In seiner Amtszeit hat sich Präsident John F Kennedy gegen die Eskalation des Vietnamkriegs gestemmt. Seine Militärberater und die Medien machten Druck auf ihn. Er gab immer mehr nach, schickte Militärberater und Waffen – aber er weigerte sich, den letzten, entscheidenden Schritt zu gehen: Bodentruppen zu entsenden und aus dem vietnamesischen Bürgerkrieg einen amerikanischen Krieg zu machen.
Eingebrockt hatte ihm die Situation „La Grande Nation“. Frankreich hatte erst in hirnloser Großmannssucht Anspruch auf die alte Kolonie erhoben – um dann bei erster Gelegenheit in Dien Bien Phu die Waffen fallen zu lassen und wegzurennen. Szenenwechsel: Gut 60 Jahre später will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Bodentruppen in die Ukraine schicken. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“, zitiert ihn die Tagesschau.
„Alles“ ist ein gefährliches Wort. Es lässt sich leicht widerlegen. Aber es zündelt so schön. Vor allem, wenn man das Staatsoberhaupt eines Landes ist, das Jahrzehnt für Jahrzehnt zuschauen muss, wie die Lücke zwischen der eigenen Größe und der Vorstellung von der eigenen Größe größer wird. Bodentruppen zu schicken ist die ultimative Eskalation. Dann würde aus einem regional begrenzten Krieg in der Ost- und Süd-Ukraine ein europäischer Krieg – Minimum.
Jenseits der Ampel zeichnet sich in der Kriegsfrage in Deutschland eine neue Koalition ab. Die größere Entschlossenheit, die Ukraine unterstützen zu wollen, verbindet Union, Grüne und FDP. Sie könnte auch der Kitt sein, der eine solche Koalition trotz anderer Unstimmigkeiten zusammenhält. Das setzt Scholz noch mehr unter Druck. Für ihn entscheidend sein dürfte aber eher der Druck, den die Nato-Partner USA, Großbritannien und eben Frankreich auf ihn ausüben.
Doch Scholz hat zwei gute Gründe, zu bremsen. Der erste ist die unklare Situation in den USA. Falls dort im November Donald Trump zum Präsidenten gewählt wird, stünde Scholz als großer Verlierer der Geschichte da. Dann hätte er einen regionalen Krieg zu einem europäischen Krieg eskalieren lassen und müsste ihn ohne die Hilfe der Macht führen, die ihn als einzige gewinnen könnte – wenn auch nur unter unvorstellbar großen Opfern für die umliegenden Länder.
Kennedy wurde am 22. November 1963 in Dallas ermordet. Am 2. August 1964 kam es zum Vorfall im Golf von Tonkin. Keine Woche später verkündete Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson die Tonkin-Resolution. Sie bildete die Grundlage, amerikanische Bodentruppen nach Vietnam schicken zu können. Der vietnamesische Bürgerkrieg wuchs zu dem amerikanischen Krieg, der das Land in eine schwere existenzielle Krise führte. Johnson wollte als Sozialreformer in die Geschichte eingehen und bekämpfte eindrucksvoll den strukturellen Rassismus in den amerikanischen Südstaaten. Er gilt heute trotzdem ausschließlich als der Präsident, der den Vietnamkrieg verursacht und verbockt hat.
Scholz ist alles andere als ein empathischer Kämpfer. Einer, der sich der Sache wegen selbst opfert. Dass der Kanzler sich derart gegen die Eskalation des Ukraine-Kriegs stemmt, ist bemerkenswert. Es sollte die nachdenklich stimmen, die allzu leicht der Eskalation eines europäischen Kriegs das Wort führen. Das scheint sich auch bei der Union rumzusprechen. Nachdem ihr Lautsprecher Roderich Kiesewetter (CDU) den Krieg dorthin tragen wollte, wo ihn ein gewisser Napoleon B. und ein Gefreiter aus Österreich zuletzt liegengelassen haben. In der Folge ließ die Fraktion den Talkshow-Star erst spät in den verschiedenen Ukraine-Debatten im Bundestag sprechen.