Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni in trauter Zweisamkeit. Schöne Fotos zwischen der Kommissionspräsidentin und einer Regierungschefin, die lange als Gegenbild gehandelt wurde. Im Internet wundert man sich über die Verschwisterung, sieht dahinter entweder einen Verrat der konservativen Hoffnungsträgerin oder eine Anbiederung von der Leyens an rechtsextreme Kräfte. Doch was steckt wirklich hinter diesen Fotos?
Anlass war das EU-Treffen mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied. Neben von der Leyen und Meloni war auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte dabei. Von der Leyen stellte insgesamt rund 1,1 Milliarden für den tunesischen Staatshaushalt in Aussicht, 150 Millionen davon „sofort“. Zwar kündigte Saied an, sein Land werde nicht die „Grenzpolizei“ für Europa spielen. Doch das ist de facto die Rolle, die Meloni Tunesien zugedacht hat.
Der Gipfel kann daher als diplomatischer Sieg Roms verbucht werden. Schließlich ist es das erklärte Ziel der Regierung Meloni, die muslimischen Mittelmeerstaaten zu stabilisieren und im Zweifel auch zu finanzieren, um die Überfahrten schon zu verhindern, bevor sie stattfinden. Dass dies nun nicht allein aus dem italienischen, sondern aus dem EU-Haushalt bestritten wird, zeigt deutlich, dass Italien anders als bei der M5S-Lega-Regierung Brüssel als Instrument für diese Politik gewinnen kann, statt die EU nur als Zielscheibe zu sehen – solange man den italienischen Forderungen nachkommt, freilich.
Über diese Zusammenarbeit sind die anderen Unterschiede nicht vergessen. Darüber sollte man sich im Klaren sein, auch, wenn es so scheint, als biedere sich Italien der EU an. In Wirklichkeit ist es andersherum: vielmehr ist es die EU-Kommission, die derzeit auf Italien zugeht. Die Kommissionspräsidentin hat auch allen Grund dazu. Melonis Regierung ist die einzige eines großen EU-Landes, die relativ fest im Sattel sitzt: in Frankreich muss sich Emmanuel Macron mit einem unregierbaren Parlament herumschlagen, in Deutschland regiert eine Dreierkoalition mit Biegen und Brechen.
Während hierzulande stets die Sorge vor einem Zusammengehen mit vermeintlichen „Postfaschisten“ bemüht wird, haben auf der EU-Ebene längst das Machtgeschachere begonnen. In deren Mittelpunkt steht die Europäische Volkspartei (EVP), der die deutschen Unionsparteien angehören. Schon vor einigen Monaten hat EVP-Chef Manfred Weber nicht nur versucht, in der Migrationsfrage an die konservativeren Positionen der anderen Rechtsparteien anzuknüpfen, sondern denkt offenbar tatsächlich an eine mögliche Koalition mit den Europäischen Konservativen Reformern (EKR), der neben Melonis Fratelli d’Italia auch die spanische Vox, die Finnenpartei und die Schwedendemokraten angehören.
Alle diese Parteien dürften bei der nächsten Wahl zum EU-Parlament deutliche Zugewinne einfahren, während die EVP eher Einbußen hinnehmen dürfte. Damit besteht für die EVP die Gefahr, dass sie ihre Macht zugunsten der Sozialisten verliert. Sie muss wenigstens nach Optionen suchen, um nicht wie die deutsche CDU in die Falle zu tappen, dass nur noch Koalitionen mit linken Parteien möglich sind. Anders als die AfD auf nationaler Ebene besitzt die EKR auf EU-Ebene keinen solchen Paria-Status.
Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass Melonis Partei vier Jahre Teil einer Mitte-Rechts-Union namens Popolo della Libertà war. Diese Fusion aus der Allenaza Nazionale – der Vorgängerpartei der Fratelli d’italia – und Silvio Berlusocnis Forza Italia war Teil der EVP-Familie. Meloni war also auf EU-Ebene Teil der EVP, als sie Sport- und Jugendministerin in Berlusconis letztem Kabinett war. Es ist daher nicht so einfach, sie als „Postfaschistin“ zu deklarieren, wie man allzu oft hofft.
Insofern ist von der Leyen die tatsächliche Bittstellerin. Denn die EKR könnte nach der nächsten Wahl versuchen, auch die übrigen Rechtsparteien der ID in ihren Orbit aufzunehmen und damit die eigentliche Oppositionskraft der neuen Legislatur im EU-Parlament zu bilden. Die stärkste Partei dieser Opposition wären die Fratelli d’Italia. Von der Leyen hat daher allen Grund, Bussi-Fotos mit Meloni aufzunehmen. Nicht zuletzt, weil ihr interner Rivale Weber bei der letzten Wahl übergangen wurde, obwohl eigentlich dieser als Kommissionspräsident der EU gehandelt worden war. Und von der Leyen mittlerweile in der Partei wie in der EU als isoliert gilt.