute? Anscheinend kaum noch jemand: Die vermeintlich gemäßigten („sozialdemokratischen“) Sozialisten haben angekündigt, jeden Genossen, der sich als Chef einer nicht eindeutig linken Regierung hergibt, aus der Partei zu werfen. Die Mitte-rechts-Republikaner, aber auch viele Macronisten sind entsetzt über den macronistischen Kandidaten Roland Lescure, weil dessen Vater ein Kommunist war.
Schoettl: Koalition der Mitte heißt Lähmung
Eigentlich geht es darum, die Macron-Koalition auf einen Mitte-rechts-Kurs festzulegen, also eine Verlängerung der Regierung Barnier mit anderen Mitteln. Denn – und das steht im Hintergrund dieser Ränke – Koalitionen über Lagergrenzen hinaus sind in Frankreich verpönt. Ein anerkannter Experte wie der Ex-Generalsekretär des Verfassungsrats, Jean-Éric Schoettl, warnt sogar davor: Eine „zentristische Koalitionsregierung“ brächte demnach vielleicht eine Mehrheit im Parlament mit sich, die aber würde man mit der „Lähmung“ des Landes erkaufen. Hinter Macrons Traum verbirgt sich gemäß Schoettl die Utopie einer „volonté générale“ (eines „allgemeinen Willens“). Es gehe aber nicht um das „Allgemeininteresse“ in einer solchen Koalition „der Mitte“, sondern nur um die Vermeidung eines Misstrauensantrags.
Laut Schoettl könnte es sogar schwierig werden, vor „dem 31. Dezember einen Entwurf für ein Sondergesetz verkünden zu lassen, das zumindest die Erhebung der bestehenden Steuern erlaubt“. Und hier wäre noch nicht einmal von komplexeren Aufgaben wie der Begebung von Staatsanleihen die Rede. Es bliebe außerdem beim Änderungsrecht des Parlaments. Schoettl weist darauf hin, dass RN und die Linksfront die Steuertabelle an die Inflation anpassen wollen.
Macrons Partei Renaissance – sozusagen das Zentrum der Zentren, die Mutter des politischen Zentrums –, die einst über 400.000 Mitglieder hatte, zählt nach neuesten Angaben aus diesem Oktober nur noch 8.500. Der neue Parteivorsitzende (und alte Premier) Gabriel Attal ist ein Abbild der inhaltlichen Beliebigkeit seines Vorbilds Macron. Es heißt, Attal entscheide jeden Tag von Neuem, welche Position er vertritt: Ihm zufolge ist Renaissance heute schon die „Partei der Ökologie, der Autorität, der Schule, der Gleichstellung von Frauen und Männern und Europas“, soll aber nun auch noch zur „Partei der Arbeit und der Arbeiter“ werden, wie jüngst die NZZ berichtete. Es handelt sich also um eine Art Einheitspartei für alle wichtigen Themen und Standpunkte, aber mit immer weniger Stimmen und Sitzen.
Le Pen will Bayrou stützen – wenn er ihrer Linie folgt
Macron macht es auf der internationalen Bühne nicht anders, nun eben mit seiner neuen Soldaten-für-die-Ukraine-Initiative, die er, nicht zur Begeisterung von Donald Tusk, in Polen vorgetragen hat. Derweil bleibt es in der Innenpolitik, wie es war: Am Mittwoch sprach Macron mit den Vorsitzenden aller Parteien – außer der radikal linken La France insoumise („Aufsässiges Frankreich“, LFI) und dem Rassemblement National (RN). Beide gelten als unerwünscht in einer Regierung. Man darf sich fragen, wie Macron es zulassen konnte, dass sich der gerade abgesetzte Premier Barnier hauptsächlich auf die RN-Stimmen um Marine Le Pen stützte.
Das war zu ihrem Vorteil: Im Vergleich zum September hat sie zwei bis drei Prozentpunkte in einer möglichen Wahl um die Präsidentschaft gewonnen, von 35 auf 38 Prozent in einem ersten Wahlgang gegen Gabriel Attal, von 34 auf 36 Prozent, wenn der Ex-Premier Édouard Philippe gegen sie antritt. Die Konkurrenten folgen im weiten Abstand bei rund 25 Prozent, manchmal auch nur noch 20 Prozent wie aktuell Attal. Insgesamt kann die politische Rechte (hier Le Pen mitgerechnet) rund die Hälfte der Präsidentschaftsstimmen für sich verbuchen.
Nun antwortet Macron mit dem demonstrativen Ausschluss von LFI und RN, den beiden Speerspitzen gegen seine Regierung und ihr verhaltenes Sparbudget. Nun hat er mit François Bayrou einen Uralt-Verbündeten zum Premier ernannt – und eine Art lebendes Fossil aus einer anderen politischen Zeit. Dem RN ist er weder lieb noch unlieb. Man will Bayrou nach seiner politischen Linie beurteilen, habe hier keinen „Pawlowschen Reflex“: Tut er etwas gegen die Zuwanderung und für die Kaufkraft der Franzosen, werde man sein Verbündeter sein; unterwirft er sich der EU, lobt er deren Asylpakt und greift er den Franzosen in die Tasche, dann sein Gegner, so der nordfranzösische RN-Abgeordnete Sébastien Chenu auf France 2.