Diese Überraschung sei von Macron gewollt gewesen, urteilte die täglich erscheinende Finanzzeitung Les Échos. Die Benennung des Historikers Pap Ndiaye als Nachfolger von Michel Blanquer und neuer Bildungsminister hat die Franzosen im Moment ihres Bekanntwerdens entzweit. Ndiaye, dessen Vater aus dem Senegal stammt und bald dorthin zurückging, studierte Geschichte und unterrichtete seit 2012 an der Universität Sciences Po. Seine französische Mutter war Lehrerin in einer Pariser Vorstadt.
Marine Le Pen hat die Benennung umgehend als „erschreckende“ Provokation kritisiert, Ndiaye vertrete Bewegungen, die sie als „indigénisme“ und „racialisme“ benannte – also eine rassisierte Theorie der Minderheiten mit außereuropäischen Wurzeln in Frankreich. Man müsse diese Politik der Dekonstruktion Frankreichs bekämpfen. Die Bildung werde ideologisiert. Doch auch Vertreter der konservativen Républicains haben die Wahl Macrons kritisiert. So sprach Éric Ciotti, Abgeordneter für die Alpes-Maritimes, von Ndiaye als einem „Anhänger des islamo-gauchisme“. David Lisnard, der Bürgermeister von Cannes, sprach von Sektierertum.
Der Vorgänger vertrat ganz andere Ansichten
Auch die Zeitung Figaro sieht die Benennung Ndiayes als „vollständigen Bruch“ mit den letzten fünf Jahren, in denen der in diesen Fragen eher konservativ tickende Jean-Michel Blanquer das Bildungsministerium geführt hatte, das für Schulen und Jugend zuständig ist. Blanquer hatte sich manche Schlacht mit den woken Diversitätsjüngern geliefert, die einen Feudalismus der Sonderforschungsbereiche an den französischen Universitäten installiert haben, der sich sekundär auch auf die Schulen des Landes auswirkt. Seit 2021 steht er dem anti-woken Thinktank „Le Laboratoire de la République“ (Laboratorium der Republik) vor. In einem Interview mit Le Monde sagte er: „Die [französische] Republik ist unvereinbar mit dem Wokeismus.“
Mit Ndiaye ist nun ein offener Kritiker der Republik in deren höchste Reihen aufgestiegen. Der neue Minister hat beispielsweise die folgenden Worte geschrieben: „Das berühmte republikanische Modell gerät immer mehr in die Kritik und ist kritikwürdig, insofern es unfähig ist, gegen Diskriminierung vorzugehen.“
Blanquer gab zum Abschied eine kleine Protestnote ab: „Einige wollen die Republik und die individuellen Rechte einander gegenüberstellen, als ob jede Gruppenzugehörigkeit wichtiger wäre als die Republik. Das ist das Gegenteil der republikanischen Botschaft.“ Blanquer rief seinen Nachfolger dazu auf, die Werte der Republik zu bewahren.
Die Benennung der Premierministerin Élisabeth Borne war offenbar nur der Startschuss Macrons, um noch deutlicher als bisher in das linke Lager vorzustoßen. Auch die Hochschulministerin Frédérique Vidal, eine weitere Streiterin gegen Wokeness und „islamo-gauchisme“ an der Universität, wurde durch die farblose Sylvie Retailleau ersetzt. Daneben herrscht viel Kontinuität im Kabinett Borne. Angeblich konnte der Grünen-Kandidat um die Präsidentschaft, Yannick Jadot, nicht gewonnen werden.
Zemmour: „Menschen wie Pap Ndiaye glauben, dass die Rasse im Herzen der französischen Nation liege“
Éric Zemmour hat im Gespräch mit CNews eine politische Bedeutung des Rassismus im heutigen Frankreich bestritten. Derlei Einstellungen möchten existieren, es seien aber individuelle Haltungen. Nur Spott sei im Umlauf – „on se moque“. Ernsthaft glaube heute keiner mehr an die Ungleichheit verschiedener Rassen.
Mit der Benennung von Pap Ndiaye hat Macron aus Zemmours Sicht eine Linie überschritten. Wenn Macron bisher dieselbe Ansicht zur Republik und dem Wokeismus wie Zemmour gehabt habe, die er nur aus Zemmours Sicht schlechter vertrat und verteidigte, dann markiere die Benennung des neuen Bildungsministers eine Wende. Mit diesem hoheitlichen Akt lasse Macron seine Maske fallen: „Menschen wie Pap Ndiaye glauben, dass die Rasse im Herzen der französischen Nation liege.“
Macron, so Zemmour, laufe Mélenchon und seinem Ideal einer „Kreolisierung“ der französischen Nation hinterher. Für Zemmour gibt es keine Rassen im politischen Diskurs Frankreichs. Man besitze eine Zivilisation, die nicht auf die Beherrschung der einen Rasse durch eine andere aufgebaut sei, sondern auf bestimmte Werte, die in Frankreich natürlich die der Republik sind.
Ndiaye wolle Frankreich „dekonstruieren“, wenn auch vielleicht zunächst mit anderem Schwerpunkt. Es handle sich um einen „gentil woke“, einen netten Woken, der keine Gewalt anwende, dessen Botschaft sich aber nicht von der seiner radikalen Parteigänger unterscheide. Ndiaye ist für einen besonders sanften Tonfall bekannt – im Gegensatz zum kantigen Stil seines Vorgängers Blanquer.
Ndiaye hat nun immerhin schon bei Amtsantritt eine Hommage an Samuel Paty, seinen ehemaligen Kollegen, der durch ein islamistisches Attentat ums Leben kam, gerichtet. Zuvor hatte der Neuling von Polizeigewalt in Frankreich gesprochen, die zu wenig beachtet werde. Sich selbst bezeichnete er nicht als woke, sondern als „cool“, worin sich das Bemühen zeigt, die radikalen Vorstellungen zum Gesellschaftsumbau als mehrheitsfähig zu proklamieren.
Der Begriff „islamogauchisme“, so Ndiaye an anderer Stelle, benenne keine Realität innerhalb der Universität. Es gehe lediglich darum, bestimmte Forschungsrichtungen an den Universitäten zu „stigmatisieren“. Und in der Tat, darum könnte es gehen: Bestimmte Sonderforschungsbereiche – man kennt das auch von deutschen Hochschulen – scheinen keinem anderen Zweck zu dienen als dem Einstreichen von Mitteln.
Eine bei CNews präsentierte Umfrage setzt Zemmour in seinem Wahlkreis Var auf den zweiten Platz hinter dem Kandidaten der Macron-Partei „Renaissance“. Er würde also zumindest in die Stichwahl einziehen. Die Umfrage für die zweite Runde ergab 47 Prozent für den Kandidaten Zemmour, mit einer sehr kleinen, fast nur statistischen Differenz zum mit 52 Prozent führenden Kandidaten der Macron-Renaissance.