Tichys Einblick
Droht Draghi das politische Aus?

Klatsche für Draghi: Berlusconi übt späte Rache

Die italienische Politik bleibt unberechenbar: Nach einer sicher geglaubten Abstimmung für Premierminister Mario Draghi kehren nach dem M5S auch die konservativen Parteien der Regierung den Rücken. Draghi verwehrte Salvini und Berlusconi Konzessionen – ein böser Fehler. Nun droht ihm das politische Ende.

IMAGO / ZUMA Press

Der Chef des linken Partito Democratico (PD), Enrico Letta, hatte am Dienstag noch davon gesprochen, der Mittwoch werde ein schöner Tag. Am Mittwoch sieht es einer der wichtigsten Unterstützer der Regierung von Mario Draghi anders. „Heute ist ein trauriger und dramatischer Tag für Italien“, sagte der Spitzenpolitiker. Von der Siegesgewissheit am Dienstag ist nichts mehr übrig.

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Dabei hatte es am Mittwochmorgen so ausgesehen, als könnte der italienische Ministerpräsident die Regierungsarbeit nach etwas Knirschen und Quietschen fortsetzen. Doch Draghi, der anders als die Vertreter der Parteikaste um klare Worte nicht verlegen ist, verprellte mit seiner Erklärung die Koalitionspartner rechts der Mitte. Die Senatoren hatten erwartet, dass der Ex-EZB-Chef hart mit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ins Gericht gehen würde – schließlich hatte deren Rebellion am Donnerstag die Regierungskrise erst ausgelöst. Doch es traf auch die Lega von Matteo Salvini. Nachdem anfangs nur der M5S keinen Applaus spendete, wurde es auch bei den Anhängern des „Capitano“ immer ruhiger. Am Ende verstummten Salvinis Anhänger.

Die Situation eskalierte, da die Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) darauf bestanden, den M5S aus der Regierung auszuschließen. Zugleich sorgte die Entscheidung für Protest, die Vertrauensabstimmung an einen Antrag von Pier Ferdinando Casini zu koppeln, der vorsah, die Erklärung von Draghi vorbehaltlos zu unterstützen. Lega und die FI wollten jedoch einen „neuen Pakt“, da die Situation eine veränderte sei im Vergleich zum Amtsbeginn – und weil die Sterne der Regierung nicht mehr angehörten. Draghi, der schon gegenüber dem M5S-Chef Giuseppe Conte Ultimaten und Sonderwünsche ausgeschlossen hatte, ging nicht auf die Forderung ein.

Salvini und Berlusconi haben den Spieß umgedreht

Am Nachmittag kippte deswegen die Stimmung. Salvini und Berlusconi hatten sich tags zuvor intensiv abgestimmt. Am Abend wurde der Plan des Duos offenbar: Nicht nur der M5S, auch Lega und FI würden der Regierung ihr Vertrauen entziehen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Es zeigte sich, dass Draghi sich verkalkuliert hatte. Der Römer hatte sich bitten lassen wollen, glaubte sich der Unterstützung gewiss und knüpfte Konditionen an seinen Weiterverbleib; doch Lega und FI zeigten zuletzt, dass sie im Fall der Fälle bereit waren, zusammen mit dem M5S den Aufstand zu proben, sollten sie nur Mehrheitsbeschaffer sein.

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Schon vor der Abstimmung sickerten Gerüchte in den Parteispitzen durch, Draghi wolle sich nun endgültig zurückziehen. Denn wie schon am Donnerstag entschied nicht das nackte Ergebnis. Draghis Anspruch war – das betonte er in seiner Erklärung – mit allen Parteien zu regieren. Draghi sei sich bewusst, dass er von außen ins Amt gekommen sei und daher mit dem ganzen Parlament zusammenarbeiten müsse. Das Ausscheren des M5S am Donnerstag war eine prinzipielle Angelegenheit. Dass am Mittwoch auch Lega und FI folgten, war ein Signal, dass es keine „Regierung der Nationalen Einheit“ mehr gab.
Neuwahlen sind wahrscheinlicher denn je geworden

Folgerichtig verließ der Premierminister noch vor der Abstimmung den Senat und brach zu seinem Amtssitz im Palazzo Chigi auf. Bei der Wahl verließen die Senatoren von FI und Lega den Saal, der M5S verblieb im Senat, stimmte aber nicht ab, um das Quorum nicht zu gefährden. Am Ende erhielt Draghi 95 von 133 Stimmen – bei 192 anwesenden Senatoren. Das war ein de facto Vertrauensentzug bei einer de jure gewonnenen Abstimmung. Die kleinere Kammer des italienischen Parlaments hat für gewöhnlich 321 Mitglieder. Medienberichte, Draghi sei noch am Abend zu Präsident Sergio Mattarella aufgebrochen, bestätigten sich nicht.

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Dass nun neben den Parteien des rechten Lagers auch der linke PD Neuwahlen fordert, ist dabei eine Hypothek. Laut Letta hätte am Mittwoch die Wahlkampagne begonnen. Noch vor dem Abstimmungsergebnis spekulierten die großen italienischen Medien über Termine für die Neuwahl: Möglich seien der 25. September oder der 2. Oktober.

Zwar besteht immer noch die Möglichkeit, dass Mattarella eine neue Übergangsregierung aus dem Hut zaubert, um die Legislatur an ihr Ende zu bringen. Die Frage, wer die zerstrittenen und regierungsmüden Parteien die letzten Monate zusammenschweißen soll, bleibt dagegen offen. Draghi, der schon am Donnerstag das Handtuch werfen wollte, und sich die nochmalige Tortur nur auf Drängen und Bitten des Staatsoberhauptes antat, dürfte sich das Prozedere jedenfalls kaum noch antun wollen.

Berlusconi nimmt Rache für seine eigene Entmachtung 2011, an der Draghi beteiligt war

Doch vorerst bleibt Draghi den Formalitäten treu. Stand Mittwochabend will Draghi am Donnerstag um 9 Uhr in der Abgeordnetenkammer ebenfalls die Vertrauensfrage stellen, um abzutasten, inwiefern die formell noch bestehende Koalition Gültigkeit hat. In der größeren Kammer des italienischen Parlaments hat die Regierung größeren Rückhalt als m Senat. Vermutlich dürfte Draghi daher erst am Donnerstagabend mit Mattarella das weitere Vorgehen beraten.

Nachdem Draghi in den letzten Tagen von der medialen und politischen Elite, Zivilgesellschaft und sogar vom Ausland darum gebeten wurde, im Amt zu verbleiben, kommt der unsanfte Fall für viele überraschend. Dabei hatten offenbar Lega und FI das Vorgehen am Dienstag genau abgesprochen. Strippenzieher der Intrige dürfte dabei Silvio Berlusconi sein. Der hat offenbar nicht vergessen, wie er 2011 von der EU und EZB abgesägt wurde. Im berühmten Brief, den Jean-Claude Trichet und Mario Draghi an die Regierung Berlusconi gerichtet hatten, bereiteten diese die Einflussnahme der EU auf die nationale Regierung vor – an dessen Ende Berlusconis Sturz und Mario Montis Installation stand.

Ein Jahrzehnt später hat Berlusconi Rache an Draghi genommen. Der alte „Cavaliere“ kann es noch.

Aktualisierung am 21. Juli 2022, 8:21 Uhr: Am Morgen hieß es auch im Quirinal, Mattarella sei zu Neuwahlen bereit.

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