Tichys Einblick
Salvini: Es gibt viele Wege zur Blockade

Lampedusa: Niedrige Schlepperpreise werden Überfahrten weiter anheizen

Laut Frontex sind illegale Einreisen aus Nordafrika so günstig wie noch nie. In der EU wächst die Kritik am tunesischen Präsidenten – doch der unterwirft sich keiner Kontrolle. Fünf EU-Abgeordneten verweigerte er die Einreise. Derweil will Matteo Salvini einen „italienischen Weg“ parallel zur Diplomatie.

Lampedusa am 14.09.2023

IMAGO

Die Situation auf Lampedusa zeigt eindringlich die Lage der EU in Sachen Asyl- und Migrationspolitik auf. Auf der Insel befinden sich mittlerweile deutlich mehr Afrikaner als Einheimische. Und der Zustrom scheint nicht zurückzugehen. Man findet sich also miteinander zurecht, tanzt und singt auch einmal gemeinsam – wobei man nie weiß, wer sich solchen Freuden hingibt und wer sie tief innerlich ablehnt oder gar nicht erscheint. Die Insel bleibt dennoch ein Pulverfass, trotz dieser Teddywerfer-Aktionen.

Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni versucht nun angeblich, weitere Überfahrten zu „blockieren“, das sei eine langwierige Arbeit, die aber – im Gegensatz zu Notfall-Interventionen – dauerhafte Ergebnisse zeitigen solle. Matteo Salvini schlägt jeweils den nächst schärferen Ton an, hat nun aber auch die Einigkeit der Regierung betont. In Caltanissetta auf Sizilien sagte er: „Wir arbeiten als Regierung alle zusammen, ohne jede Differenz, während Europa abwesend, distanziert, abgelenkt, ignorant und taub ist.“

Nach Salvini muss Italien nun eigenständig handeln und seine Grenzen verteidigen, denn „Lampedusa und Sizilien können nicht den halben afrikanischen Kontinent aufnehmen“. Auch den Einsatz der Marine will er nicht ausschließen. Außerdem brauche man in jeder Region ein Abschiebezentrum. Angeblich gibt es viele Arten, den Zustrom zu blockieren oder zu reduzieren: „Extreme Übel brauchen extreme Heilmittel.“ 5.000 Illegale an einem einzigen Tag seien eine „soziale Bombe“. Neben den diplomatischen Weg, den vielleicht Meloni repräsentiert, schlägt Salvini einen „italienischen Weg“ vor, um des Problems Herr zu werden.

Frontex: Höchste Zahl illegaler Einreisen seit 2016

Das liberal-konservative Blatt Il Riformista weist darauf hin, dass es seit Jahresbeginn rund 123.000 illegale Einreisen nach Italien gab, fast nur über das Mittelmeer. In diesen Tagen kommen täglich mehrere tausend dazu. Von den 123.000 seien 84.000 mit kleinen Booten erfolgt, also mit mutmaßlich eigenständiger Abfahrt und Anlandung. 39.000 seien von der Küstenwache aufgesammelt und an Land gebracht worden, dagegen nur 5.500 Personen durch NGOs. Die letzte Zahl scheint sehr gering, gibt aber einen Hinweis darauf, dass die NGO-Schiffe mit ihren dann doch begrenzten Kapazitäten eher einen geringen Einfluss auf die illegalen Einreisen insgesamt haben, die sich auch ohne sie Bahn brechen werden. Dennoch ist nicht klar, wie die NGOs im Verborgenen wirken.

Nun kommt ein Zwischenbericht der EU-Grenzschutzagentur Frontex hinzu, der sehr ernsthaft betrachtet werden muss. Danach sorgt die zentrale Mittelmeer-Route derzeit für die Hälfte aller illegalen Einreisen in Länder der EU, wie schon bekannt war. Die Einreisen haben sich in diesem Jahr mit einem Plus von 96 Prozent praktisch verdoppelt. Frontex spricht von der – nach vorläufigen Berechnungen – höchsten Zahl illegaler Einreisen auf der Route seit 2016 im Zeitraum von Januar bis August. Demgegenüber sind fast alle anderen Routen in einem leichten Rückgang begriffen. Die Westbalkanroute bleibt aber die zweitwichtigste für Schlepper und illegal Reisende mit insgesamt über 70.000 illegalen Einreisen bis Ende August. Nur die Route im westlichen Mittelmeer von Nordafrika nach Spanien hat ebenfalls einen Zuwachs von 14 Prozent gesehen.

Allein im August wurden mehr als 25.000 illegale Einreisen an Italiens Küsten festgestellt. Das markiert noch einmal eine starke Dynamik im Vergleich zu den Vormonaten. Es könnten aber insgesamt noch erheblich mehr illegale Migranten gewesen sein, nämlich durch unbemerkte Anlandungen und Einschleusungen. Auch die italienische Tageszeitung Il Giornale schließt: „Von einer Invasion zu sprechen, ist nicht so unangemessen, wie manche behaupten.“ Auch der stellvertretende Bürgermeister von Lampedusa hatte das böse Wort in den Mund genommen.

Und klar ist auch, worauf diese Invasion zielt: auf die „reichen“ Länder des europäischen Nordens. Hier sagt ein Migrant: „Ich möchte nach Frankreich! In Frankreich gibt es Sozialleistungen! Ich weiß es, weil man überall im Fernsehen davon spricht!“

Marktkräfte wirken auch im Schleppergeschäft: Preise sinken

Und Linderung ist nicht zu erhoffen – im Gegenteil, wie es warnend im Frontex-Bericht heißt: „Der verstärkte Migrationsdruck auf dieser Route (der über das zentrale Mittelmeer) könnte in den kommenden Monaten anhalten, da die Schmuggler angesichts des harten Wettbewerbs zwischen den kriminellen Gruppen niedrigere Preise für die aus Libyen und Tunesien kommenden Migranten anbieten.“ Es sind Rabattwochen für illegale Migranten. Die Marktkräfte wirken auch im Schleppergeschäft. Das Ganze ist ein Geschäft; das muss man zu allererst feststellen.

Oder reicht die ganze Sache noch tiefer, wie ein Vertreter der französischen Partei Reconquête! von Lampedusa behauptet? Damien Rieu ist auf der Insel und sagt, dass manche der Migranten ihm berichten, für die Überfahrt überhaupt nicht bezahlt zu haben. Die logische Folgefrage ist dann: Wer hat ein Interesse daran, eine Armee afrikanischer Migranten an EU-Küsten stranden zu lassen? Rieu spricht von einer möglichen „Waffe“, um Europa zu destabilisieren. Vorbilder für eine solche Strategie finden sich mehrere in der Geschichte zwischen der EU und ihren Nachbarn.

Durch die Vielzahl der Überfahrten erhöhen sich natürlich auch die Todesfälle. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bei den Vereinten Nationen wurden in diesem Jahr mindestens 2.325 Personen im Mittelmeer vermisst, meist in dessen zentralem Teil, also auf der Fahrt von Libyen und Tunesien zu den italienischen Küsten, wie ebenfalls Frontex berichtet.

Éric Zemmour: „Ein Kontinent fließt in einen anderen“

In Frankreich findet das Gespräch über die Lage in Lampedusa auch in der politischen Arena statt. Der Journalist und Parteigründer Éric Zemmour (Reconquête!) hat sich in mehreren Tweets geäußert. So fordert er das Ende der „kolonialen“ Beziehungen auch für Frankreich, nachdem es in Westafrika Absetzbewegungen von einer gewissen französischen Vorherrschaft gab: „Afrika will Frankreich nicht mehr bei sich haben? Sehr gut, wir wollen Afrika auch nicht mehr bei uns haben. Die Dekolonialisierung ist für alle!“ Dann wieder fragte er zu den eindrucksvollen Bildern italienischer Finanzpolizisten, die die Menschenmasse am Kai von Lampedusa zurückdrängen müssen: „Bin ich radikal, wenn ich sage, dass ein Kontinent in einen anderen fließt?“

Auch Marion Maréchal ist für die Zemmour-Partei in Lampedusa, wie sie sagt, um auf eine Herausforderung für den gesamten Kontinent zu reagieren und um Italien eine „Botschaft der Unterstützung“ zu senden.

Man muss noch einmal hervorheben, was das totale Überwiegen von jungen Männern bedeutet: Es heißt, dass diese Menschen nicht aus einer allumfassenden Notlage – Krieg oder politische Verfolgung eines Teils der Bevölkerung – geflohen sind. Es sind schlicht die überzähligen Söhne, die sich aufmachen, um ihre eigene Lebenssituation zu verbessern. Auch der bekannte französische Fernsehkommentator Jean Messiha weist auf diesen blinden Fleck der „Asyl“-Debatte hin, indem er unter anderem schreibt: „Sie fliehen vor dem Krieg, sagen die Linken. Und überlassen ihn den Frauen und Kindern? Hält man uns für blöd?“

Die Videos zeigen, dass sie nicht von Traumata belastet sind, während sie die Bootsüberfahrt starten. Einige werden sogar sofort nach ihrer Landung zudringlich. Hier wird anscheinend eine Helferin belästigt.

Aber auch in der deutschen Politik scheint langsam anzukommen, dass man „Platz“ nicht herstellen kann und dass die Lage in den Kommunen direkt mit der Lage an den EU-Außengrenzen zusammenhängt.

Kritik am EU-Migrations-Deal und an Tunesien wächst

Derweil kündigt sich mehr „Nachschub“ an. Das ist – wie auch der Frontex-Bericht – äußerst plausibel. Der tunesische Präsident scheint sich in dieser Hinsicht keinen Zwang mehr anzutun. Obwohl die Kommission dem tunesischen Präsidenten Kais Saied eine Soforthilfe von 105 Millionen Euro für besseren Grenzschutz zugesagt hat, sind die illegalen Überfahrten aus Tunesien seit Abschluss des Deals um 69 Prozent gestiegen.

Nun wurde einer Delegation des EU-Parlaments die Einreise verwehrt. Im Brief der tunesischen Regierung heißt es laut Politico: „Dieser Delegation wird es nicht erlaubt werden, das nationale Territorium zu betreten.“

Angeblich wollten sich die fünf Abgeordneten ein Bild von der Menschenrechtslage im Land machen. Zuletzt hatte es Vorwürfe gegen dessen Führung gegeben, als ausländische Unruhestifter kurzerhand ausgewiesen wurden. Man darf ruhig fragen, was das direkt zur Lösung der EU-Probleme beitragen soll. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell nennt die Weigerung aus Tunis „überraschend und bedauerlich“, andere Sozialdemokraten wüteten über den „Skandal“. Laut einem SPD-Abgeordneten dürfen „die europäischen Staats- und Regierungschefs … diese Entscheidung nicht unbeantwortet lassen“. Nichts Wichtigeres wäre in diesen Tagen zu tun. Die Linke im EU-Parlament forderte gar eine Blockade des EU-Tunesien-Deals, der mittelfristig Zahlungen von rund einer Milliarde Euro an das Maghreb-Land vorsieht.

Die Kritik an dem Deal, den Kommissionschefin von der Leyen als Vorbild für ähnliche Abkommen gepriesen hatte, ist allerdings verbreitet und reicht von links über die Mitte bis zur ID-Fraktion. Bernhard Zimniok, migrationspolitischer Sprecher der AfD im EU-Parlament, sagte am Mittwoch: „Das Migrationsabkommen zwischen der EU und Tunesien zeigt keinerlei Wirkung.“ Tunesien nehme seine eingegangenen Verpflichtung, stärker gegen Schlepper vorzugehen und Schiffe mit Migranten abzufangen, „nicht sonderlich ernst“.

Laut Zimniok war abzusehen, dass „sich Brüssel von Tunis austricksen lassen würde. Auch deshalb haben wir dieses Migrationsabkommen abgelehnt.“ Für die AfD fordert Zimniok „Grenzschließungen, ein Verbot der sogenannten Seenotrettung, die konsequente Rückführung von Schlepperbooten und Druck auf Herkunftsstaaten, die sich weigern, ihre Migranten aufzunehmen, etwa durch Streichung der Entwicklungshilfe oder Unterbinden von Rücküberweisungen“.

Schießerei in Serbien zeigt: Es geht nicht nur um das Mittelmeer

Übrigens geht die Invasion des Kontinents durch teils gewalttätige Migranten und Schlepper auch auf dem Westbalkan weiter, wie Euronews berichtet. Demnach kam es im Wald von Hajdukovac in Serbien, nahe der ungarischen Grenze, zu einer Schießerei zwischen Migranten. Es gab einen Toten. Dutzende Menschen wurden verhaftet, zahlreiche Gewehre beschlagnahmt.

Überall steht die EU vor demselben Problem, dass sie den Grenzschutz und konsequente Zurückweisungen unechter „Flüchtlinge“ an den eigenen Außengrenzen als untunlich ablehnt, während im Inneren die Versorgung der Flüchtlinge immer schwerer fällt und die innere Sicherheit implodiert.

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