Tichys Einblick
Eskalation des Krieges droht

Macron will Bodentruppen in die Ukraine schicken – Scholz nicht mal Raketen

Olaf Scholz stemmt sich gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Damit wird der Bundeskanzler immer einsamer. Der französische Präsident Emmanuel Macron will sogar Bodentruppen schicken.

Der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnen am 26. Februar 2024 im Elysee-Präsidentenpalast in Paris, Frankreich, die Ukraine-Konferenz

IMAGO / ABACAPRESS

In seiner Amtszeit hat sich Präsident John F Kennedy gegen die Eskalation des Vietnamkriegs gestemmt. Seine Militärberater und die Medien machten Druck auf ihn. Er gab immer mehr nach, schickte Militärberater und Waffen – aber er weigerte sich, den letzten, entscheidenden Schritt zu gehen: Bodentruppen zu entsenden und aus dem vietnamesischen Bürgerkrieg einen amerikanischen Krieg zu machen.

Eingebrockt hatte ihm die Situation „La Grande Nation“. Frankreich hatte erst in hirnloser Großmannssucht Anspruch auf die alte Kolonie erhoben – um dann bei erster Gelegenheit in Dien Bien Phu die Waffen fallen zu lassen und wegzurennen. Szenenwechsel: Gut 60 Jahre später will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Bodentruppen in die Ukraine schicken. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“, zitiert ihn die Tagesschau.

„Alles“ ist ein gefährliches Wort. Es lässt sich leicht widerlegen. Aber es zündelt so schön. Vor allem, wenn man das Staatsoberhaupt eines Landes ist, das Jahrzehnt für Jahrzehnt zuschauen muss, wie die Lücke zwischen der eigenen Größe und der Vorstellung von der eigenen Größe größer wird. Bodentruppen zu schicken ist die ultimative Eskalation. Dann würde aus einem regional begrenzten Krieg in der Ost- und Süd-Ukraine ein europäischer Krieg – Minimum.

Oder vielleicht doch dafür?
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Olaf Scholz (SPD) stemmt sich wie einst John F. Kennedy gegen die Eskalation des Krieges. Wie seinem amerikanischen Vorbild ist dem Kanzler bewusst, was sein Land dabei zu verlieren hätte. Wie Kennedy gibt Scholz teilweise nach, schickt etwa nach anfänglichem Widerstreben Panzer. Doch auch er weigert sich den letzten Schritt zu gehen. Vorerst ist das noch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Dabei hat ihm Macron eigentlich Hilfe geleistet. Denn dessen Ankündigung, Bodentruppen schicken zu wollen, ist ein Fingerzeig auf die nächste Eskalation, die folgt, falls Scholz bei den Marschflugkörpern nachgibt.

Jenseits der Ampel zeichnet sich in der Kriegsfrage in Deutschland eine neue Koalition ab. Die größere Entschlossenheit, die Ukraine unterstützen zu wollen, verbindet Union, Grüne und FDP. Sie könnte auch der Kitt sein, der eine solche Koalition trotz anderer Unstimmigkeiten zusammenhält. Das setzt Scholz noch mehr unter Druck. Für ihn entscheidend sein dürfte aber eher der Druck, den die Nato-Partner USA, Großbritannien und eben Frankreich auf ihn ausüben.

Doch Scholz hat zwei gute Gründe, zu bremsen. Der erste ist die unklare Situation in den USA. Falls dort im November Donald Trump zum Präsidenten gewählt wird, stünde Scholz als großer Verlierer der Geschichte da. Dann hätte er einen regionalen Krieg zu einem europäischen Krieg eskalieren lassen und müsste ihn ohne die Hilfe der Macht führen, die ihn als einzige gewinnen könnte – wenn auch nur unter unvorstellbar großen Opfern für die umliegenden Länder.

Spitze des Eisberges?
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Der zweite Grund ist: Scholz traut seinem Verbündeten Ukraine nicht. Der verspricht ihm, Taurus-Marschflugkörper nicht im russischen Kernland einzusetzen. Das ist schon anhand allgemeiner Lebenserfahrungen recht wenig plausibel. Das wird aber anhand tatsächlicher Lebenserfahrungen unrealistisch. Um den rosa Elefanten im Raum zu benennen. Es ist recht wahrscheinlich, dass die Ukraine hinter der Sabotage der Pipeline Nord Stream steckt. Sonst würde Deutschland engagierter ermitteln. Doch das Land muss das Ergebnis einer Ermittlung fürchten, nach dem der Verbündete die wirtschaftliche Infrastruktur einer Industrienation angegriffen hat. Dann ließen sich die deutschen Hilfen für den Partner nicht mehr rechtfertigen. Etwa, dass Deutschland 1,2 Millionen Ukrainer beherbergt, von denen nur jeder Fünfte für seinen eigenen Lebenserwerb arbeitet.

Kennedy wurde am 22. November 1963 in Dallas ermordet. Am 2. August 1964 kam es zum Vorfall im Golf von Tonkin. Keine Woche später verkündete Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson die Tonkin-Resolution. Sie bildete die Grundlage, amerikanische Bodentruppen nach Vietnam schicken zu können. Der vietnamesische Bürgerkrieg wuchs zu dem amerikanischen Krieg, der das Land in eine schwere existenzielle Krise führte. Johnson wollte als Sozialreformer in die Geschichte eingehen und bekämpfte eindrucksvoll den strukturellen Rassismus in den amerikanischen Südstaaten. Er gilt heute trotzdem ausschließlich als der Präsident, der den Vietnamkrieg verursacht und verbockt hat.

Scholz ist alles andere als ein empathischer Kämpfer. Einer, der sich der Sache wegen selbst opfert. Dass der Kanzler sich derart gegen die Eskalation des Ukraine-Kriegs stemmt, ist bemerkenswert. Es sollte die nachdenklich stimmen, die allzu leicht der Eskalation eines europäischen Kriegs das Wort führen. Das scheint sich auch bei der Union rumzusprechen. Nachdem ihr Lautsprecher Roderich Kiesewetter (CDU) den Krieg dorthin tragen wollte, wo ihn ein gewisser Napoleon B. und ein Gefreiter aus Österreich zuletzt liegengelassen haben. In der Folge ließ die Fraktion den Talkshow-Star erst spät in den verschiedenen Ukraine-Debatten im Bundestag sprechen.

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