Tichys Einblick
Salvini drängt Draghi

Lockerungen in Italien: Geschäfte und Restaurants öffnen sachte

Ministerpräsident Draghi kündigte am Freitag vor der Presse in Rom an, dass Italien die strengen Corona-Beschränkungen ab 26. April schrittweise lockern wird.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Remo Casilli

Es dampft momentan ganz schön unter dem Deckel. Der ehemalige EZB-Präsident und italienische Premier Draghi merkt momentan, dass alle Zahlen und Statistiken nichts taugen, wenn die Unzufriedenheit im Volke zunimmt, und der Unmut der Menschen im Lande immer vehementer auf die Straßen getragen wird und „Draghi und Speranza, fort mit ihnen“ skandieren oder Wiedereröffnungen sofort, subito, dann lässt das offenbar auch einen frisch im Amt Premier Draghi nicht kalt.

Schon gar nicht als installierter ‚Mediator‘ eines Vielparteienkabinetts, das von links bis rechts zu vereinen sucht. Und rechts flankiert die Lega von Salvini den neuen Premier. Draghi wie auch Salvini bekundeten schon mehrmals ihre gegenseitige Wertschätzung und alles im Sinne Italiens zu tun – besonders in diesen Krisenzeiten. Italien müsse schon bald wieder durchstarten, gesellschaftlich und ökonomisch.

Premierminister Draghi legte nun am Freitag einen groben Zeitplan für die Wiedereröffnung fest. Das, nachdem er von den Parteien in seiner gebildeten Regierung der nationalen Einheit, insbesondere von Salvinis Lega, unter Druck gesetzt wurde. So verkündete die Regierung nun, dass Italien die Coronavirus-Beschränkungen in vielen Bereichen ab dem 26. April lockern wird. Gleichzeitig warnte sie, dass immer noch Vorsicht geboten sei, um Rückschläge bei der Wiedereröffnung zu vermeiden. Die aktuellen Beschränkungen sollen Anfang Mai auslaufen.

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Die Bürger, darunter sehr viele Selbstständige und Arbeitgeber aus der Gastronomie, der Hotellerie und dem Tourismus, sind vollends erschöpft oder wirtschaftlich am Ende, auch, weil Hilfsgelder seit Monaten nicht ankommen, und wenn doch, sich dann wie der Tropfen auf dem heißen Stein ausmachen. All das trägt den Frust auf die Straßen, lautstark, zunehmend gereizt, auch aggressiv und emotional. Die Rufe hallen bis in den Regierungspalast hinein.

Premierminister Mario Draghi legte einen groben Zeitplan für die Wiedereröffnung fest, nachdem er von den Parteien in seiner Regierung der nationalen Einheit, insbesondere der rechtsgerichteten Liga, unter Druck gesetzt wurde.

Derzeit sind drei italienische Regionen in rote, 17 weitere in orange Zonen kategorisiert, verbunden mit starken Einschränkungen für Geschäfte, Gastronomie und die Bewegungsfreiheit. Da die Zahl der neuen Infektionsfälle peu a peu zurückgeht, hoffen viele Regionen nun in den gelben Bereich zur wechseln, wenn die Farbzone wieder eingeführt wird.

„Die Regierung geht ein vernünftiges Risiko ein, basierend auf Daten, die sich verbessern, wenn auch nicht dramatisch“, sagte Draghi auf einer Pressekonferenz. Draghi sagte, es sei entscheidend, dass die Menschen die Regeln der sozialen Distanzierung strikt einhielten und Gesichtsmasken trügen, um mit den Wiedereröffnungen voranzukommen: „Dies basiert auf der Prämisse, dass Menschen und Institutionen die Regeln einhalten, damit dieses angemessene Risiko erfolgreich ist“.

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Ab dem 26. April werden die milderen gelben und weißen Zonen wieder eingeführt, in denen die Infektionsraten niedrig ausfallen, in diesen Regionen/Gebieten können Restaurants und Bars Kunden an Tischen im Außenbereich bedienen. Kinos und Theater werden mit einer Besucherzahlbegrenzung wieder geöffnet. Nach diesem Plan sollen dann auch Freibädern die Öffnung ab dem 15. Mai wieder erlaubt werden, Fitnessstudios würden am 1. Juni folgen.

Der unter Druck geratene Gesundheitsminister Speranza bremste mit seinem Team die Euphorie wiederum etwas ein: man müsse  sich wie mit Bleistiefeln langsam und bedächtig vortasten, um die bisher unternommenen Anstrengungen nicht nichtig zu machen.

Wie die italienische Tageszeitung Il Fatto Quotidiano berichtet, mache Draghi und sein Kabinett nun Nägel mit Köpfen und große Zugeständnisse, die sich der Premier nicht nehmen ließ, selbst zu verkünden: „Wir haben alles wohl überlegt, es sind gut überlegte Öffnungen, die Situation halten wir jedoch immer im Blick.“ (Und damit das Gegenteil dessen, was die Regierung Merkel den eigenen Bürgern in  Deutschland ganz offenbar nicht zutraut.)

An die ‚Rigoristi‘ gewandt, Bedenkenträger und Verfechtern rigoroser Schritte, die im linken Lager anzutreffen sind, sagte Mario Draghi, „man sei ein kalkuliertes Risiko eingegangen“. Ein Risiko, das auf Daten basiere, die sich verbesserten. Es werde sich nicht alles schnell verändern, doch man wolle ab dem 26. April zumindest wieder ein gesellschaftliches Leben dort ermöglichen, wo es die Daten hergeben. Je nachdem ob in gelben, den orangefarbenen Regionen – oder auch noch in den roten. Dementsprechend verhielten sich die Gesetzgebungen und Maßnahmen.

Auch Spediteuren und Messebetreibern machte das Kabinett Draghi Hoffnungen, bereits im Juni/Juli wieder mit Messeveranstaltungen zu planen.

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Viele Gastronomen und Barbesitzer werden diese Ankündigungen natürlich im Auge behalten, ihnen wäre wirklich schon sehr damit geholfen, wenn die Sperrstunden bis 24 Uhr ausgeweitet werden dürften, was von Region zu Region schon so aussehen dürfte. Die Lega, die Ökonomie und die Tourismusbranche im Parlament verantwortet, hat stringent den Druck auf Draghi erhöht. Salvinis Lega führt in 16 Regionen, kann es sich bei den aktuellen Umfragewerten des gesamten Mitterechtsbündnisses mit fast 48 % erlauben. Matteo Salvini möchte den italienischen Motor schnell wieder anwerfen. Salvini im Radio sowie in einer Talkshow zu den Öffnungsplänen: „Da spricht absolut nichts dagegen. Wo die Zahlen sinken, wird sachte wieder geöffnet“, dort wo Infiziertenzahlen ansteigen, müsse man weiterhin aufpassen.

Unterdessen forcieren Salvini und andere Verbündete weiter die Ablösung des Gesundheitsministers Speranza, der dem Land falsche Zahlen, kaum Hoffnung, dazu ein wahres Kuddelmuddel in der Impfstoff-Koordinierung zu Beginn präsentierte. Draghi setzt auf eine stringentere Impffolge, deshalb auch sein vorsichtig verbreiteter Optimismus, alles werde bis Herbst besser aussehen.

Die gesamte Linke um die PD wiederum verteidigt Speranza, eigentlich nur mit einem fadenscheinigen Argument, wie Reporter Iannaccone bei Il Giornale analysiert: „Speranza wird nicht geopfert, Finger weg. Das würde die Regierung sprengen … “ und quasi nur Salvini stärken. Die innenpolitischen Grabenkämpfe im Kabinett bleiben.

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