Nach den Kommunalwahlen in Frankreich bekommen mehrere Großstädte einen grünen Bürgermeister. Medien und Politiker sprechen von einer „grünen Welle“, die ganz Frankreich erfasst. Doch wie aussagekräftig ist der grüne Wahlsieg bei einer Wahl, an der sich die Mehrheit der wahlberechtigten Franzosen nicht beteiligt hat?
In Lyon, Bordeaux, Straßburg und Marseille haben erstmals Frankreichs Grüne „Europe Écologique – Les Verts“ (EELV) die Rathäuser erobert. Seitdem ertönen Lobeshymnen auf die grüne Welle, die durch das Land schwappt. Fraglich ist, wie groß die Begeisterung der Franzosen für grüne Ideen wirklich ist. Denn ausgerechnet in den Metropolen, wo die Grünen einen Sieg verzeichnen konnten, war die Wahlbeteiligung besonders niedrig. So wurde in Lyon der grüne Kandidat Grégory Doucet von nur 19 Prozent der Wahlberechtigten zum Bürgermeister gewählt, in Straßburg reichten der grünen Kandidatin Jeanne Barseghian schon 15 Prozent für den Einzug ins Rathaus. Insgesamt blieben 60 Prozent der Wahlberechtigten der Wahl fern.
Doch Gewinne haben die Grünen fast ausschließlich in den Metropolen eingefahren. Dort lebt die Oberklasse des Landes. Mittelgroße und kleinere Städte wurden von der grünen Welle nicht erfasst. Nur in zehn von 236 Städten mit über 30.000 Einwohnern machten die Grünen das Rennen.
In Arbeitervierteln und problembehafteten Vororten, in denen bisher das linke Lager die Oberhand hatte, haben die Wähler am 28. Juni fast ausnahmslos konservative („Les Républicans“) und rechte („Rassemblement National“) Bürgermeister gewählt.
Marine Le Pens „Rassemblement National“ (RN) gelang in der Mittelmeerstadt Perpignan mit über 120.000 Einwohnern ein symbolisch wichtiger Sieg. Hier holte der RN-Kandidat Louis Aliot mit über 44 Prozent der Stimmen die Mehrheit. Aliot löst den Sozialisten Jean-Marc Pujol als Bürgermeister ab.
Auch die Gemeinden Moissac im Südwesten Frankreichs sowie Bruay-la-Buissière im Norden konnte RN hinzugewinnen. In der Hafenstadt Le Havre errang der Konservative Édouard Philippe, ehemaliger Premierminister von Staatspräsident Emmanuel Macron, mit 58 Prozent der Stimmen einen deutlichen Sieg. Wer in Frankreich politisch ganz vorne mitspielen will, muss den Unmut der Franzosen und vor allen Dingen die Abstiegsängste der Mittelschicht formulieren. Konservative Parteien verstehen dies besser als die Grünen mit ihrer überwiegend gut ausgebildeten urbanen Wählerschaft. Die „grüne Welle“ ist mehr ein politischer Reflex auf die Gelbwesten-Bewegung. Von den Gelbwesten redet heute niemand mehr.
Der große Verlierer dieser Wahl ist „La République en Marche“ (LREM), die Partei des amtierenden Staatspräsidenten Macron. Weder in großen und mittelgroßen Städten, noch in kleineren Städten und Gemeinden gelang es der LREM, Mehrheiten zu gewinnen. Selbst in Paris, wo Macron bei den Präsidentschaftswahlen 2017 noch haushoch gewann, holte LREM-Kandidatin Agnès Buzyn nur 13 Prozent der Stimmen. Sie schaffte damit nicht einmal den Einzug in den Stadtrat. Die von Macron gegründete Regierungspartei kann sich nicht etablieren als stabile politische Kraft. Auch wenn der Klimaschutz das Bewusstsein von immer mehr Franzosen erreicht hat und an Bedeutung gewinnt. Die Kommunalwahl war vor allem eine Protestwahl gegen Macron – zwei Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl.