Tichys Einblick
Feindliche Cousinen

Le Pen: Meloni will zweite Amtszeit von der Leyens unterstützen

In Rom lud Matteo Salvini seine ID-Freunde zum EU-Wahlkampf ein. Mit dabei: Marine Le Pen und der portugiesische Shooting-Star André Ventura. Beide kritisierten Giorgia Meloni, weil die für eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen stimmen wolle. Droht nun die nächste Spaltung der EU-Rechten nach der Mini-Distanzierung Le Pens von der AfD?

IMAGO

Ursula von der Leyen hat es angedeutet. Sie will auch Stimmen von rechts, nämlich von den Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR), um nach den Wahlen im Juni erneut zur Kommissionspräsidentin zu werden. Von der Leyen sprach sogar von Übertritten von den EKR zur EVP, in der neben ihrer CDU viele klassische Mitte-rechts-Parteien sitzen. Dass es sich bei den Übertretern um Giorgia Melonis Fratelli d’Italia (FdI) handelt, ist keineswegs bestätigt, nicht einmal besonders wahrscheinlich. Denn warum sollte Meloni sich plötzlich in der EVP-Hackordnung hinten anstellen, wo sie bei den EKR nach den Wahlen eine noch stärkere Stellung einnehmen kann, nachdem die polnische PiS als geschwächt gilt? Übertreten dürften Meloni und ihre Partei also wohl nicht. Aber könnte es vielleicht zu ein paar freundlichen Stimmen reichen?

Noch vor den italienischen Wahlen von 2022 hatte die Kommissionschefin im Grunde alle Italiener auf wenig subtile Weise gewarnt: „Wenn sich die Dinge in eine schwierige Richtung entwickeln, haben wir Instrumente, wie im Fall von Polen und Ungarn.“ In diesen Kasten musste von der Leyen anscheinend nicht greifen. Meloni hat sich – trotz Streit mit Macron und der Ampel – bisher im Mainstream der EU-Politik oder in dessen rechtem Saum bewegt. Insgesamt steht ja die EU heute sicher rechts von der Berliner Koalition, wohl auch von Macron. Insofern war schon das eine kleine Revolution, und der zähe Kampf der römischen Regierung gegen die NGO-Schiffe könnte bald Früchte tragen.

Das maßvolle Auftreten erlaubt es auf der anderen Seite der Kommissionspräsidentin von der Leyen, die Beziehungen zu Meloni zu erhalten und sogar auszubauen, etwa mit Besuchen in Überflutungsgebieten oder – auf dem Höhepunkt der letzten Krise – auf dem Hotspot Lampedusa. Die Umarmung der beiden Frauen wirkte dabei manchmal wie ein doppelter Kampfgriff, das Duell zweier Bärinnen, die sich die Tatzen auf die Schultern legen.

Die Lega in der Klemme zwischen Regionalpräsidenten und Bürgern

Nicht zuletzt diese Anmutung nutzt auch Marine Le Pen jetzt aus, um Wahlwerbung für ihre Partnerpartei, die Lega Nord von Matteo Salvini, zu machen. Denn die Parteien Le Pens und Salvinis sind Teil der Fraktion Identität und Demokratie (ID) im EU-Parlament. Die Rivalität zur EKR wird in Frankreich dadurch betont, dass die Partei von Éric Zemmour sich den EKR angeschlossen hat. Dessen Wahlliste wird von Le Pens Nichte Marion Maréchal angeführt, und die ist wiederum mit dem EU-Parlamentarier und Fratelli-Mitglied Vincenzo Sofo verheiratet.

Am Wochenende richtete Salvini mit der ID eine Konferenz in Rom aus: „Winds of Change – Auf einem Weg zu einem Europa der Zusammenarbeit“ hieß der Titel. Die Winde des Wandels blasen in der Tat, auch wenn das nicht zum direkten Nutzen von Salvinis Lega Nord ist. Und genau das wollte er mit der Konferenz ändern. Le Pen nahm per Videoschalte daran teil. Anwesend waren Delegationen aus den meisten Partnerparteien, darunter auch der Vlaams Belang, der derzeit in den belgischen Umfragen führt, und die portugiesische Chega!, die gerade einen beachtlichen Erfolg bei den dortigen Neuwahlen errungen hat. Parteichef André Ventura war zu einer Rede angereist, ebenso der Österreicher Harald Vilimsky. Sogar der US-Republikaner Vivek Ramaswamy war gekommen, um daran zu erinnern, dass fossile Energie nützlich ist und eine offene Grenze gar keine Grenze ist. Man solle öffentlich dasselbe sagen wie privat, so der Ex-Bewerber um die republikanische Kandidatur und jetzige Trump-Unterstützer.

Die AfD hatte keine Abgesandten geschickt oder war gar nicht eingeladen. Warum, ist nicht so klar. Muss Salvini sie meiden, um nicht als zu extrem zu gelten, wie die linke Tageszeitung La Repubblica schreibt? Immerhin sei eine Mehrheit rechts ab der Mitte, also von EVP, EKR und ID, in greifbarer Nähe. Auch von einem führenden Gast von der niederländischen PVV ist allerdings nichts zu lesen.

Laut Il Giornale scherzte Salvini über diese Frage, ebenso wie über die Abwesenheit einiger norditalienischer Regionalpräsidenten (etwa von Luca Zaia aus dem Veneto), die im Vorfeld die „souveränistischen“ Schauveranstaltungen kritisierten und meinten, das beeinträchtige die Wahlchancen der Lega, weil es sie weiter aus der „Mitte“ entferne. Die Lega hat es nicht gerade einfach. Ihr Stimmanteil ist gegenüber früheren Wahlen gesunken, auf derzeit acht bis neun Prozent – und liegt damit noch knapp vor dem mittigen Koalitionspartner Forza Italia. Ganz anders sieht es für Meloni FdI aus, die im Juni einen Wert von 28 Prozent erreichen könnte. Das Größenverhältnis der Parteien von Meloni und Salvini wird sich damit vermutlich umkehren. In Frankreich wird das Kräfteverhältnis etwa umgekehrt sein, mit wohl um die 30 Sitzen für den RN und bis zu sechs Sitzen für Zemmours Reconquête!-Partei.

Le Pens kritische Frage an Meloni

Von der Leinwand herab rief Le Pen in den Saal: „Die wirkliche Frage geht nicht an die Italiener, sondern an die Premierministerin.“ Le Pen erinnert an persönliche Treffen mit Meloni, fragt dann aber sehr direkt: „Frau Premierministerin, werden Sie eine zweite Amtszeit von der Leyen unterstützen oder nicht?“ Es war aber nicht nur eine Frage, denn Le Pen fuhr mit einigem Kampfgeist fort: „Sagen Sie das den Italienern! Ich glaube, das werden Sie tun und so dazu beitragen, eine Politik zu verschärfen, unter der die Völker Europas so sehr leiden. Der einzige Kandidat, der sich von der Leyen auf der Rechten entgegenstellen wird, ist Matteo Salvini.“

Wenig später sollte auch Ventura ähnliche Töne in seiner Rede anschlagen. Der einzige Politiker, der heute „die Nationen Europas verteidigt“, sei Salvini. Der stellte freilich klar, dass er weiterhin mit „Giorgia“ befreundet sei, allerdings gebe es auch Meinungsunterschiede in dieser Koalition.

Die Angriffe auf Meloni gehören sicher zum Wahlkampf der Lega, sie legen aber auch Spaltungen in der EU-Rechten, bei den sogenannten Populisten, offen. In der Tat dürfte ein Teilvotum für von der Leyen hier spalten, mit vielleicht gänzlich unbedachten Folgen. Allerdings gehören die Abgeordneten der polnischen PiS (ebenfalls EKR) schon seit 2019 zur Reserve der aktuellen Kommission. Die Partei stellt zudem einen EU-Kommissar, den einzigen von rechts der EVP: den Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski, der aber bisher eher unauffällig blieb und gerade eine wütende Ernte (dafür) einfährt.

Ein spiegelbildlicher Streit Le Pens mit der AfD – rund um die Medienberichterstattung über das Potsdamer Nicht-AfD-Treffen – war mit einem Gespräch zwischen Le Pen, dem jungen Parteichef Jordan Bardella und Alice Weidel ausgegangen. Weidel berichtete danach von großen programmatischen Überschneidungen bei den „Lösungsansätzen“ für die „großen Probleme der heutigen Zeit“. Das kann man wohl als Signal für eine Fortsetzung der Brüssel-Straßburger Fraktionsgemeinschaft werten, auch wenn der RN sich weniger leutselig äußerte.

Abstimmungen ohne Brandmauer gehen weiter

Sieht man über die teils kleinlich-persönlichen Polit-Rivalitäten hinweg, dann ziehen die Fraktionen von EKR und ID derzeit noch an einem Strick. Und in dem zugehörigen Karren kann auch die EVP – so sie das will – jederzeit Platz nehmen. So wurde im März auch die Euro-7-Norm in einer großen Koalition rechts (ab) der Mitte beschlossen – und zwar mit nur geringen Unterschieden zur bisherigen Euro-6-Norm. Laut der AfD-Abgeordneten Sylvia Limmert wurden in letzter Minute „höhere Anforderungen an die Haltbarkeit von Antriebsbatterien“ durchgesetzt, und zwar wiederum ohne Anzeichen einer Brandmauer zwischen EVP und den beiden Rechts-Fraktionen. Der progressivistische E-Auto-Plan der EU wurde also gebremst. Auf solche Ziele kann sich EU-Mitte-Rechts leicht einigen, wie auch das EU-Naturwiederherstellungs-Gesetz zeigt. In der Migrationspolitik fehlt allerdings bisher ein solcher einigender Konsens.

Und nun kann man einwenden: Die Rechts-Koalition im EU-Parlament funktioniert ja auch unter einer Kommissionspräsidentin von der Leyen. Warum muss sie dann ausgewechselt werden? Nur weisen die Ziele von der Leyens eben diametral in eine andere Richtung. Ihre zweite Amtszeit wäre mithin, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse so bestätigen, wie es jetzt aussieht, ohnehin ein Potemkinsches Dorf, in dem die wahre Macht anderswo läge, liegen müsste.

In Rom umschrieb Salvini die Wahlmöglichkeiten der Bürger bei den EU-Wahlen Anfang Juni so: „In 77 Tagen wird es ein Referendum geben zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen sozialer Unsicherheit und Arbeit, zwischen Gedankenfreiheit und denen, die uns sagen wollen, was wir denken dürfen.“ Das sind wiederum Ziele, die Meloni und ihn einen dürften. Schließlich nannte Salvini noch einen Punkt, der einen Meinungsunterschied mit Meloni berührt: „Wir müssen das Wohlergehen und den Frieden wieder in den Mittelpunkt stellen, damit nicht mehr von Bomben und Raketen als der normalsten Sache der Welt gesprochen wird.“ Die Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine ist eine Frage, die das rechte Lager zwischen EKR und ID derzeit spaltet. Aber in der EU wird es hier ohnehin zu einem Kompromiss kommen müssen. Und letztlich dürfte es von Vorteil sein, wenn das Thema Frieden nicht der Linken überlassen bleibt.

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