Dominic Cummings ist Politikberater. Nicht irgendeiner. Cummings gilt als Architekt der erfolgreichen Brexit-Kampagne. Seit Boris Johnsons Amtsübernahme wirkte er als Sonderberater des britischen Premierministers. Nun hat Cummings seinen Rückzug angekündigt. Am Freitagabend verließ er mit einer Kiste seiner Habseligkeiten den Regierungssitz.
Zwei Tage vor Cummings war dessen Intimus Lee Cain als Kommunikationschef abgetreten. Beide hatten innerhalb des Kabinetts wenig Rückhalt und agierten zuletzt eher unglücklich. Damit verliert Johnson zwei seiner engsten Vertrauten – und Großbritannien erlebt inmitten der größten Herausforderungen seiner Nachkriegsgeschichte eine veritable Regierungskrise. Die Einbeziehung des parteifremden Cummings in den engsten Zirkel war immer wieder auf Kritik aus den eigenen Reihen gestoßen, nicht etwa wegen dessen Zeit in Russland, wo sich der fließend Russisch sprechende Oxford-Absolvent Mitte der 1990er Jahre als Geschäftsmann versucht hatte, sondern weil der ausschließlich in Projekten denkende 48-Jährige aus seiner Verachtung für den Politikbetrieb nie einen Hehl machte.
2019 wurde er von der Einsicht in bestimmte Regierungsangelegenheiten ausgeschlossen, was Boris Johnson allerdings nicht davon abhielt, an seinem „Mastermind“ festzuhalten. Er verteidigte Cummings auch gegen massive Rücktrittsforderungen, nachdem dieser bei mehreren Verstößen gegen die strikten britischen Corona-Beschränkungen erwischt worden war. Das Wort des umtriebigen Johnson-Beraters hatte lange Gewicht, zuweilen gar so viel, dass er Spöttern als heimlicher Regierungschef galt. Nun hat Johnsons engster Vertrauter hingeschmissen. Der Abgang ist der vorläufige Schlusspunkt eines Machtkampfes, der seit Wochen schwelte und lange kaschiert werden konnte.
Aber nicht nur in Sachen Brexit wird London nun neue Töne anschlagen. Auch der Corona-Kurs der Regierung wird sich ändern. Sah es gerade noch so aus, als würden jene die Oberhand gewinnen, die in der britischen Regierung für eine baldige Lockerung der rigiden Maßnahmen eintreten, gibt es nun keine Zweifel mehr am Festhalten am landesweiten Lockdown. Dieser war für viele Briten überraschend gekommen, hatte doch Johnsons Regierung die Bürger kurz zuvor noch aufgefordert, in die Normalität des Arbeitsalltags zurückzukehren. Johnsons Schwäche ist die Chance für einen alten Bekannten, der es schon einmal vermocht hatte, eine britische Regierung vor sich her zu treiben: Nigel Farage ist zurück.
Dessen ehemalige Brexit-Partei, die inzwischen unter „Reform UK“ firmiert, nutzt die Gunst der Stunde, um Millionen Briten für sich zu gewinnen, die ein baldiges Ende der Corona-Beschränkungen fordern. Pikanterweise sind unter ihnen auch jene „Progressiven“, die 2016 gegen den von Farage proklamierten Brexit gestimmt hatten. Sie pochen auf ihre Grundrechte und möchten nicht dabei zusehen, wie sich ein Land wirtschaftlich ruiniert, weil seiner Regierung nichts einfällt, um die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen und gleichzeitig den Dienstleistungssektor am Leben zu halten. Farage hat bewiesen, dass er aus dem Stand eine große Zahl von Menschen mobilisieren kann.
Je länger die Einschränkungen dauern, umso größer seine Chancen. Daran wird auch die geplante Kabinettsumbildung zum Jahreswechsel nichts ändern. Der Abgang von Dominic Cummings könnte für Boris Johnson noch lange nachhallen und seinem Finanzminister Rishi Sunak zum jüngsten Premierminister seit 1812 machen. Und Nigel Farage könnte einmal mehr zum Königsmacher avancieren. Ein aufregendes Jahr liegt vor den Briten.
Ramin Peymani