Eine Marktlücke schlossen sie gewiss. Knapp ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen des letzten Jahres wurde »The Lincoln Project« vor allem von abtrünnigen Republikanern gegründet, die eine zweite Amtszeit Trumps verhindern wollten. Einige der Mitspieler hatten zuvor in der Präsidentschaftskampagne von John McCain, andere für Rudy Giuliani gearbeitet. Der beteiligte George Conway ist der Mann von Kellyanne Conway, liegt aber mit der engen Trump-Beraterin schon seit Jahren politisch über Kreuz. Mike Madrid ist ein konservativer Experte für Wählertrends unter Latinos.
Es war die klassische Republicans-for-Biden-Gruppe. Never-Trumper, die sich den vorausgesagten Erdrutschsieg der Demokraten erhofften und sich über dieses Vehikel vielleicht sogar langfristig als einflussreiche Kampagnengruppe installieren wollten. Für ihre Anti-Trump-Kampagne konnten sie große Summen einsammeln. Allein zwischen Juli und September 2020 waren es 39 Millionen Dollar, insgesamt über 90 Millionen Dolllar. Und Podcasts, Bücher, Filme und eine an House of Cards erinnernde Serie waren angeblich schon in Planung. Das Geld kam meist von demokratischen Spendern, auch von den sogenannten »Dark-Money«-Gruppen, deren Finanziers nicht offengelegt werden. Spielbergs DreamWorks-Partner David Geffen spendete Beträge in sechsstelliger Höhe. Aber auch Kleinspenden erreichten das »Project« in großer Zahl.
Wirkungslose Twitter-Hits?
Die Studie einer demokratischen Super-PAC brachte freilich heraus, dass die Twitter-Hits des Lincoln Project wenig bis gar keinen Einfluss auf das Wahlergebnis hatten. Je besser ein Video auf Twitter aufgenommen wurden, je mehr es »viral« wurde, desto weniger überzeugte es in den Battleground-States. Angeblich produzierte man für die umkämpften Staaten spezielle Spots. Aber ein Großteil waren eben doch die Twitter-Hits, mit denen wohl vor allem die demokratischen Spender angeworben wurden.
Das Ergebnis der Wahl enttäuschte die konservativen Trump-Gegner ebenso wie das Biden-Lager im engeren Sinne. Es war nämlich keineswegs der Erdrutschsieg, der den Sommer über und bis in den Herbst vorausgesagt worden war. Auch das Verhalten der Republikaner nach der Wahl enttäuschte, denn eine grundsätzliche Abkehr von Trump vollzog die Partei, von Ausnahmen abgesehen, nicht. Die Nachwahlen von Georgia machten noch einmal deutlich, dass Trump gerade bei den in Zukunft wichtigen ethnischen Minderheiten besser zog als ›normale‹ GOP-Kandidaten. Ironie: Der Mann, der in den Medien gerne als Rassist herumgereicht wurde, gewann einen größeren Anteil bei den ethnischen Minderheiten als klassische Republikaner.
Doch für das Lincoln Project begannen zugleich noch ganz andere Stürme, wie unter anderen die Journalistin Amanda Becker herausfand. Becker hat die Gruppe schon über das Jahr 2020 aufmerksam beobachtet und beschreibt ein frauenfeindliches, sexistisches und homophobes Arbeitsumfeld. Das zeigte sich nicht nur im persönlichen Umgang, sondern auch in den Botschaften, die nach außen gesendet wurden. Im Bemühen, den klischeehaft vorgestellten Trump-Wähler zu fassen und auf die Biden-Seite zu ziehen, gab man sich holzschnittartig männlich, beschimpfte politische Gegner als »pussies« und »faggots«. Auch die Wahlwerbespots versuchten krampfhaft, Joe Biden mit »männlichen« Eigenschaften als Alternative zu Trump zu präsentieren (zum Beispiel in diesem Spot). Becker kritisierte das, zumal es bei der Wahl 2020 ihrer Ansicht nach besonders um weibliche Wechselwähler ging. Die Trump-Kampagne wusste das.
Chaos, Intrigen und lukrative Abfindungen
Inzwischen sind Vorwürfe lauter geworden, dass Weaver seine Position benutzt habe, um sexuelle Beziehungen zu jungen Männern zu knüpfen, darunter angeblich auch zwei Mitarbeiter des »Lincoln Project« und ein 14-Jähriger. In privaten Nachrichten soll der verheiratete Weaver den Männern berufliches Fortkommen im Tausch für Sex angeboten haben. Zweimal scheint es, konsensual, zu mehr gekommen zu sein. Weaver machte auch nicht Halt vor jungen Trump-Unterstützern – wie Ryan Girdusky, der die Geschichte im Januar groß bei The American Conservative herausbrachte.
Doch schon im Dezember setzten sich die Auflösungstendenzen fort. Der Politikberater Ron Steslow und Latino-Experte Mike Madrid verließen das Project mit lukrativen Abfindungen, nachdem sie Schweigegelübde unterschrieben hatten. So kassierte Madrid 1,4 Mio. Dollar über seine Firma, Steslow immerhin noch 900.000 Dollar. Als Jennifer Horn die Causa Weaver intern ansprach, wurde sie laut eigener Aussage »angeschrien, herabgewürdigt und belogen«. Die Gruppe wusste seit Juni 2020 bescheid über Weavers Vorgehensweise, wie AP in einer Chronik feststellte.
Als die Lincoln-Leute Anfang Februar erfuhren, dass der Artikel von Amanda Becker entstand, versuchte man über Twitter dagegen zu schießen, wie Glenn Greenwald berichtet. Die Geschichte sei ein »smear job«, pure Verleumdung, hieß es auf dem offiziellen Konto des »Lincoln Project«, darunter setzte ein unbekannter Kontomanager private Nachrichten zwischen Amanda Becker und Jennifer Horn, die den Club damals schon verlassen hatte. Es war ein eindeutiger Einschüchterungsversuch. Doch einzelne brüsteten sich noch ihrer quasi nachrichtendienstlichen Erkenntnisse: »Abe hears things.«
Der Computer Fraud and Abuse Act (CFAA) macht solche Datenleaks zum Bundesvergehen, wie der Jurist Conway bemerkte. Das wäre also die kriminelle Krönung einer ziemlich schmierigen Geschichte. Conway will übrigens selbst keine größeren Summen vom »Lincoln Project« erhalten habe. Auch von dem sich abzeichnenden Weaver-Skandal will er im letzten Sommer nichts erfahren haben.
Will man ein Fazit ziehen, könnte es lauten, dass die konservativen Politikspezialisten den schlechten Ruf von Washington D.C. leider eindrucksvoll bestätigt: Der Sumpf hat quasi zu uns gesprochen. Wie sagte es doch der Fernsehmaler Bob Ross einmal, lange bevor Trump sich um die Präsidentschaft bewarb: »Dieser Baum ist etwas krumm geraten. Den schicken wir nach Washington.«