Vom Bodyguard zum Multimillionär – was für ein Aufstieg. Alejandro Andrade lebt heute in einem der teuersten Orte von Florida, in Wellington im Palm Beach County. Die Stadt ist für Pferdesport und Polomatches berühmt. Der 53-jährige Andrade, dem nachgesagt wird, dass er nur wenige Jahre lang die Schule besucht hat, wohnt in einer 860 Quadratmeter großen Villa, die er Ende 2011 für 4,75 Millionen Dollar gekauft hat, wobei das Geld über eine Briefkastenfirma floss. Das Anwesen hat genug Platz für die sechzig Pferde, die er seinem 21 Jahre alten Sohn Emmanuel Andrade gekauft hat, der venezolanischer Reitsport-Meister ist. Emmanuel zeigt sein Luxusleben gerne auf Instagram.
Der luxuriöse Lebensstil einiger Weniger steht im Kontrast zum brutalen Elend der Vielen in Venezuela, die den Absturz des Landes hautnah erleben. Die wirtschaftliche und humanitäre Krise hat entsetzliche Ausmaße angenommen. Seit 2014 ist die venezolanische Volkswirtschaft um etwa 40 Prozent geschrumpft, die Inflationsrate soll dieses Jahr bis auf 13.000 Prozent steigen. Nach einer Untersuchung von drei Universitäten des Landes, leben inzwischen 87 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Zwei von drei Familien essen nur eine Mahlzeit am Tag. Millionen Venezolaner hungern. In den Schulen fallen unterernährte Kinder vor Schwäche in Ohnmacht. Die Krankenhäuser berichten von einer stark gestiegenen Säuglings- und Müttersterblichkeit.
Leute wie Alejandro Andrade, die ein Luxusleben führen, werden in Venezuela als „Boli-Bourgeoise“ bezeichnet, als Teil der Elite der linken „Bolivarischen Revolution“, die einst Hugo Chávez ausrief, um den „Sozialistismus des 21. Jahrhunderts“ zu schaffen. Den Begriff „Boli-Bourgeoise“ hat der Journalist Juan Carlos Zanata schon vor gut einem Jahrzehnt geprägt, der den Aufstieg einer zutiefst korrupten roten Oberschicht beschrieb.
„Es ist böse, reich zu sein. Ich verurteile die Reichen“, rief Chávez im Jahr 2005. Und doch sind viele seiner Gefährten und aus seinem familiären Umfeld auf wundersame Weise sehr reich geworden. Sie tragen Luxusuhren, spielen Golf in Florida, fahren Sportwagen und Limousinen und haben sogar Privatjets.
Die Quellen ihres Reichtums sind unterschiedlich. Einige haben offenbar Verbindungen zu den Drogenkartellen im benachbarten Kolumbien, in Mexiko und anderswo, die jährlich Milliardenumsätze machen. Sogar gegen den amtierenden Vizepräsidenten Tareck El Aissami wird seit einiger Zeit in den USA ermittelt; er soll den Transport von Tonnen von Kokain und anderen Drogen auf dem See- und Luftweg ermöglicht haben. Auf eingefrorenen Konten von El Aissami, die von Strohmännern verwaltet wurden, sollen sich Hunderte Millionen Dollar befinden.
Andere haben sich im Ölboom bereichert, durch Staatsaufträge und durch Lizenzen für Geschäfte, während die Sozialisten die frühere Unternehmerschaft enteignet hat. 2003 wurde Devisenrestriktionen eingeführt, um Kapitalflucht zu verhindern. Es gibt unterschiedliche Umtauschkurse. Wer Zugang zu den knappen Devisen hat, kann viele hundert Prozent Gewinn machen. Der frühere Finanzminister Jorge Giordani klagte vor einigen Jahren an, dass der Staat durch Devisen-Verkäufe zu Vorzugskursen viele Millionen verloren habe.
In Florida leben Hunderte Angehörige der roten Elite aus Venezuela. Auch Chávez‘ Lieblingstochter María Gabriela Chávez, die als UN-Botschafterin Venezuelas fungiert, hat dort ein Haus. Das „Diario Las Américas“ veröffentlichte 2015 einen Enthüllungsbericht, wonach ihr Vater ihr 4 Millionen Dollar vermacht hat auf Bankkonten in Andorra und in den USA, die Strohmännern und Briefkastenfirmen gehörten. María Gabriela Chávez hat in einer Pressemitteilung alle Vorwürfe zurückgewiesen und behauptet, sie habe ein Vermögen als PR-Managerin und mit einem Kosmetik-Vertrieb gemacht.
Viele Venezolaner, zumindest die etwas Gebildeteren bezweifeln das. Bekannt wurde, wie zahlreiche Verbindungen aus Venezuela zu Steueroasen bestehen. In den 11,5 Millionen Dokumenten der berüchtigten panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca, die geholfen hat, Geld in Steueroasen zu verstecken, taucht das Wort „Venezuela“ mehr als 240.000 mal auf.
Natürlich tun die venezolanischen Sozialisten die Anschuldigungen der Behörden aus den USA und aus Spanien, die derzeit ermitteln, als Propaganda-Krieg gegen die unschuldigen Antiimperialisten in Caracas, ab. Viele Venezolaner können sich aber gut vorstellen, dass an den Beschuldigungen etwas dran ist. Es gibt einfach zu viele Beispiele für und Hinweise auf Verstrickungen von hochrangingen Sozialisten und ihren Familien in schamloseste Bereicherung, Korruption und Kriminalität.
Seitdem ist das von der Opposition dominierte Parlament faktisch entmachtet worden, Maduro regiert mit Notverordnungen und hat in einer offensichtlich gefälschten Wahl eine neue „Verfassungsversammlung“ eingesetzt.
Für den Fall seines Wahlsiegs hat Maduro die Zerschlagung der „oligarchischen Mafia“ angekündigt – damit meint er aber nicht die rote Mafia und korrupten Netzwerke, sondern die letzten Reste der Opposition und Unternehmerschaft.
Marcela Vélez-Plickert hat anderthalb Jahrzehnte als Redakteurin für verschiedene lateinamerikanische Zeitungen und einen TV-Sender gearbeitet. Seit fünf Jahren lebt sie in Frankfurt und schreibt als freie Korrespondentin.