Tichys Einblick
„Vereinigte Kraft von vier Millionen“

Wie eine islamische Bewegung die britische Labour-Partei unter Druck setzt

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die linke Opposition im Vereinigten Königreich die kommenden Wahlen gewinnt. Doch Labour-Chef Keir Starmer steht unter internem Druck. Die Initiative "Muslim Vote" will ein ständiger Stachel im Fleisch sein.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jon Super

Was man derzeit auf der Website der britischen Initiative „The Muslim Vote“ (Die muslimische Wahlstimme) vor den Unterhauswahlen am 4. Juli liest, klingt wie eine Drohung – und das ist vermutlich auch beabsichtigt: „Wir werden nicht länger tolerieren, dass unsere Unterstützung für selbstverständlich genommen wird“, heißt es da. Und: „Wir sind eine vereinigte Kraft von vier Millionen, die im Gleichklang agieren.“ Diese Wahl signalisiere eine Veränderung: „Muslimische Angelegenheiten stehen an vorderster Front.“

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„The Muslim Vote“ will die rund vier Millionen Muslime des Vereinigten Königreichs zu einer schlagkräftigen politischen Macht formen. Aktueller Auslöser für das Projekt: Der Krieg im Gazastreifen. Gegründet hatte sich die Initiative Ende 2023, nach einer viel beachteten Abstimmung im Unterhaus Mitte November. Ein Antrag der Schottischen Nationalpartei (SNP) lag auf dem Tisch, der einen Waffenstillstand in Gaza forderte. Keir Starmer, Chef der noch oppositionellen sozialdemokratischen Labour, hatte als Linie für seine Partei die Ablehnung des Antrags vorgegeben.

Seit seinem Amtsantritt als Parteivorsitzender kämpft Starmer dafür, den Antisemitismus und obsessiven Israel-Hass in seiner Partei auszumerzen. Er hatte Labour 2020 von dem notorischen Israel-Feind Jeremy Corbyn übernommen, der in seiner Amtszeit viel Porzellan mit der jüdischen Gemeinschaft zerschlagen hatte. Starmer schasste Israel-Feinde und setzte israelfreundliche Akzente. Das brachte ihm Anerkennung vonseiten der jüdischen Gemeinschaft ein.

Doch der 7. Oktober und der anschließende Krieg stellten ihn vor neue Herausforderungen. „Sir Keir“ setzte zwar weiter auf einen für Labour-Verhältnisse Israel-freundlichen Kurs, konnte aber nicht verhindern, dass sich in der Unterhaus-Fraktion immer wieder Israel-feindliche Stimmen Luft verschafften. Auch unter Muslimen, von denen traditionell viele die Labour-Partei wählen, sorgte seine Linie für heftige Ablehnung – und rief schließlich auch „The Muslim Vote“ auf den Plan.

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Die Initiative wird von zahlreichen islamischen Verbänden in Großbritannien unterstützt. Anfang Mai formulierte sie 18 Ansprüche an die Labour-Partei, darunter: Sanktionen gegen Israel und die Forderung, mehr öffentliche Gelder in „ethische und islamische Fonds“ zu stecken.

Das eigentliche Ziel aber ist klar: Starmers Labour-Partei in die Suppe des voraussichtlich guten Wahlergebnisses zu spucken – als Rache für dessen Israel-freundlichen Kurs. Labour habe die Meinung der muslimischen Wähler nicht wertgeschätzt, meint Sprecher Abubakr Nanabawa laut dem Guardian: „Die Botschaft ist: Wenn eine Regierung unsere Stimme will, muss sie sie sich verdienen.“ Und: „Wir arbeiten daran, dass jeder Parlamentarier, der nicht für einen Waffenstillstand gestimmt hat, bestraft wird.“

Zu diesem Zweck hat die Initiative auf ihrer Website eine Liste online gestellt, in der für Wahlkreise mit hohem muslimischem Wähleranteil die dortigen Kandidaten genannt und ihr Abstimmungsverhalten zum Waffenstillstandsantrag dargelegt werden. Die Wähler werden dann dazu aufgefordert, einem pro-palästinensischen Alternativkandidat ihre Stimme zu geben. Das Gesamtergebnis der Wahl wird die Initiative damit zwar kaum entscheidend beeinflussen können, aber in einzelnen Wahlkreisen könnte es für dortige Labour-Kandidaten gefährlich werden.

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Schatten-Gesundheitsminister Wes Streeting etwa tritt in einem Wahlkreis mit 27-prozentigem Moslem-Anteil an und muss fürchten, sein Mandat an eine unabhängige palästinensische Abgeordnete zu verlieren. Streetings Fehler: Er hatte sich bei der Abstimmung im November in puncto Waffenstillstand enthalten. In anderen Wahlkreisen ist der muslimische Wähleranteil noch deutlich höher, etwa in Bradford West mit 54 Prozent Moslems oder in East Ham mit 43 Prozent.

Bereits nach den Kommunalwahlen im Mai hatten Analysten festgestellt, dass Labour in muslimisch geprägten Bezirken erheblich an Rückhalt verloren hatte. Viele muslimische Wähler machten ihr Kreuz lieber bei anti-israelischen unabhängigen Kandidaten oder etwa solchen der Grünen. Ein gewählter Stadtrat der Grünen verkündete nach seiner Wahl: „Allahu Akbar!“

Bei „The Muslim Vote“ spürt man nun Oberwasser: Nach der Kommunalwahl veröffentlichte die Initiative ein zwar sanft vorgetragenes, inhaltlich aber selbstbewusst-aggressives Video. Darin hieß es, Labour werde die Unterhaus-Wahl zwar wohl gewinnen, habe aber „einen mächtigen, wachsenden, immer besser organisierten und vor allem koordinierten Block verloren: die muslimische Stimme“. Mit einem drohenden Unterton verkündete der Sprecher triumphierend: „Aus der Asche dieser Wahl wird eine neue politische Kraft geboren, die alle kommenden Wahlen diktieren und ein ständiger Stachel in der Seite der Labour-Partei sein wird.“

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