Tichys Einblick
Migrationskrise in Griechenland

Lesbos würde sich gern neu ordnen, darf aber noch nicht

Die Insel Lesbos kommt nicht zur Ruhe. Der Gouverneur fordert die Schließung des neuen Lagers in Kara Tepe. Athen will die Migranten nach und nach aufs Festland bringen. Der Migrationsaktivismus der NGOs ist zielstrebig.

Migrantenlager Kara Tepe auf Lesbos

imago images / ANE Edition

Durch starke Regenfälle in der letzten Woche wurden 80 der 1.100 Zelte im provisorischen Migrantenlager Kara Tepe auf der Insel Lesbos überschwemmt. Die Bewohner der gefluteten Zelte wurden »bis auf weiteres« im sonst gemeinsam genutzten Bereich der Zeltsiedlung untergebracht, sagte Asyl- und Migrationsminister Notis Mitarakis. In Kürze sollen noch einmal 1.300 Migranten aufs Festland oder – wie die Lesvos Post offenherzig aus Ministeriumskreisen berichtet – »ins Ausland« transferiert werden. 2.500 Migranten haben die Insel und ihre provisorische Unterkunft schon verlassen.

Angeblich arbeitet man zudem daran, das Lager winterfest zu machen. Athen richtet sich so vielleicht auch darauf ein, dass die Errichtung eines neuen Zentrums auf Lesbos nicht so bald gelingen wird. Denn die Insulaner sind laut einer Umfrage mit Zweidrittelmehrheit dagegen. Zugleich sieht sich die Regierung durch die verschiedenen Geschehnisse in dem Glauben bestärkt, dass es eine neue »geschlossene« oder (wie man nun sagt) »kontrollierte« Einrichtung geben müsse. Die hätte laut Asylminister Mitarakis mehrere Vorteile: bessere Lebensbedingungen, moderne Sanitäreinrichtungen und mehr Sicherheit.

Den Insulanern geht es vor allem um den letzten Punkt. Der Gouverneur der Inselgruppe, Kostas Moutzouris, fordert die Verhängung einer Quarantäne über das Lager Kara Tepe. Dass Migranten im Lager ein- und ausgehen und sich auch in Mytilini-Stadt frei bewegen können, hält Moutzouris aus gesundheitspolitischer Sicht für hochgefährlich. Möglicherweise denkt er dabei auch an weitere Gefahren außer der Verbreitung des Virus.

Und er fordert auch nur das, was bei allen anderen Lagern in Griechenland sonst das Standardverfahren ist. So wurde gerade erst ein Migrantenlager auf der Nachbarinsel Chios geschlossen. Auch dort, wie auf Lesbos, gibt es verstreute »Corona-Fälle«, also positiv getestete Migranten. In Kara Tepe sind es inzwischen allerdings einige Dutzende. Auch von Chios will man nun mit erhöhtem Tempo Migranten aufs Festland transferieren. Vorrang haben dabei schwangere Frauen, die den fünften Monat überschritten haben. Geburten sollen aus unbekanntem Grund nicht im Inselkrankenhaus stattfinden. Die Corona-Lage macht dem Asylministerium in dieser Frage anscheinend Beine. Laut Minister gibt es in Griechenland inzwischen 82.000 anerkannte »Flüchtlinge«, von denen »ein großer Teil« im Lande bleiben werde. Das scheint aber angesichts des im Vergleich mit Deutschland zurückhaltenden griechischen Wohlfahrtsstaates eher zweifelhaft.

Kapellen werden mit der Hilfe Ungarns wiederaufgebaut

Das Gebiet des alten Lagers Moria soll nun einer gründlichen Reinigung unterzogen werden. Die Einheimischen wundern sich indes über das geringe Interesse lokaler und internationaler Ökologen an den unreinlichen Hinterlassenschaften der Lagerbewohner. Eine Lokaljournalistin spricht von noch immer bestehenden Gefahren, auch einen Monat nach dem Brand des Lagers. Seit Jahren kämpften die Einwohner der Dörfer Moria und Panajouda an den »Thermopylen der Orthodoxie und des Hellenismus«, den Kampf können sie noch immer nicht ganz aufgeben. Der Bürgermeister von Mytilini hat sich zusammen mit den Vorständen der anliegenden Dörfer selbst ein Bild gemacht. Das Lagergelände und die Umgebung müssen demnach eingehend gereinigt werden. Zugleich sollen auch die Schäden an den umliegenden Grundstücken und Feldern, so gut es geht, beseitigt werden. Auch Entschädigungen – wegen der Brände vom letzten Monat – werden nun fällig. Dank der Unterstützung durch die ungarischen Regierung können nun aber immerhin die zerstörten Kapellen im Umkreis des Lagers wiederhergerichtet werden.

Für Aufsehen hat nun ein Interview der Athener Zeitung Dimokratia mit Rebecca Sommer gesorgt, in dem sie von ihren Monate währenden Recherchen auf Lesbos erzählt. 

Sommer, die mehr als zehn Jahre mit dem Hohen Kommissar für Menschenrechte (UNHCHR) und dem Ständigen Forum für indigene Angelegenheiten (UNPFII) bei den UN zusammengearbeitet hat, bezeichnet sich heute selbst als Interessenvertreterin für die Rechte indigener Menschen, zu deutsch also: die Rechte von Einheimischen. Sie berichtet von verschiedenen Waffen in Moria, darunter zwei Gewehre, die von der griechischen oder der türkischen Armee stammen, und ein Gewehr aus Pakistan oder Afghanistan, von der Art, wie sie angeblich auch die Taliban verwenden, außerdem zahlreiche »Macheten«. Viele Lagerinsassen haben laut Sommer Verbindungen zu militärischen oder paramilitärischen Organisationen des Nahen Ostens, viele von ihnen hätten dort auch selbst gekämpft. Diese Kämpfer seien sich der Tatsache bewusst, dass ihre Asylanträge vermutlich abgelehnt werden. Doch sie wollten auf jeden Fall in Griechenland bleiben, um ihre »Reise« nach Deutschland oder auch Schweden fortzusetzen. Bei Abschiebung in ihre Heimatländer würden sie es auch ein zweites und drittes Mal versuchen.

Rebecca Sommer berichtet: NGO-Barone und die »Filetstücke« der Migration

Die angeblich humanitär tätigen NGOs hätten keineswegs für menschlichere oder hygienische Bedingungen im Lager Moria gesorgt, so Sommers Kritik. NGOs, deren Mitglieder das Lager gemäß ihrer Zulassung nicht betreten durften, die nicht einmal in Griechenland vor Ort waren, erhielten laut Sommer Geld für die Ausbildung kleiner Kinder in Moria. Die gesammelten Spenden gaben sie aber nur zum Teil an andere Organisationen weiter. Der Umgang der NGOs mit Geld sei durch und durch undurchsichtig, sagt Sommer.

Einige „Barone“ unter den Aktivisten unterhalten angeblich eigene „Heere“, nach dem Motto: „Ich habe 200 Araber unter mir, ich 200 Afghanen.“ Bei diesen „Baronen“ handele es sich aber häufig gar nicht um offizielle Mitglieder der NGOs, sondern Einzelpersonen mit großem Einfluss, die jeden Widerstand gegen ihr Tun zu verhindern wissen. Eben das sei auch der Grund für Sommers eilige Abreise von der Insel gewesen. Sommer hat den Behörden nach eigener Aussage – auch schon im Interview mit TE – Hinweise gegeben. Deshalb habe sie auf der Insel Angst um ihr Leben gehabt und sich darum gesorgt, dass man ihr die Materialien, die sie für ihre Reportage gesammelt hatte, entwenden könnte. 

Die »non-profit civil society organisation« METAdrasi soll direkt mit der Hohen Flüchtlingsbehörde der UN zusammenhängen und kümmert sich um die lukrativsten Migranten: unbegleitete Jugendliche und allein reisende Frauen, die in den Zielländern besonders hohe Zuwendungen bekommen. Mit ihnen lässt sich deutlich mehr Geld verdienen als mit anderen. Sommer erzählt von wohlgenährten Afrikanerinnen, die schick gestylt auf den Straßen von Mytilini flanierten. Auch in Bezug auf diese hochprofessionellen Kreise spricht Rebecca Sommer wieder von den „Sicherheitskräften“, die ihnen bei kritischer Berichterstattung zu Gebote stünden. Als sie die Unterkunft der Afrikanerinnen photographieren wollte, durfte sie das nicht: „Wenn man nur ein Photo von etwas machen will, das sie nicht wollen, fallen sofort vier, fünf Leute über dich her. Das ist meine Erfahrung. Sie wollen verhindern, dass irgendeine Information nach außen dringt. Diese Leute funktionieren wie eine ‚Polizei‘, die die Interessen ihrer Herren beschützt. Ihr Ziel ist es, dass es keine Informationen darüber gibt, was wirklich passiert.“

Andere NGOs interessierten sich nicht so sehr für das Geld, seien dafür aber sehr ideologisiert und verkörperten die „Interessen von Organisationen wie der EU oder von Staaten wie Deutschland“. Dann erzählt Sommer noch vom Einfluss der NGOs auf transnationale Organisationen wie die EU oder die UNO. Tatsächlich bekommt man aber eher den Eindruck, dass die Steuerung der NGOs bei den Transnationalen liegt. Sie sind Dach- oder Mutterorganisationen und die NGOs die Töchter, zumindest ist das Sommers Sicht der Dinge. So ist der eingetragene Verein Sea-Watch für Sommer schlicht ein Ableger der deutschen Regierung. Letztlich wolle man die Migration zum „Menschenrecht“ machen und so auch die Unterscheidung von Asyl und Flucht untergraben. Dahinter stecke ein planvolles, von Thinktanks gesteuertes Vorgehen.

Wer ist Rebecca Sommer?

Sind diese Warnungen vor mafiösen Strukturen gerechtfertigt? Die Website Sto nisi, die ganz im Gegensatz zu Dimokratia offensichtlich eher linksgerichtet ist, bestreitet die Anschuldigungen und empört sich über ein „Klima der Spaltung, der Verleumdung und der Terrorisierung“, das Sommer verbreite. Man könnte dabei an getroffene Hunde denken, die bellen. Denn an anderer Stelle hat Sommer auf die Verwicklung eines Teils der Insel in die »Asylindustrie« hingewiesen (Podcast-Interview mit Loukas Dourtourekas, englisch und griechisch): Viele verdienen inzwischen schlicht ihr Geld mit den Lagern und der Unterstützung, die an die Migranten fließt.

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