„Wir sind uns einig, daß wir nicht einig sind. Aber wir sollten weiter miteinander reden, um den jeweils Anderen besser zu verstehen.“ Das ist auf den Punkt gebracht das Ergebnis der mit Spannung erwarteten ersten Zusammenkunft zwischen dem neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin, der Nr. 1 im Kreml. Jeder, der sich mehr von diesem Gipfel versprochen hatte, ist entweder naiv oder kennt die Pokerspiele der Macht nicht. In Genf trafen zwei Männer zusammen, die in ihrem Grundverständnis von Staat und Macht, aber auch als Personen nicht gegensätzlicher sein könnten. Gerade deshalb aber haben sich die beiden Männer gestern in Genf gut verstanden. Joe Biden brachte es später auf die Formel, es gehe nicht um Freundschaft, sondern es handele sich um die Wahrnehmung von Interessen. Und die prallten wirklich aufeinander.
Putin nahm in seinem Statement vor der Presse keinen Bezug auf einzelne Konfliktpunkte. Er sagte wiederholt, wir haben unsere Belange zu vertreten und die andere Seite eben ihre. Jetzt müsse man sehen, was am Ende dabei herauskommt. Stichwort Menschenrechte und Umgang mit politisch Andersdenkenden. Für Putin sind diese Agenten des Westens, die im Auftrag Dritter gegen die Gesetze Russlands verstoßen. Damit meinte er auch Alexej Nawalny, der nach einem mißglückten Mordanschlag des KGB, zurückgekehrt nach Moskau, zur Zeit schwer krank im Gefängnis sitzt.
Biden nennt die Einhaltung der Menschenrechte und die Freiheit des Wortes elementaren Bestandteil der Würde jedes Einzelnen. Wörtlich: „Sollte Nawalny sterben, so wird das verheerende Folgen für unsere Beziehungen haben.“ Ebenso müssten die Cyber-Angriffe auf die Infrastruktur der USA von russischem Boden aus – Biden übergab Putin dazu Belege für 17 konkrete Fälle – aufhören. Sollte dies nicht geschehen, müssten sich die Vereinigten Staaten zur Wehr setzen. Die USA hätten die entsprechenden Kapazitäten, niemand solle sich darüber täuschen. Und so ging es Punkt für Punkt weiter, von allgemeinen Rüstungsfragen, über die Situation in der Ukraine bis hin zu unterschiedlichen Auffassungen über die Nutzung von Wasserstraßen in der Arktis. Geschenkt haben sich die beiden Herren nichts.
Und jetzt geschieht, was nach solchen Gipfeln immer geschieht. Zu jedem einzelnen Punkt werden Arbeitsstäbe gebildet, Heerscharen von Diplomaten und Fachleuten reisen in den nächsten Wochen hin und her. In aller Regel gibt es dann drei Phasen: Am Anfang geht es um Formalitäten und das sich gegenseitige Beschnuppern und an einander Maß nehmen. Eventuelle Schwachstellen beim jeweils anderen werden gesucht, um sie gegebenenfalls zu verwerten. In der Regel dauert allein das bis zu 12 Wochen. Was danach kommt, nennen die Amerikaner „now it’s time for the real beef“ – da geht es dann wirklich ans Eingemachte. Nicht selten kommen die Verhandlungen sogar ins Stocken. Auszeiten werden eingelegt. Am Ende werden dann die Chefs ganz oben über die Ergebnisse und die Gründe für ihr Zustandekommen informiert. Biden hat gestern eher beiläufig betont, er erwarte erste konkrete Berichte nach etwa sechs Monaten.
Der Gipfel von Genf ist nach einer langen Zeit des Schweigens ein klarer Erfolg. In der den Russen eigenen, der Natur zugewandten Melancholie, resümierte Putin: „Ich habe die Morgenröte in der Ferne leuchten gesehen. Ob Vertrauen daraus entsteht, muss sich zeigen.“
Nur einmal zeigte der Kreml-Zar, der im übrigen locker und gelassen auftrat, sein gewohntes Gesicht. Auf die Frage einer amerikanischen Journalistin, ob sein hartes Vorgehen gegen Kritiker ein Zeichen von Angst sei, entgegnete er, mit Angst habe das nichts zu tun. Er wolle nur nicht amerikanische Zustände in seinem Lande haben, wo Afroamerikaner wie George Floyd auf der Straße sterben und Krawallbrüder das Parlament stürmen könnten. „Solche Zustände lasse ich bei uns nicht zu, vor so etwas schütze ich die russischen Menschen.“
Da war er wieder, der eiskalte Zynismus des alten KGB-Haudegens mit seinem ihm eigenen Humor. Biden sagte übrigens später, als ihn ein Journalist auf diese Äußerung seines Gesprächspartners ansprach, ein derartig absurder Vergleich sei für ihn nicht nachvollziehbar und spreche für Vieles. Ansonsten aber habe er sich sehr angenehm unterhalten und auch über private Dinge mit Putin geplaudert.