Tichys Einblick
Lawrow und Cavusoglu

Russland und Türkei schließen einen fragwürdigen Getreide-Deal – zu Lasten der Ukraine

Russlands Außenminister Lawrow und sein türkischer Kollege Cavusoglu haben ein perfides Abkommen über Getreidexport übers Schwarze Meer geschlossen. Die eigentliche Frage lautet nicht: Wie kommt das ukrainische Getreide zu den Hungernden? Sondern: Wie lang lassen sich Nato und EU das noch gefallen?

Russlands Außenminister Sergei Lawrow, links, und der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu in Ankara, 08.06.2022.

IMAGO / SNA

In der türkischen Hauptstadt Ankara trafen sich am Mittwoch so ziemlich beste Freunde. Als Gastgeber Mevlüt Cavusoglu, Außenminister der Regierung des Recep Tayyip Erdogan, und als Gast Sergej Lawrow, Außenminister der Regierung des Wladimir Putin.

Das allein für sich ist schon ungewöhnlich in einer Zeit, in der der russische Überfall auf die Ukraine das Nato-Verteidigungsbündnis gegen den Aggressor aus Moskau in Stellung gebracht hat. Andererseits telefonieren ja auch Olaf Scholz und Emmanuel Macron mit Wladimir Putin.

Ungewöhnlich ist deshalb vor allem das Thema, über das die beiden zu beraten hatten. Denn es geht offiziell darum, dass in einigen Regionen der Welt Hungerkatastrophen drohen, wenn die Lieferungen aus der Welt-Kornkammer Ukraine weiterhin ausbleiben.

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Über 20 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten liegen nach ukrainischen Angaben derzeit in den Silos am Schwarzen Meer. Normalerweise wäre das alles längst auf dem Weg zum Konsumenten oder bereits dort angekommen. Der russische Überfall auf die Ukraine, zu dessen wesentlichen Zielen die Inbesitznahme der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste gehört, hat den Export jedoch unmöglich gemacht.

Die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer, seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland ohnehin schon im Zugang zum Schwarzen Meer von der Gnade und Ungnade Putins abhängig gewesen, existiert praktisch nicht mehr. Putins marodierende Soldaten, allen voran die Muslimbrigaden des Tschetschenen Kadirow, haben sie dem Erdboden gleichgemacht.

Mykolajiw an der Mündung des Bug ins Schwarze Meer ist Frontstadt, befindet sich unter Dauerfeuer durch die russischen Invasoren.

Cherson an der Dnjepr-Mündung wurde von Russland bereits in der ersten Welle des Überfalls besetzt.

Somit ist Odessa, nah bei Rumänien gelegen, die einzige Stadt, die gegenwärtig den Umschlag des ukrainischen Getreides vornehmen könnte. Das Problem: Da Putin die gewaltsame Übernahme der Stadt mehrfach angekündigt hat und die russische Schwarzmeerflotte den Zugang zum Schwarzen Meer blockiert und eine Landeoperation vorbereitet, haben die Ukrainer das Meer vor ihrer Stadt vermint. Wo die Minen liegen, wissen nur die ukrainischen Stellen – und sie werden sich hüten, die Lage der Minen und möglicher Durchfahrten einem unsicheren Kantonisten preiszugeben. Was wiederum ein jeder ist, der mit Putins Schergen irgendwelche Deals über die Köpfe der Ukrainer hinweg aushandelt.

Ein Deal zu Lasten der Ukraine

Genau das haben die Brüder im Geiste nun getan, um der Welt das Schauspiel von „den guten Russen und den bösen anderen“ zu präsentieren. Frankiert von Lawrows zynischem Hinweis, dass es sich doch nur um ein „Problemchen“ handele, wenn Millionen Menschen weltweit nicht wissen, ob sie morgen noch ein Brot bekommen, ließen das Ministerduo die staunende Öffentlichkeit nun wissen, wie das Getreide aus Odessa herausgeholt werden soll.

Dazu wird die Türkei erst einmal militärischer Partner Russlands und erklärt sich bereit, für dieses erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes die Kohlen aus dem Feuer holen. Türkische Minenräumschiffe sollen den Weg von den internationalen Gewässern in den Hafen von Odessa frei machen.

Ohne Zweifel wäre es zweckmäßiger, wenn dieses die Ukraine täte. Doch sie wird es nicht tun, solang die Gefahr besteht, dass Russland umgehend nach der Minenräumung die Landeoperation startet. Da Russland in jüngster Vergangenheit wiederholt bewiesen sind, dass es eher sämtliches Blau vom Himmel herunterlügt, als ein einziges Mal zu seinen Zusagen zu stehen, darf getrost festgestellt werden: Diese Gefahr besteht, solang noch ein einziger russischer Soldat seinen Fuß auf ukrainischem Boden stehen hat.

Zudem auch kann die Ukraine die Minen nicht räumen, selbst wenn sie es wollte. Denn gegenwärtig besteht die Gefahr, dass ukrainische Minenräumer ohne jede Warnung umgehend von russischen Einheiten zum Ziel genommen werden.

Deswegen also soll nun die Türkei ran und den Weg frei machen.

Sollte die Ukraine das verhindern wollen, müsste sie Schiffe eines Landes angreifen, das offiziell nicht in den Konflikt involviert ist. Dabei besonders perfide: Die Türkei ist immer noch Mitglied der Nato. Erdogan könnte also im Falle wehrhaften, ukrainischen Widerstands gegen die Minenräumung sogar den Angriff eines Nicht-Nato-Landes auf ein Nato-Mitglied konstruieren und laut hörbar „Verteidigungsfall“ rufen. Auf Grundlage ihrer Statuten wäre die Nato dann zumindest theoretisch gefordert, umgehend kollektiv gegen die Ukraine vorzugehen. Eine mehr als absurde Vorstellung.

Russische Schiffe sollen vor Russen schützen

Damit jedoch ist die Theaterinszenierung der ziemlich besten Freunde noch nicht zum Abschluss gekommen. Angenommen, die Ukraine lässt die Minenräumung durch die Türkei trotz aller Bedenken zu, sollen dann Getreideschiffe im Hafen von Odessa die Ware laden und auf das Schwarze Meer bringen. Dort steht dann die russische Schwarzmeerflotte bereit, um die lebensrettende Fracht durch die unsicheren Gewässer des Schwarzen Meeres zum Bosporus zu bringen. Eine fast schon teuflische Inszenierung, denn die einzigen, die das Schwarze Meer unsicher machen, sind die Russen. Deren russische Schiffe sollen dann also werbewirksam die Getreidefrachter gegen die von russischen Schiffen ausgehende Gefahr schützen. 

Und während alle Welt auf den Getreidekonvoi schaut und auf den Angriff der russischen Schwarzmeerflotte und deren Abwehr durch russische Geleitschiffe wartet, kann diese nun ungehindert durch den von der Türkei freigeräumten Seeweg endlich die lang geplante Landungsoperation beginnen lassen.

Von Problemchen und Problemen

Soweit das, was die beiden Herren der Welt begeistert als eben jene Lawrowsche „Problemchenlösung“ präsentierten. Also zumindest das, was sie offiziell besprochen und vereinbart haben.

Und inoffiziell? Da stehen nun wir vor einem Problem, denn darüber hüllen sich die Minister in Schweigen. Was wiederum durchaus nachvollziehbar, denn sollte es wie einst zwischen Ribbentrop und Molotow irgendwelche Geheimabsprachen über die Neuaufteilung der Region rund um das Schwarze Meer und die Ägäis gegeben haben, liegt es in der Natur der Sache, dass es ein großes Problem wäre, wenn diese nicht geheim blieben.

Die Vorstellung allerdings, dass sich die Freunde nur getroffen haben, um ein scheinbar werbewirksames Lebensmittelrettungs-Schauprojekt zu Lasten der Ukraine auszuhecken, dürfte ein wenig naiv sein. Zumindest wird es auch darum gegangen sein, was Russland dem Kumpel in Ankara dafür zahlt, dass er mit seinem Veto zum Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands gegenwärtig mehr als nur Sand ins Getriebe des Sicherheitsbündnisses wirft und damit dort ein Riesenproblem schafft.

Zudem wäre es kein wirkliches Problem, des Lawrows „Problemchen“ auch dann ganz schnell aus der Welt zu schaffen, wenn Russland an seinen terroristischen Zielen gegen die Ukraine festhält. Die Moskowiter müssten lediglich jene 700.000 Tonnen Getreide, die sie der Ukraine laut UN bereits gestohlen haben, über russische Häfen abholen und den Erlös an die ukrainische Staatskasse überweisen.

So steht denn so nach dem Offensichtlichen die eigentliche Frage im Raum. Und die lautet: Wie lang eigentlich wollen sich Nato und EU noch von dem Möchtegern-Sultan auf der Nase herumtanzen lassen? Und wie weit hat sich die Türkei bereits an Russland verkauft, wenn es sogar bereit ist, für die Kreml-Terroristen das minensuchende Trüffelschwein und den PR-Berater zu geben?

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