Es hat beinahe schon etwas Rührendes, wie der griechische Minister für Asyl und Migration auf der Einhaltung von Regeln durch die Türkei, aber auch durch die Migranten und Nichtregierungsorganisationen (NGO) in der Ägäis besteht. Seit ein Migrantenboot am 2. Dezember vor Lesbos in Seenot geriet, hört Notis Mitarakis nicht auf, diese Botschaft unters Volk zu bringen, in Gastbeiträgen, Pressekonferenzen und Videobotschaften.
Laut den griechischen Behörden war ein Boot mit gut 34 somalischen Migranten noch in türkischen Gewässern in rauhes Wetter geraten und wollte die Überfahrt abbrechen. Die türkische Küstenwache griff angeblich aber nicht helfend ein, machte vielmehr Wellen und eskortierte die Migranten in griechische Gewässer. Journalisten zeigte Mitarakis ein Video, das die Untätigkeit der türkischen Küstenwache dokumentiert. Auch verschiedene NGOs sollen am Ende (und am Anfang) unterstützend mitgewirkt haben. Und zuletzt waren die Boote selbst weder für die Fahrt geeignet, noch beachteten die Migranten die allgemeinen »Regeln der Seefahrt«. Es ist ein Stück gesunden Menschenverstands, der so in die Debatte um irreguläre und illegale Bootsfahrten im Mittelmeer zurückkehren könnte.
Denn natürlich dürfte all das nicht passieren. Die Türkei darf schon seit der gemeinsamen Erklärung vom 18. März 2016 mit der EU keine Migrantenboote in griechische Gewässer durchlassen, geschweige denn sie dorthin eskortieren. Insofern dürfen auch Migranten nicht in seeuntüchtigen Boote versuchen, die Ägäis zu überqueren, und NGOs dürfen ihnen nicht dabei helfen. In einem Brief an die EU-Kommission und das UN-Flüchtlingskommissariat in Griechenland forderte Mitarakis bereits, dass man gemeinsam dafür sorgen müsse, dass keine illegalen Überfahrten mehr aus der Türkei stattfänden. Laut dem Minister gibt es Belege dafür, dass die Überfahrten von Schlepperkreisen »ermutigt« und von NGOs aus der Region »unterstützt« werden.
Das Vorgehen der Türkei hat Methode
Im Grunde hat sich die Lage seit der Evros-Krise im Frühjahr kaum verändert. Im Osten nichts Neues, könnte man sagen. Wohl wechselt Erdogan das Terrain, greift bald auf dem Land, bald auf dem Wasser an. Aber er versucht auch weiterhin und trotz der angekündigten Zugeständnisse der Merkel-EU, so viele Migranten wie möglich nach Griechenland und damit in die EU zu schleusen. Die Türkei tut damit das Gegenteil von dem, was sie den Europäern seit vielen Jahren zugesagt hat.
Aus deutscher Sicht ist besonders skandalträchtig, dass türkische Küstenschützer bei dem Vorfall eine so aktive Rolle einnahmen. Noch im Februar hatte es Bundeszuschüsse für die türkische Küstenwache gegeben, ein angeblich »unvorhergesehener Geldbedarf« Erdogans kurz vor dem Merkel-Besuch. Mit den 32 Millionen aus der Reisekasse der Kanzlerin wollte man zweierlei erreichen. Zum einen sollten »Menschenleben« geschont und die »humanitäre Situation im Mittelmeerraum« verbessert, zum anderen »eine unkontrollierte Migrationsbewegung in Richtung Deutschland« vermieden werden. Die Tatsachen von heute sehen anders aus: Die türkische Küstenwache verhindert illegale Einreisen in den Schengen-Raum immer noch nicht konsequent, sondern erleichtert sie sogar. Und dabei geraten Menschenleben in Gefahr, statt gerettet zu werden.
Vorfall mit Potential
Trotzdem könnte sich der jüngste Vorfall langfristig zugunsten des europäischen Grenzschutzes auswirken. Denn die griechischen Behörden vernahmen die aufgelesenen Somalis und erhielten wertvolle Informationen zu allen Schritten des Schleppergeschäfts zwischen ihrer ostafrikanischen Heimat und der griechischen Grenze. Nicht alle Glieder der Kette sind gleich kriminell, aber zusammen ergeben sie die Förderung der irregulären Migration in den Schengen-Raum. Es ist dabei praktisch, die Schritte einmal mit dieser Ordnung dargestellt zu bekommen. Dadurch erhärtet sich ein Eindruck, den man schon im März dieses Jahres haben konnte, als Erdogan den Ansturm auf die Evros-Grenze inszenierte: dass die Türkei die Immigration – vor allem von Muslimen – in die EU befördert und das offenbar als Ausdruck ihrer weiteren Interessen ansieht.
Gefährlich ist der größte Teil der rekonstruierten Reise für die Somalis dabei nicht. Alles beginnt mit einem Gang zu der (türkisch unterstützten) City University Mogadischu oder dem dort gelegenen Erdogan-Krankenhaus. Mit gefälschten Zeugnissen dieser beiden Institutionen können sie Studenten- oder Gesundheitsvisa für die Türkei beantragen. Auch humanitäre Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbrüder helfen angeblich bei dem ganzen Verfahren mit, das laut einem Bericht der Kathimerini zwischen 1.300 und 1.500 Euro kostet. Doch diese Kosten übernehmen nicht näher bestimmte NGOs. Auch der Flug nach Istanbul ist mit einem Preis von 100 Euro recht günstig.
Syrer und Afghanen kommen in Haft, Somalis dürfen weiterreisen
In der Stadt am Bosporus werden die Somalis zum einen von Landsleuten erwartet, die dort schon länger leben und angeblich studieren, zum anderen von türkischen und syrischen Schleppern. Sobald sie bereit sind für die Überfahrt nach Griechenland, packen sie einfach ihre Sachen, dann wissen alle Bescheid – auch die türkische Polizei. Einer der Somalis erzählt: »Niemand fragt dich, woher du kommst oder wohin du willst. Dasselbe war schon mit einem anderen Boot passiert, das vor unserem auf Lesbos ankam. Die Polizei sagte nichts, und sie setzten wie geplant über.« Dagegen werden arabische oder afghanische Migranten angeblich verhaftet, wenn sie nach Griechenland wollen. Warum aber diese Unterscheidung? Am Evros waren die Angreifer noch mehrheitlich afghanischer Herkunft, inzwischen scheint der asiatisch-stämmige Migrant aus der Schleppermode gekommen zu sein. Sieht Erdogan in ihnen Kontingente, die strategisch eingesetzt sein wollen? Afrikaner wirken vielleicht unschuldiger, sind aber im Falle der Somalis genauso muslimisch.
Beim letzten Schritt – der Überfahrt von der Türkei auf die griechischen Inseln – sind dann wieder verschiedene NGOs behilflich. Mitarakis nannte die bekannte »Watch the Med« und den Aegean Boat Report, der eine interessante Website unterhält. Die Ankünfte im November liegen danach etwas höher (bei 364) als vom Minister beziffert, zuletzt mit deutlich steigender Tendenz. Am Ende sind natürlich beide Quellen in dem einen oder anderen Sinn Partei: Für die griechische Regierung bedeuten hohe Zahlen einen Misserfolg, für die Nichtregierungsorganisation einen Erfolg. Aegean Boat Report hat die Anschuldigungen natürlich zurückgewiesen.
»Desinformation« und Pull-Faktor – das Werk der NGOs
Im Bericht der Kathimerini sind Messenger- und Whatsapp- Unterhaltungen abgebildet, in denen ein Mitglied des Aegean Boat Report sich Bilder von einem Migrantenboot und gestrandeten Migranten schicken lässt. Diese Bilder werden in der Folge auf dem Twitter-Account veröffentlicht. Laut Mitarakis stellt Lesbos auch deshalb ein bevorzugtes Ziel der Migranten dar, weil es dort NGOs gibt, die bei der Überfahrt behilflich sein können. Das bildet natürlich einen Pull-Faktor.
Doch die Social-Media-Accounts, vor allem auf Twitter und Facebook, gibt es bis heute. Unklar bleibt, wer sie betreibt. Aufhorchen lässt aus heutiger Sicht die mögliche »Verwicklung von Regierungen oder NGOs«, die Kaili in den Raum stellte. Inzwischen lässt sich feststellen, dass die Social-Media-Seiten meist von NGOs betrieben werden, die häufig auch miteinander kooperieren, wenn sie nicht gar von ein und dem selben Netzwerk getragen werden, wie man es bei einigen deutschen NGOs annehmen muss. Die Unterstützung durch Staaten – in welcher Form auch immer – steht weiter als offene Frage im Raum und kann weder definitiv bejaht noch verneint werden.
Eines ist jedenfalls klar: Den Somalis, die vorgeblich zum Studieren in die Türkei kommen, droht dort keinerlei Gefahr, weder an Leib noch Leben. Sie können also ruhig dort bleiben und müssen sich nicht auf unsichere Kähne begeben, um auf griechischen Inseln um Asyl zu bitten.
TE führt mehrere gerichtliche Verfahren, um weiter über diese Vorfälle in Griechenland berichten zu können. Teilweise wurde uns dies bereits untersagt, weil NGOs um ihre Möglichkeiten fürchten, die illegale Migration nach Deutschland zu befördern. Informationen der griechischen Behörden werden in Deutschland nicht als Argumente anerkannt, wohl aber Beteuerungen von NGOs. TE wird weiter berichten und dieses Verfahren weiter führen. Wir danken allen Unterstützern, die uns dafür die notwendigen Mittel zu Verfügung stellen. Denn Pressefreiheit kann in Deutschland nur noch mit erheblichen finanziellen Mitteln wahrgenommen werden. Es ist in diesem Fall erstaunlich, wie leichtfertig polizeiliche Ermittlungen zur Seite gewischt werden, um die illegale Einreise von der Türkei – einem sicheren Staat für Flüchtlinge – nach Griechenland und dann in das deutsche Asylsystem weiter zu ermöglichen. Mit Ihrer Hilfe konnten wir bereits weiteres Beweismaterial vor Ort sichern und Zeugen finden.